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Wichtiger Standpunkt. Die Filmfestspiele verlangen vor allem Steherqualitäten, nicht nur von den Kinofans, die auf Tickets für eine der Vorstellungen warten: An den roten Teppichen vor den Premieren wird herumgestanden, ganz zu schweigen von den Partys im Anschluss daran. Aber das macht allen Beteiligten relativ wenig aus. Schließlich ist ja nur einmal im Jahr Berlinale.

© dapd

Berlinale-Kurztrip: Ein Festival des kreativen Herumhängens

Frierende Berlinale-Fans auf dem Mittelstreifen der Torstraße, unfreiwillige Freunde koreanischer Filme oder Schauspieler am Büfett – wo das Filmfestival zur Wartehalle wird.

Der Übergang ist fließend. Kein harter Schnitt. Und plötzlich steht man inmitten der Berlinale-Hysterie. In einem Radius von etwa fünfhundert Metern um den Potsdamer Platz verläuft eine unsichtbare Demarkationslinie zwischen Alltag und Filmwelt. Dahinter ist Kosslick-Land. Westernhelden reiten in den Sonnenuntergang. Und am roten Teppich steht Cherno Jobatey in einem glitzernden Anzug. Ein Ort, an dem internationales Kino mit einer Umhängetasche beginnt. Weißer Bär auf dunkelblauem Grund. Sie ist am Potsdamer Platz, was sonst der Stoffbeutel in Kreuzberg ist. Statement und Erkennungsmerkmal. Und im inneren Kreis des Berlinale-Kosmos, vor den Kassenhäuschen der Arkaden, ist sie unverzichtbares Accessoire eines Publikums, das Stillstand in langen Zweierreihen choreografiert. Zwischen roten Bannern blättern etwa 200 Menschen durch ihre Programmhefte, wie in Versandhauskatalogen. Niemand spricht. Ab und an, wie zufällig: Souffleusen-Dialoge. Sonst herrscht das disziplinierte Schweigen einer sozialistischen Lehranstalt. Was dann auch der passende Soundteppich ist, werden hier doch die Tickets nach dem Modell der Planwirtschaft gekauft. Jeder nimmt, was gerade da ist. Ein junges Paar wartet bereits einen halben "Tatort" hier, vielleicht sogar länger. Einen halben "Tatort" mit Anne-Will-Begrüßung.

Sie hoffen noch auf Tickets für einen spanischen Film im Panorama, starren deshalb auf die Verfügbarkeitsampel über den Kassenhäusern und müssen mit ansehen, wie diese erst gelb, wenig verfügbar, und schließlich rot wird. Nicht mehr verfügbar. Aber, sagt die Frau am Kassenhäuschen, ihr Gesicht ebenfalls eine rote Ampel, es gibt noch Karten für einen koreanischen Beitrag im Forum.

Ihre Mimik sagt: Dann lieber einen "Tatort" mit Anne Will. Doch weil das hier Berlinale ist, eine Filmtombola ohne Nieten, entdecken die beiden nun ihre besondere Beziehung zum postmodernen, jungen koreanischen Film, kaufen zwei Karten. Das wird bestimmt gut, sagt er, nimmt sie in den Arm und schiebt das Programm zurück in seine Tasche. Weißer Bär auf blauem Grund. Asien ist ja im Kommen. Besonders das junge Kino. Hinter ihnen beginnt das Stehen für bewegte Bilder von Neuem. In einer Schlange, die kein Ende hat, nie kürzer wird. Was durchaus verblüffend ist, weil hier schließlich Menschen ihre Nachmittage damit verbringen, für Eintrittskarten von Filmen kaum bekannter Regisseure anzustehen, mit deren ungarisch-algerischen Titel man allein einen neuen Highscore beim Scrabble aufstellen könnte.

Aber auch das ist Berlinale. Oder vielmehr ist die Berlinale genau das. Ein Festival des kreativen Herumhängens.

