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Der Werbetexter Fabian, gespielt von Tom Schilling, ist ein typischer Vertreter des aufkommenden Konsumzeitalters.

© Hanno Lentz / Lupa Film

"Fabian" von Dominik Graf: Der Abgang der Anständigen

Erich Kästners „Fabian“ gilt als einer der Romane der Weimarer Republik. Dominik Graf hat ihn als fulminante Liebesgeschichte am Rande des Abgrunds verfilmt.

Von Andreas Busche

Die Epoche brennt sich mit aller Gewalt in die Netzhaut. Dominik Graf fährt in der ersten Viertelstunde seiner Kästner-Verfilmung „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ gleich mal alles auf, was die zwanziger Jahre aus der sicheren Rückschau zu bieten haben: Splitscreens und Doppelprojektionen, den Lärm des Straßenlebens und überbordende Collagen aus (echten und nachgestellten) Alltagsimpressionen, Leuchtreklamen und Zeitungsschlagzeilen, leichtbekleidete junge Frauen, die am Ende der Zeit noch eine flotte Vergnügung anbieten, und schneidig uniformierte junge Männer, die im Vorbeigehen schon einen Gruß aus der nahenden Zukunft herausbellen.

Die Faszination der Zwanziger – Zerstreuung und kassandrahafte Prophetie, Hedonismus und Defätismus, politische Regression und künstlerische Avantgarde – sieht bei Graf nicht wie eine Postkarte aus der Vergangenheit aus. In seiner Verweigerungshaltung gegenüber jeder Form von Nostalgie (sprich: dem Produktionsdesign des deutschen Geschichtsfilms) steckt immer schon eine Analyse der Bilder – impulsiv, fiebrig, unverdaut. Wie dem Unbewussten entrissen.

Wenn Graf diese Bilder mobilisiert, wird sein Kino selbst ekstatisch; es lässt dann auch die Versuchungen des Psychologisierens hinter sich. Die Kamera von Hanno Lentz tritt aus einem U-Bahnhof der Berliner Gegenwart, festgehalten in unrein-ausgewaschenen Bildern wie aus einem Handyvideo, durch den gekachelten Tunnel ins Tageslicht hinein. Ein Hakenkreuz an der Wand kündet vom drohenden Unheil, markiert einen Übergang.

Mit dieser Bewegung beginnt der knapp dreistündige „Fabian“. Der Film spuckt einen regelrecht vor den Füßen seiner Titelfigur aus: „Fabian, Jakob, 32 Jahre alt, Beruf wechselnd, zur Zeit Reklamefachmann“, so stellte Kästner ihn damals vor. Kronzeuge einer bewegten Zeit.

Graf macht keinen Hehl daraus, dass die instabilen Zeiten über eine Spanne von hundert Jahren miteinander in Verbindung stehen. Er tut dies so plakativ wie möglich, so kunstfertig wie nötig. Die schmutzige Video-Ästhetik und die wertigen Kinobilder stehen gleichbedeutend nebeneinander.

Ein eloquenter Verkäufer des Untergangs

Dominik Graf sucht in seinen historischen Stoffen immer unsere Zeitgenossenschaft, aber gleichzeitig wissen seine Geschichtsfilme um die Beschaffenheit ihrer Vermittlung: Sie erzählen die Epoche immer auch als eine Geschichte ihrer Medien. Sein „Fabian“ erinnert in diesen ersten Minuten eher an Döblins Collage-Technik, die vom Kino seiner Zeit beeinflusst war, als an die lakonische Sachlichkeit von Kästner.

Darum ist dieser Fabian, gespielt von Tom Schilling, auch so ein exemplarischer Vertreter der zwanziger Jahre: ein promovierter Werbetexter, der Herr Dr. Fabian, der den „Gang vor die Hunde“ (der ursprüngliche, von Kästner bevorzugte Titel) sehenden Auges wählt. Die Werbung war in den Zwanzigern die Sprache des aufkommenden Konsumzeitalters, als das Stadtbild farbig wurde und griffige Slogans die Vorzüge der Moderne priesen. Aufbruchsstimmung. Der Germanist Jakob Fabian, der seine Distanz zur Welt hinter ironischen Beobachtungen camoufliert, ist ein eloquenter Verkäufer des Untergangs, weil er dessen Verführungskünste schätzt.

