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Sibel Kekilli: Durch die Wand

Sibel Kekilli ist "Die Fremde". Eine Begegnung.

Blass und schmal und ein bisschen gebeugt sitzt sie in der Hotellobby; winzig wirkt sie in dem überdimensionierten Raum, und ihr Händedruck ist so leicht und kurz, wie es ihrer elfenhaften Erscheinung entspricht. Aber der erste Eindruck täuscht gewaltig. Einmal ins Gespräch gekommen, wird Sibel Kekilli zusehends lebhafter und energischer, manchmal kichert sie wie ein Teenager, und sie ist ganz und gar da – in der strahlenden, aber robusten Präsenz, die sie ihren Filmfiguren verleiht. Zwischen ihrem leinwandsprengenden Debüt in Fatih Akins „Gegen die Wand“, der 2004 den Goldenen Bären gewann, und Feo Aladags Film „Die Fremde“, der aktuelle Panorama-Beitrag mit einer sehr starken Kekilli in der Hauptrolle, hat die 30-Jährige eine Menge gearbeitet und renommierte Auszeichnungen erhalten, darunter den Deutschen Filmpreis Lola 2004 für „Gegen die Wand“ und dessen türkisches Äquivalent, die Goldene Orange, auf dem Festival in Antalya 2006.

Auch „Die Fremde“ beginnt in Istanbul. Sibel Kekilli spielt Umay, Ehefrau und Mutter eines etwa vierjährigen Jungen. Sie lebt bei der Familie ihres Mannes, der sie immer wieder schlecht behandelt, so dass sie eines Tages mit ihrem Kind zu ihren Eltern nach Berlin geht. Die Eltern freuen sich zunächst und nehmen selbstverständlich an, dass der Schwiegersohn bald nachkommt. Erst nach einiger Zeit gibt Umay zu, dass sie ihren Mann verlassen hat. Die Eltern versuchen zu vermitteln, aber als sie merken, dass es Umay ernst ist, beginnen auch sie, Druck auszuüben. Dass eine Frau ihren Mann verlässt und ihm auch noch den Sohn entzieht, gehört sich nicht. Umays Vater und ihr großer Bruder fürchten um ihr Ansehen bei Nachbarn und Freunden. Kekilli erläutert: „Das ist die Angst davor, nicht mehr geehrt und als Oberhaupt der Familie anerkannt zu sein, weil er sein Kind nicht unter Kontrolle hat. Das hat man doch an dem Fall (der 2005 von ihrem Bruder ermordeten, Anm. d. Red.) Hatun Sürücü gesehen. Nachdem sie tot war, ist man in eine Berliner Schule gegangen und hat die Kinder gefragt, was sie davon halten. Und dann haben doch tatsächlich einige Jungen gesagt: ,wenn das meine Schwester wäre, hätte ich das auch gemacht.’“

Auch „Die Fremde“ endet in einer Katastrophe, weil alle Beteiligten hilflos sind. Zwar verlässt Umay die elterliche Wohnung, sucht einen Job, geht zur Schule und beginnt eine Beziehung mit einem Kollegen. Gleichzeitig möchte sie aber den Kontakt zu ihren Eltern und Geschwistern aufrechterhalten und sich nicht mit dem Verstoß abfinden. Durch ihr Beharren wird sie zur Belastung, zur Provokation. Es gibt offenbar nur eine Lösung: Der kleine Bruder soll Umay umbringen.

Beim Thema Ehrenmord wird Sibel Kekilli beinahe laut und spricht plötzlich sehr schnell. Man merkt ihr die Empörung an, die sie durch ihre Mitarbeit im Anti-Gewalt-Netzwerk Terre des femmes auch in institutionelle Bahnen lenkt. „Zum Glück gibt es immer mehr Berichte über solche Fälle, auch in der Türkei. Ich habe vor zwei Wochen gelesen, dass ein Mädchen lebendig begraben wurde, mit 16. Oder ein anderes wurde mit zwölf im Dorf erschossen, der Vater hat behauptet, das war Selbstmord, aber das stimmte nicht. Sie hatte einen Zettel geschrieben, auf dem ,ich liebe dich’ stand, und den hatte der Lehrer auch noch an den Vater weitergegeben. Wenn man so was im Film erzählen würde, dächte doch jeder, das ist zu weit hergeholt. Aber es passiert nun mal.“

Sibel Kekilli betont, dass diese Verbrechen rein gar nichts mit Religion zu tun haben. „Das sind archaische Traditionen. Die Religion ist nur eine Ausrede. Es geht um den Schutz einer Gemeinschaft vor einer Gesellschaft, in die sie sich nicht integriert fühlt. Man müsste den türkischen Zuwanderern eine bessere Integration bieten. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft hat zu lange weggeschaut, weil man gedacht hat, die Gastarbeiter gehen sowieso zurück.“

Im Film vergisst Umay für kurze Zeit alle Probleme und ist glücklich mit ihrem Kollegen Stipe (Florian Lukas), der nicht nur sie, sondern auch ihren Sohn liebt, und bei dem sie nach einer langen Reise von Notquartier zu Notquartier endlich aufgehoben zu sein scheint. „Umay kann endlich sie selbst sein“, erklärt ihre Darstellerin, „es gibt keine Kontrolle, keine Gewalt, dafür Kommunikation, Verständnis und Toleranz.“

Sind das Eigenschaften, die Sibel Kekilli deutschen Männern zuschreibt? „Na ja“, lacht die Schauspielerin mädchenhaft, „man soll das nicht verallgemeinern, aber ein deutscher Mann ist doch ein bisschen zurückhaltender, wenn es um Machtspielchen geht. Die sind selbstbewusster mit ihrer Männlichkeit. Sie sagen: Ich muss dich nicht besitzen wollen oder Angst vor dir haben. Allerdings“, schränkt sie ein, „möchte ich schon, dass der Mann mir die Tür aufmacht, mir in den Mantel hilft und mir meine Tüten trägt. Das liebe ich an türkischen Männern. Und es ist selbstverständlich, dass sie zahlen. Dieses ,machen wir mal Hälfte-Hälfte’ finde ich schrecklich!“

Dass die Männer es nicht leicht haben, gibt Sibel Kekilli ohne Weiteres zu: „Das ist ja auch schwierig mit den Frauen heutzutage. Einerseits will ich sehr stark und unabhängig sein, und dann will ich, dass man mir die Tür aufmacht.“ Sie schüttelt, über sich selbst verwundert, den Kopf, und dann lacht sie ihr helles, fröhliches Lachen. Es wird sicher genug Männer geben, die ihr gern die Tür aufhalten.

Heute 10 Uhr (Cinemaxx 7), 15.2., 17 Uhr (Cubix 9), 20.2., 21.30 Uhr (Eva)

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