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Sean „Diddy“ Combs 2022 in Las Vegas.

© dpa/AP/Invision/Jordan Strauss

Dokuserie über Sean „Diddy“ Combs auf Netflix: „Ich kann mich nur mit dem Sohn Gottes vergleichen“

Ein Mann, der über Leichen geht: „Sean Combs: The Reckoning“ zeichnet ein vernichtendes Porträt des Rap-Moguls – und wirft ihm unter anderem vor, für den Tod von Tupac Shakur verantwortlich zu sein.

Stand:

Sean „Diddy“ Combs war lange ein sehr mächtiger Mann in der Musikindustrie, jemand, der Karrieren starten und beenden konnte. Was ihm immer fehlte, war das Talent, selbst zu rappen. Im Rampenlicht stehen wollte er trotzdem.

Und so quälte er sich monatelang im Studio, um Tracks aufzunehmen, zuletzt 2023 für sein „Love Album“. Eine Szene aus der vierteiligen Netflix-Dokuserie „Sean Combs: The Reckoning“ zeigt, wie er während der Produktion des Albums auf einer Couch sitzt, die Kopfhörer auf den Ohren.

„Ich brauche ewig, um zu meinem Ton zurückzufinden“, sagt er und erklärt dann, warum: „Weil ich so groß geworden bin, dass ich mich selbst rappen hören kann.“ Für die anderen, die ihm bei diesem Prozess zuschauen und zuhören können, müsse das sein, als würden sie sehen, wie Jesus über Wasser geht, sinniert er. „Ich kann mich nur mit dem Sohn Gottes vergleichen, verstehst du?“

Es sind Szenen wie diese, die eindrücklicher als alle Talking Heads und Beweisführungen zeigen, wie Combs tickt: Wer sich selbst als dem Erlöser ebenbürtig sieht, für den gelten keine irdischen Regeln.

50 Cent ist der Produzent der Serie

„The Reckoning“ ist die jüngste in einer ganzen Reihe an Dokumentationen, die in den vergangenen Monaten über Sean Combs erschienen sind. Es ist die erste nach seinem Prozess wegen Sexhandels, Verschwörung zur organisierter Kriminalität und anderen Vorwürfen in Zusammenhang mit Prostitution.

In den schwerwiegendsten Anklagepunkten ist Combs im Juli von der Jury freigesprochen, für Fälle der „Beförderung der Prostitution“ zu 50 Monaten Haft verurteilt worden, die er derzeit in einem New Yorker Gefängnis absitzt.

Viele der Interviewpartner waren bereits in den anderen Dokus zu hören, aber einige Coups sind der Regisseurin Alex Stapleton und dem Produzenten Curtis Jackson alias 50 Cent, einem Intimfeind von Combs, gelungen.  

So sind sie an Videomaterial gekommen, das wenige Tage vor der Verhaftung von Combs im September 2024 in New York aufgenommen wurde. Es zeigt ihn in seinem Hotelzimmer. Immer wieder schwenkt die Kamera aus dem Fenster, wo auf dem gegenüberliegenden Hausdach Polizisten stehen und die Suite beobachten.

Combs wirkt verwirrt angesichts der Tatsache, dass ihm die Dinge entgleiten könnten, dass er nun offenbar wirklich Konsequenzen für sein Handeln zu fürchten hat. Der Sohn Gottes im Knast? Undenkbar.

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„Ich glaube nicht, dass es funktioniert“, sagt er seinem Anwalt, Marc Agnifilo, am Telefon über die PR-Strategie seines Teams. Es brauche eine Person aus „diesem oder einem anderen Land“, die sich „mit dem schmutzigsten aller schmutzigen Geschäfte auskennt, was Medien und Propaganda angeht.“ Er wolle schließlich nicht nur ein „Nicht schuldig“-Urteil, er wolle sein Leben weiterleben.

Die Macher von „The Reckoning“ scheinen es als Auftrag zu begreifen, Combs ein normales Leben unmöglich zu machen. Die Dokuserie zeichnet ihn nicht nur als Vergewaltiger, sondern als jemanden, der im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht. Verteidiger von Combs kommen indes nicht zu Wort. Vielleicht hat sich auch niemand gefunden, der das noch öffentlich tun möchte.

Viele Freunde sind zu Feinden geworden

Fast eine ganze Folge wird Combs’ angeblicher Verstrickung in die Morde an Tupac Shakur und The Notorious B.I.G. gewidmet, und die Doku-Macher tragen viel Material zusammen, das darauf hinweist, dass Combs mitverantwortlich für die Ermordung Shakurs sein könnte – was er stets vehement bestritten hat und wofür er nie rechtlich belangt worden ist.

Sean Combs (rechts) und Christopher Wallace, alias The Notorious B.I.G., waren enge Weggefährten.