Auch die Moral muss man sich leisten können

Das geflügelte Kästner-Wort kommt aus seinem Mund: „Hat die Welt noch Talent zur Anständigkeit?“, fragt Fabian seine Vermieterin einmal mit gespieltem Ernst. Unter dem Titel „Die Geschichte eines Moralisten“ wurde „Fabian“ nach dem Krieg verlegt, doch Moral ist ein Luxus, den man sich in den Nachwehen der Weltwirtschaftskrise – und am Vorabend des großen Zivilisationsbruchs – erst mal leisten können muss. Anfangs ist der Kühlschrank noch voll.

Als die Zeitenwende schließlich Fabian einholt, steht er mit verkrüppelten Veteranen und Obdachlosen vor dem Sozialamt, während in den Straßen erste Schüsse fallen.

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Auch Tom Schilling kann unter der richtigen Regie so einen ekstatischen Verweigerer darstellen. Ein Film wie „Fabian“ bringt sein oft untemperiertes Spiel besonders schön zur Geltung. An Schillings Seite streunt Lentz’ Kamera durch die Kaschemmen und Amüsierlokale, die nur noch schwachen Schutz gegen die feindselige Außenwelt bieten.

Hier entreißt Graf seinem Stichwortgeber Kästner eine seiner treffendsten Beschreibungen der Weimarer Jahre – und des gesunden Volksempfindens: Die politischen Schießereien und die Tanzbodenschlägereien seien beides Auswüchse des deutschen Vereinslebens. Der Begriff vom Tanz auf dem Vulkan ist heute ein Allgemeinplatz über die zwanziger Jahre, aber in Kästner hat Graf einen Zeitgenossen, der seinen Roman explizit als Warnung verstanden wissen wollte.

Ein zarter Hauch von „Babylon Berlin“

Im Underground des Berliner Nachtlebens lernt Fabian zwei Frauen kennen, die ihm einerseits ebenbürtig sind – und in ihrer moralischen Ambivalenz im Grunde schon viel weiter. Irene Moll, gespielt von Meret Becker (doch noch ein zarter Hauch von „Babylon Berlin“), die sich in ihren Ehevertrag die Erlaubnis für den außerehelichen Beischlaf schreiben lässt. Und sich später mit einem Männerbordell, ihrem „Verein unchristlicher junger Männer“ (gewissermaßen die Zuspitzung des deutschen Vereinswesens) ökonomisch unabhängig macht.

Die andere Frau in Fabians Leben ist Cornelia Battenberg (Saskia Rosendahl), aufgewachsen in Paris beziehungsweise im Wedding, und mit ernsthaften Ambitionen in der boomenden Filmbranche. Eine gebrochene Romantikerin auch, die Männer mit Nichtbeachtung für deren Egoismus bestrafen will. „Ich verstecke mich nicht, ich distanziere mich“, erklärt sie Fabian bei ihrem ersten Date kokett.

Labude (Albrecht Schuch) blickt direkt in den Lauf der Zukunft.
Labude (Albrecht Schuch) blickt direkt in den Lauf der Zukunft.

© Hanno Lentz / Lupa Film

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Gibt es ein besseres Lockmittel für einen ekstatischen Verweigerer? Sie fällt mit diesem Satz schon ein Urteil über das Schicksal Fabians, der einmal ein schönes Gedankenspiel über die Arithmetik der Moral formuliert. Doch die Liebe im Ausnahmezustand funktioniert nicht nach den Grundrechenarten, sie ist kein Nullsummenspiel. Sie kennt nur Gewinnerinnen – und Verlierer.