Auf der Party wird Diät-Cola zu Steh-Häppchen gereicht

Dabei ist das Warten auf Tickets nur eine Teildisziplin. Jeder wartet hier auf irgendwas, steht an, steht rum. Schauspieler auf ihre Agenten, Helmut Zerlett aufs Taxi. Wäre man jetzt Nina Ruge, man könnte den Kopf schief legen und sagen: Rumstehen ist en vogue.

Wie zum Beweis gibt es im Theater des Westens zur Stehparty Häppchen von Sarah Wiener. Und Pepsi light aus Weingläsern. Die Schauspielagenturen haben zum Großklassentreffen der Branche geladen. Anja Kling ist da. Anna Maria Mühe und Bülent Sharif. Dazu noch diverse Film- und Fernsehschauspieler, Soko-Dauerbesetzungen und Tatortnebendarsteller, deren Gesichter aber erst aus dem Film-Unterbewusstsein an die Oberfläche suppen müssen, um einen Aha-Effekt zu erzeugen. Die Gäste tragen unterschiedlich eingefärbte Namensschilder, die es im Stimmgewirr erleichtern, Schauspieler, Produzenten und Regisseure auseinander zu halten, und tauschen in kleinen Gruppen ihre Wiedersehensfreude wie Visitenkarten. Bald allerdings sind die Häppchen alle und auch die Gespräche drehen sich so lange im Kreis, bis allen hier, an sich selbst berauscht, angenehm schwindlig ist. Tobias Schenke steht an der Bar, bestellt noch eine Cola und muss dann auch weiter. Filmangebote, sagt er noch, bekommt man hier natürlich nicht. Aber als Schauspieler müsse man sich eben hin und wieder zeigen. Den Regisseuren, Produzenten. Und natürlich auch den Fotografen, die draußen auf der Kantstraße warten. So wie sie in dieser Woche überall dort stehen, wo eine Ahnung von Stargeflüster in der Luft liegt.

Andere frieren stundenlang auf dem Mittelstreifen der Torstraße vor dem Soho-House, weil hinter verklebten Fenstern eine nicht mehr ganz jungfräuliche Pop-Königin 180 Sekunden ihres neuen Films zeigen soll. Vielleicht. Sich dann dort aber nur frisch macht. Sagen zumindest die Fotografen. Blinde Augenzeugen. Mit Objektiven über der Schulter warten sie auf den ersten Schuss. Warten aber nicht allein, ist ihre Anwesenheit doch der Indikator einer unmittelbaren Nähe gehobener Prominenz. Deshalb ziehen sie die Starsammler an, mit Postern in den Händen, den Edding zwischen den Lippen. Denn für Autogrammjäger ist die Berlinale, was für milliardenschwere Feiertagswilderer ein Treffen auf der rumänischen Ranch von Ion Tiriac ist. Eine Großwildjagd im zoologischen Garten. Sie verspricht sichere Beute.

Am frühen Montagnachmittag lehnen sie deshalb an den Zäunen vor dem Ausgang der Tiefgarage des Hyatt und ihre Körper dampfen in fiebriger Erwartungshaltung in der Fabruarkälte. Autogrammhefte rascheln im Wind. Ralph Fiennes wird erwartet. Angeblich, vielleicht. Die Insider hüllen sich in den Konjunktiv. Auch, weil sie genau wissen, dass Insider-Informationen auf der Berlinale meist nur den Marktwert Uwe Bolls haben.

Schließlich aber wird die Menge hektisch, hält Handys in die Luft. Ein Mann huscht durch die Menge. Auch auf den Fotos nur verwaschen. Eine schwarze Autotür schließt sich. Neugierige Blicke werden gespiegelt. Ralph Fiennes, oder der Mann, der vielleicht Ralph Fiennes gewesen ist, entzieht sich den Jägern. Eine schwarze Limousine gleitet in den Stoßverkehr der Potsdamer Straße. Zurück bleiben leere Gesichter, doch die ersten ziehen bereits weiter. Zum roten Teppich. Irgendwo gibt es immer etwas, auf das es sich zu warten lohnt. Vielleicht kommt der Kosslick vorbei. Oder Cherno Jobatey.

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