© Netflix

Es handele sich bei der Doku um ein „shameful hit piece“, übersetzt so etwas wie „eine schäbige Verleumdungskampagne“, ließ Combs’ Team im Vorfeld der Veröffentlichung ausrichten. Das Videomaterial sei illegal beschafft worden und zeige private Momente und Gespräche über die Rechtsstrategie, man dringe bei Netflix auf eine Unterlassung. Regisseurin Stapleton beteuert derweil, alles sei legal abgelaufen.

Eines beweisen sämtliche Dokus definitiv: Combs hat sich viele einstige Weggefährten zu Feinden gemacht – offenbar selbst jemandem in seinem engsten Umfeld, der Zugang zu dem Videomaterial hatte.

Als Kronzeugen lädt die Regisseurin unter anderem Kirk Burrowes, mit dem Sean Combs Anfang der Neunziger Bad Boy Records gegründet hat. Jahre später soll Combs ihn unter Androhung von Gewalt gezwungen haben, seine Anteile an dem Label aufzugeben. Burrowes geriet auf die schwarze Liste der Musikindustrie und rutschte in die Obdachlosigkeit ab.

Kirk Burrowes, ein ehemaliger Weggefährte von Sean Combs.

© Netflix

Eindrücklich wird von vielen Weggefährten geschildert, wie Sean Combs seit seinem Aufstieg bei Uptown Records und der späteren Gründung des Labels Bad Boy Records Einschüchterung und Gewalt als Taktiken einsetzte, um weiterzukommen – und dass er indirekt für den Tod von Menschen verantwortlich ist. So starben bei einem von ihm organisierten und beworbenen Basketballspiel 1991 neun Menschen bei einer Massenpanik, was seiner Karriere keinen Abbruch tat.

Im Vergleich zu den vorherigen Dokus wird auf die Vorwürfe aus dem Prozess verhältnismäßig wenig Zeit verwendet. Cassandra „Cassie“ Ventura, die den Stein 2023 mit ihrer Anzeige gegen Combs ins Rollen brachte und als eine der Hauptzeuginnen vor Gericht aussagte, kommt nur am Rande vor.

Sean Combs und Cassandra Ventura 2016 in Hollywood: Ventura war eine der Hauptzeuginnen in dem Prozess gegen Combs.

© Imago/Newscom/AdMedia/Byron Purvis

Mehrere Interviewpartner beschuldigen den Rap-Mogul indes der Vergewaltigung, darunter auch der Produzent des „Love Albums“, Rodney „Lil Rod“ Jones, der aussagt, dass Combs ihn unter Drogen gesetzt und missbraucht habe. Seine Klage ist eine von zahlreichen Zivilklagen, die noch gegen Sean Combs laufen.

Ein erschütterndes Interview gibt Aubrey O’Day, eine der Sängerinnen, die Combs 2004 in seiner Reality-Sendung „Making the Band“ castete. Sie sei von einem Anwalt kontaktiert worden, weil ihr Name in einer der Klagen auftauchte, erzählt O’Day. Eine Zeugin schildert, dass sie gesehen habe, wie O’Day von Combs und einem anderen Mann penetriert worden sei, sie habe dabei abwesend gewirkt. O’Day kann sich daran nicht erinnern.

„Heißt das, ich wurde vergewaltigt?“, fragt sie mit Tränen in den Augen. „Ich weiß nicht mal, ob ich vergewaltigt worden bin, und ich will es nicht wissen.“

Aubrey O’Day wurde einst von Sean Combs für die Band „Danity Kane“ gecastet.

© Netflix

Interviews mit zwei der Juroren

Dem Doku-Team ist es auch gelungen, mit zwei Mitgliedern der Jury, die Combs im Sommer teilweise freigesprochen hat, zu sprechen. Der Fall war kompliziert, die Jury hatte die schwere Aufgabe, darüber zu entscheiden, was Zwang und Freiwilligkeit konstituiert, ob es angesichts des massiven Drucks, den Combs auf seine Partnerinnen ausübte, so etwas wie Einvernehmlichkeit überhaupt geben konnte.

Zumindest diese beiden Interviews weisen nun darauf hin, dass die Jury bestimmte Nuancen dieses Falls möglicherweise übersehen haben könnte. Eine Jurorin erzählt recht begeistert davon, dass sie mit der Musik von Bad Boy Records aufgewachsen ist.

Ein Juror vertritt einen Standpunkt, der Frauen, die von ihren Partnern misshandelt werden, immer wieder vorgehalten wird und den auch die Verteidigung von Sean Combs im Prozess vortrug: Die Frauen hätten doch gehen können.

Die Jury sei verwirrt gewesen, weil Cassandra Ventura schon einen Tag, nachdem sie von Combs geschlagen worden war, wieder bei ihm war, erzählt der ältere Herr.

„Wenn du etwas nicht magst, dann schließt du komplett damit ab. Man kann nicht beides haben. Den Luxus haben und sich dann beschweren? Ich glaube nicht“, sagt er – und es läuft einem kalt den Rücken herunter.

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