
© Enrico Narath
Kultur im Berliner Umland: Ein Bier, das niemals versiegt
Theater Brandenburg: Intendant Alexander Busche setzt in der nächsten Saison auf überraschende Musiktheaterprojekte und eine Wiederentdeckung.
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240 Seiten! Die Spielzeit-Vorschau des Theaters von Brandenburg an der Havel ist ein echtes Brikett, fast so dick wie die Broschüre der Berliner Staatsoper für 2022/23. Dabei verfügt die Brandenburger Bühne nicht einmal über ein eigenes Solistenensemble. Die Oper, das Sprechtheater, die Puppenspiel-Sparte, Stück für Stück wurde das Haus in diversen Sparrunden personell eingedampft. Mittlerweile ist nur noch das Orchester übrig, dazu ein tapferes Häuflein in Verwaltung und Technik. Und dennoch will der neue Intendant Alexander Busche in der kommenden Saison fast 400 Eigenveranstaltungen auf die Beine stellen.
Der 1978 geborene Busche hat zuletzt die Göttinger Symphoniker gemanagt, ist PR-Berater der Bayreuth-Chefin Katharina Wagner und war in seiner bewegten Karriere auch schon vieles andere. Busche hat jetzt detailliert kalkuliert, wie er am Brandenburger Stadttheater aus den begrenzten Ressourcen ein Maximum an Kunst herausholen kann – und er setzt dafür auch seine eigene Arbeitskraft intensiv ein. Neben dem Intendantenjob übernimmt er auch die Moderation einer eigenen Reihe mit „Erklär-Konzerten“, in denen er Interessierten jeden Alters Basiswissen vermittelt, um die Angst vor der vermeintlich elitären Klassik zu nehmen.
Und er wird zweimal Regie führen, bei Musiktheaterwerken, für die er eigene Fassungen erstellt hat: Zum Spielzeitstart kommt am 23. September Otto Nicolais Spieloper „Die lustigen Weiber von Windsor“ heraus, musikalisch bereichert um Musik von Viktor Ullmann und Arnold Schönberg, in einer Inszenierung, die zwar die originale Story erzählen wird, den shakespeareschen Helden Falstaff aber nicht als lächerlichen Säufer und Schürzenjäger zeigt, sondern als großen Einsamen, in einer verlogenen Gesellschaft. Heiterer soll es dann zum Jahreswechsel zugehen bei Offenbachs Einsame-Insel-Satire "“Ba-ta-clan“. Aus dem fiktiven China verlegt Alexander Busche die Handlung nach Berlin – und bringt den Einakter mit Exotismus-Kompositionen von Tschaikowsky, Ravel und Saint-Saens auf abendfüllende Länge.
Eine Hommage an Fritzy Massary - und an Liesl Karlstadt
Doppelt wird in der neuen Saison auch der Musical-Spezialist Andreas Gergen am Theater Brandenburg vertreten sein, im Oktober mit der Tourneeproduktion seiner „Jekyll & Hyde“-Inszenierung, im März 2023 dann mit der Uraufführung eines Stückes über die legendäre Operettendiva Fritzi Massary. Und auch noch eine weitere ganz Große der Unterhaltung wird an der Havel gefeiert: Liesl Karlstadt, die bayerische Starkabarettistin der Weimarer Republik. Das Stück „Stillhang“ erzählt davon, wie Karlstadt nach dem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik ab 1941 in Männerkleidern zu den Tiroler Gebirgsjägern stößt. Die Musik dazu hat der junge Österreicher Christian Spitzenstätter geschrieben.
Vom Off-Broadway kommt Andrew Lipps Geschwister-Musical „John und Jen“, im Frühling 2023 ist dann in Brandenburg eine frisch komponierte Operette zu erleben. Der doppelt begabte Tenor Daniel Behle hat die mit musikgeschichtlichen Anspielungen gespickte Partitur geschrieben, das Libretto stammt vom Schriftsteller Alain Claude Sulzer: „Hopfen und Malz“ spielt in Norddeutschland, die Handlung erinnert an den „Freischütz“. Es geht um ein Geheimrezept aus dem karibischen Kloster Santo Demento, das es seine Besitzer ermöglich, ein wohlschmeckendes Freibier zu brauen, das niemals versiegt.
Die Brandenburger Symphoniker spielen Werke von Emilie Mayer
Das sind alles Produktionen, für die es sich lohnen könnte, die kurze Zugfahrt von Berlin nach Brandenburg an der Havel zu unternehmen. Ebenso wie für die Hommage an die Komponistin Emilie Mayer, die das hauseigene Orchester 2022/23 bietet. Die Brandenburger Symphoniker treten zwar regelmäßig auch im Potsdamer Nikolaisaal auf, doch ihre Wiederentdeckung des „weiblichen Beethoven“ ist nur im Stammhaus zu erleben.
Alle sechs erhaltenen Sinfonien, ihr Klavierkonzert sowie die vier große Konzertouvertüren der 1812 als Apothekertochter im Mecklenburgischen geborenen Emilie Meyer werden unter verschiedenen Dirigent:innen aufgeführt – eine einmalige Gelegenheit, diese Künstlerin kennenzulernen, die natürlich viel mehr ist als eine weibliche Epigonin des großen Ludwig van. Die erste Berufskomponistin nämlich, deren Werke in ganz Europa aufgeführt wurden. Wer sich schon einmal einhören will: Der Dirigent Marc Niemann hat gerade mit dem Philharmonischen Orchester Bremerhaven beim Label Haenssler Classics Emilie Mayers Sinfonien Nr. 3 und Nr. 6 eingespielt.
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