Romantik, der zweite Atem für die Langstrecke

Graf interessiert sich mehr als Kästner für die Liebesgeschichte in „Fabian“, hier findet der Film nach einem atemlosen Auftakt auch seinen zweiten Atem für die Langstrecke. Für einen Moment ist Fabian – und „Fabian“ – mit der Zeit versöhnt. Selbst sein alter Studienfreund Labude, noch so ein enttäuschter Romantiker (in der Liebe wie in der Politik) und von Albrecht Schuch als moralisch gefestigten Borderliner gespielt, der an der Welt chronisch erschüttert zugrunde geht, sieht für Fabian eine rosige Zukunft.

Tatsächlich ist es Cornelia, die sich bereits für die ungewisse Zukunft gewappnet hat. Sie lässt sich von einem schwammigen Filmproduzenten (Aljoscha Stadelmann) aushalten, der sie groß herauszubringen verspricht. Die „nutzlose Schönheit“, wie sie ihr Eigenkapital ironisch nennt, muss profitabel gemacht werden. In den Ohren Fabians ein herzloses Bekenntnis, das Rosendahl aber mit dem inneren Strahlen eines ewigen Liebesversprechens ausschmückt.

Cornelia (Saskia Rosendahl) will beides: die große Romantik und ein berühmter Filmstar werden.
Cornelia (Saskia Rosendahl) will beides: die große Romantik und ein berühmter Filmstar werden.

© Hanno Lentz / Lupa Film

Der Herzensphilosoph Labude übersetzt seinem Freund die neuen Geschlechterverhältnisse: „Wir waren zu allem berechtigt, aber zu nichts verpflichtet. So hatten wir es doch immer am liebsten.“ Cornelia ist dagegen eine Frau der neuen Zeitrechnung, das gesellschaftlich sanktionierte Recht des Stärkeren befördert ihre Emanzipation.

Modernisierung im Krisenmodus

Das klingt vielleicht ein wenig zu sehr nach den steilen Thesen der Historikerin Hedwig Richter, die im Krisenmodus die Modernisierungskräfte der Gesellschaft gestärkt sieht. Dennoch ist die Liebesgeschichte in „Fabian“ ein Spiegelbild der sozialen Disruptionen, die Graf und sein Autor Constantin Lieb in den Weimarer Dunkeljahren vermessen. Kästners Frauenfiguren waren ihrer Zeit weit voraus.

Grafs „Fabian“ deutet mit seinen Frauen, denen Rosendahl und Becker einen unerschütterlichen Selbsterhaltungstrieb einverleiben (aber eben auch mit Schilling, der der moralischen Weltsicht seiner Figur ein bereits leicht erschlafftes Selbstverständnis abringt), einen zaghaften gesellschaftlichen Aufbruch vor dem großen politischen Umbruch an. Auch der Erzähler führt in „Fabian“ einen Dialog mit einer weiblichen Erzählstimme.

Grafs Film spielt dabei auf poetische Weise mit den Zeitläufen. Die preußischen Steinfiguren, die überall in Berlin zu finden sind, dienen als seine stummen Zeugen. Immer wieder bettet er sie in seine Collagen ein, als suche „Fabian“ in der Unmittelbarkeit des Augenblicks die Vergewisserung der Vergangenheit, dass jede Krise nur ein Sandkorn in der Menschheitsgeschichte ist. (Oder vielleicht doch der Sand im Getriebe der Aufklärung?).

Und dann fängt er, nach einer durchzechten Nacht beim Abflug der Spaßgesellschaft, die Stolpersteine auf einem Bürgersteig ein, als Eingeständnis von Kästners sich selbst erfüllender Prophezeiung. Graf ist kein Regisseur der bedeutungsschwangeren Metaphern, solche Fundstücke bleiben bei ihm, was sie eben sind: Zeugnisse der Geschichte.

Nur für das Gefühl der Desorientierung findet der Cineast Graf dann doch noch ein sinnfälliges Bild. Auf der Flucht vor Cornelias Liebesschwüren verirrt sich Fabian einmal in den Babelsberger Filmkulissen, die heute natürlich eine teure Rekonstruktion des Weimarer Berlins sind. „Wo geht’s hier raus?“, fragt er einen Arbeiter. Geschichte ist in den Filmen von Dominik Graf nur eine Attrappe. Darum ist sein Kino so hungrig nach der Gegenwart. (Ab Donnerstag im Kino)

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