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Doppelausstellung im Kindl-Zentrum: Bedeutungsvolle Linien und coole Küsse

Konzeptkunst mit Humor: Das Kindl–Zentrum für zeitgenössische Kunst zeigt Werke der Berliner Künstlerinnen Natalie Czech und Friederike Feldmann.

Seit drei Jahren gibt es das Kindl, ein Zentrum für zeitgenössische Kunst in der ehemaligen Neuköllner Brauerei. Seitdem hat sich der außergewöhnliche Ausstellungsort als kultureller Treffpunkt etabliert, an dem der Schweizer Kurator Andreas Fiedler internationale Gegenwartskunst mit konzeptuellem Einschlag präsentiert. Das trifft auch auf die aktuelle Doppelausstellung von Natalie Czech und Friederike Feldmann zu. Die beiden Berliner Künstlerinnen erkunden auf je eigene Weise die uralte Verbindung zwischen Bild- und Textsprache der Kunst.

Während Feldmanns Malereien und Zeichnungen wie Handschriften anmuten, die sich nicht lesen lassen, kombiniert Czech in ihren Fotografien Text- und Bildelemente, um sie auf ihr poetisches Potenzial hin zu untersuchen. Während Feldmann  Schriftbilder aus ihrem Duktus und Gestus heraus jenseits der Lesbarkeit entwickelt, konstruiert Czech hochkomplexe Textbilder, die auf unterschiedlichen Bild- und Textebenen gesehen und gelesen werden wollen. Gemeinsam ist beiden ein bild- und sprachanalytischer Ansatz, der auf René Magritte und Stephane Mallarmé zurückgeht.

Das Bild einer Pfeife oder eines Apfels ist eben keine Pfeife oder  Apfel, sondern ein  Abbild, wie es die Magrittsche Textzeile deutlich macht: „Ceci n’est pas une pomme“.  Czech wiederum hat in die Schale des Magrittschen Apfels eine ihrer „Poets Questions“ wie in die Rinde eines Baumes  geritzt: „Is there sorrow in magic?“ Das in das Bild hinein montierte Messer Epicure der Firma Wüsthoff diente als Werkzeug, um an der Oberfläche der malerischen Illusion zu kratzen. Dass die Magie der Illusion nicht nur reiz-, sondern auch schmerzvoll sein kann, ist eine zu tiefst menschliche Erfahrung.

Die Kunst der Illusion beherrscht auch Friederike Feldmann meisterhaft. Insbesondere in ihren raumbezogenen Wandmalereien, die hier eher dezent, aber wirkungsvoll an den Schrägen der Sheddächer angebracht sind. Die aufgesprühte Schattenlinie suggeriert eine Plastizität der stark vergrößerten Pinselschwünge. Wer Anfang des Jahres die raumfüllenden Wandmalereien in Feldmanns Privatwohnung  in Charlottenburg gesehen hat, mag bedauern, dass ansonsten nur Arbeiten im kleinen und mittleren Format aus den Werkgruppen der „oneliner“ (2014-19) und „lyrics“ (2012) ausgestellt sind.

Poetische Sensationen des Alltäglichen

Als Serien variieren sie jedoch die Charakteristika kalligraphischer und künstlerischer Handschriften, die laut Feldmann in einem Zustand „gleichschwebender Aufmerksamkeit“ (Sigmund Freud) entstanden sind, um der Frage der Autorschaft nachzugehen. Wie die Linie auf einmal Bedeutung annehmen kann, macht das ihr Signature-Piece „Dürer“ (2019)  humorvoll sichtbar. Das von Schnörkeln umgebene  Monogramm des Nürnberger Künstlers erscheint plötzlich wie sein von Locken gerahmte Selbstporträt.

[KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Maschinenhaus M2, Am Sudhaus 3, bis 2.2.2020]

Feldmanns zurückgenommene Präsentation  lässt die coolen Bildsprache von Nathalie Czechs Fotoarbeiten umso mehr strahlen. Wer ihren spielerischen Anagrammen, komplexen Versuchsanordnungen und präzisen Konstruktionsvorgaben nachgeht, erlebt poetische Sensationen des Alltäglichen. Das zeigt sich ganz unmittelbar bei den „Cigarette ends“ (2019),  Fotos von  Zigarettenstummeln unterschiedlicher Marken, die im Stile Irving Penns wie individuelle Persönlichkeiten arrangiert sind, so dass aus den Markennamen  Visual Poems entstehen. „Kool Kiss“ heißt das schöne Paar, bei dem Mister Kool in Mintgrün mal wieder ganz cool bleibt angesichts der anschmiegsamen Miss Kiss in Pink.

Dorothea Zwirner

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