
© Abb: Thys Dullaart © William Kentridge, 2025
Doppelschlag für Ausnahmekünstler William Kentridge: Mit Megafon und Zeichenstift
Das Museum Folkwang und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden feiern den südafrikanischen Universalkünstler William Kentridge zu seinem 70. Geburtstag mit der Doppelschau „Listen to the Echo“.
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Er zeichnet, seit er als Gymnasiast mit seiner Mutter Malkurse der Zeichenkunst in Johannesburg besucht hat. William Kentridge, der im April 70 Jahre alt geworden ist, hat sich durch das Medium hindurchgearbeitet, auch wenn er Installationen, Theaterinszenierungen, Grafiken, Textilarbeiten oder Filme gemacht hat.
Er versteht die Kohlezeichnung als ein Vehikel durch Bilder zu kommunizieren, inklusive ständiges Korrigieren, Nachdenken und Infragestellen. Seine altmeisterliche Schwarz-Weiß-Welt – mit genau gesetzten Farbausflügen – spiegelt die Bewegungen seines Denkens, vor allem in seinen rastlosen Filmen, einer ganz eigenen Mixtur aus Zeichnung und Animation.
Entstanden ist das vielseitige, alle Sinne ansprechende Werk, vor dem sich Essen und Dresden jetzt in einer einmaligen Kooperation verbeugen, in Südafrika. Kentridges litauisch-jüdische Eltern haben als Anwälte Nelson Mandela und andere Oppositionelle verteidigt. Rassismus, Ausbeutung und Ungerechtigkeit in repressiven Regimen sind auch seine Hauptthemen.
Kentridge verließ sein Geburtsland weder während der Apartheid noch nach deren Abschaffung. Er analysierte lieber fern aller zeitgeistigen Strömungen die eigene Haltung zum System und beschäftigte sich mit Flucht, Schuld und Vergebung. Geholfen hat ihm dabei ein intensives Studium der Geschichte der politischen Kunst, allen voran während der Weimarer Republik und dem nachrevolutionären Russland, getragen von Milieus, die ein Paradies auf Erden schaffen wollten.
Der politische Optimismus einer Zeit, bevor die Welt, wie er meint, „von Krieg und Misserfolgen erschöpft war“, ist immer noch eine seiner Inspirationsquellen. Ein Blick zurück, der auch die Form seiner figurativ und expressionistisch wirkenden Kunst prägt.
An beiden Standorten begegnet man deshalb in unterschiedlichen Techniken – neben den obligatorischen Megafonen als persönlichem Erkennungszeichen – unzähligen Moderne-Heroen wie Wladimir Tatlin, Kasimir Malewitsch, Wladimir Majakowski, Dmitri Schostakowitsch oder Frida Kahlo. In Essen liegt der Fokus auf Bergbau, ein Sujet, das sich mit der Minenstadt Johannesburg verbinden lässt, die im 19. Jahrhundert zum Goldgräber-Eldorado aufgestiegen ist.

© Kentridge Studio
Die Auseinandersetzung mit der kolonialen Geschichte, etwa in der Arbeit „Black Box“, die auf die blutige Kolonialisierung Namibias durch das Deutsche Reich rekurriert, fließt in den ambivalenten Strom aus Gewalt, Schmerz, Ironie, Schönheit und Humor ebenfalls hinein, zumal in Essen der Baedeker-Verlag das „Jahrbuch über die deutschen Kolonien“ herausgab.
Mokka-Kanne statt Kopf
In einer überaus aufwendigen Ausstellungsarchitektur aus Bühnen und abgedunkelten Kabinetten, intensiviert durch die Tonspuren der melancholisch-grotesken Filmarbeiten, lässt sich das breite Schaffen von monumentalen Mehrkanal-Installationen bis zu Einblicken ins Atelier studieren, wo sich Kentridge selbstironisch in der Filmserie „Self-Portrait as a Coffee-Pot“ mit einer Mokka-Kanne statt Kopf porträtiert und in vier streitende Personen aufspaltet.
Ohnehin liebt er das Spiel mit Identitäten, wenn er etwa in Film und Radierungen in der Physis von Ubu aus Alfred Jarrys Theaterstück „Ubu Roi“ zu erkennen ist. Dazu gesellen sich beeindruckende Tapisserien, die im großen Saal Schattenrissfiguren auf historischen Landkarten des 19. Jahrhunderts als Metaphern für Migrationsbewegungen überblenden.

© Sebastian Drüen, Museum Folkwang, 2025 Werk © William Kentridge, 2025
In Dresden verteilt sich Kentridges Universum gleich auf drei Ausstellungen. Im Albertinum dominiert mit der Filminstallation „More Sweetly Play the Dance“ das Thema der Prozession mit Blick auf den monumentalen Fürstenzug nahe der Frauenkirche, der die Ahnengalerie der sächsischen Markgrafen, Herzöge, Kurfürsten und Könige als Porzellanwandbild zeigt.
Bezüge gibt es aber auch zu den staatlich verordneten Paraden in der DDR-Zeit oder den Pegida-Aufmärschen. Auf sieben hohen Leinwänden sieht man unter Bezug auf Paul Celans Gedicht „Todesfuge“ auf einer Strecke von mehr als 40 Metern unter den Klängen einer Brass-Band keine Sieger, sondern Tanzende, Arbeiter, die schwere Lasten tragen, Redner bei politischen Kundgebungen, Kranke und Besiegte vorbeischreiten.
Die zweite Station im Kupferstichkabinett im Residenzschloss ermöglicht einen Querschnitt über das druckgrafische Werk im Vergleich zu etwa Albrecht Dürer oder Francisco de Goya. In der Puppentheatersammlung im Kraftwerk Mitte trifft man zu guter Letzt auf das von Kentridge 2016 gegründete Centre of the Less Good Idea aus Johannesburg, das mit den historischen Objekten des Hauses konfrontiert wird.
Am Ende möchte man den ausufernden Parcours noch einmal in Essen von vorne beginnen – mit der Gewissheit, dass jede Arbeit eine Synthese früherer Gedankenspiele ist. Die Summe der Teile ergibt ein immanent politisches Werk, das sich nicht auf Modernität im Erscheinungsbild verlässt, sondern lieber mit antiquierten Stilmitteln auf eine physische Präsenz pocht, die bis zum heutigen Tage mitzureißen weiß.
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