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Weihnachtliche Stimmung am Gendarmenmarkt.

© imago/Westend61

Weihnachtliche Konzerte in Berlin und Potsdam: Ein Jauchzen überall

Im Advent wünscht sich das Publikum harmonisches, romantisches Liedgut – nicht nur das Weihnachtsoratorium. In Berlin und Potsdam wird’s geboten.

Jauchzet, frohlocket! Auf, preiset die Tage! Es geht wieder los. 800 Chöre soll es in Berlin geben; wie viele davon Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ im Repertoire haben, kann niemand überblicken. Seit Jahr und Tag beherrscht der Leipziger Bestseller auch in der Hauptstadt mit zahlreichen Aufführungen die adventlichen Musikkalender. Die größeren davon bestreiten gleich Ende November der Oratorienchor Potsdam in der Friedenskirche Sanssouci, der Berliner Konzertchor im Kammermusiksaal und der Philharmonische Chor in der Philharmonie.

Erwachsene lassen sich aber besonders gern davon anrühren, wenn Kindermund bedeutende Wahrheit kundtut. Besonders, wenn Bachs Leipziger Thomaner wie am zweiten Adventswochenende für drei Abende ins Konzerthaus kommen. Denn ein Junge singt anders als ein Mädchen. Wie genau, daran scheiden sich die Geister. Ist es die besondere Klarheit, das Timbre, die Authentizität? Die lange Tradition von Knabenchören ist beeindruckend. Die historische Kontinuität ihrer Auftritte rund um den Globus lässt staunen. Aber was überwältigt wirklich? Woran liegt es, dass sich Menschen, die sonst nicht unbedingt in klassische Konzerte gehen, dafür viele Stunden vor großen Sälen anstellen? Warum sieht man im Publikum feuchte Augen, wenn Knaben von der Ankunft des Erlösers singen?

Ein Kind verstellt sich nicht, die physikalische Makellosigkeit seines Gesangs suggeriert eine Reinheit auch auf emotionaler Ebene. Daher geht es gerade beim „Weihnachtsoratorium“ wohl gar nicht in erster Linie um das Erleben von Hochkultur, sondern vor allem um Gefühle, auch um ein Stück zerbrechlicher Idylle. Die Überraschung, einen Jungen zu erleben, wie er Kunst produziert, verschmilzt mit der Bewunderung für die obertonreiche Knabenstimme im Bewusstsein ihrer Vergänglichkeit. Das hat weder etwas mit Chauvinismus noch mit flüchtigen Showeffekten oder irgendeinem Niedlichkeitsfaktor zu tun. Der Zauber erwächst vielmehr aus der Natürlichkeit, mit der jugendliche Sänger einer Musik begegnen, die vielfältiger und zugleich tiefgründiger kaum sein könnte.

Es gibt viele feinsinnige Adventslieder

Weithin werden Knabenchöre oft nur mit Weihnachtsliedern assoziiert. Das wird natürlich der Bedeutung und dem Können der führenden Ensembles nicht gerecht. Aber das Publikum braucht diese Klänge, die Sehnsüchte und Erinnerungen an die Kindheit spielen dabei eine große Rolle. Damals mag Weihnachten fernab terrorverdächtiger Märkte als Fest gegolten haben, das Geborgenheit und familiären Zusammenhalt gibt, Orientierung in einer so kompliziert gewordenen Welt. Dass Christus geboren wurde, um später am Kreuz zu sterben, ist wohl weniger präsent als eine idyllische, heile Welt, in der das Böse keinen Erfolg hat. Die liebende Mutter, die sich über ihr Kind beugt, das märchenhafte Wunder der jungfräuliche Geburt – es ist ein Fest der Liebe, der Familie, des Lichts in der dunklen Jahreszeit, wonach sich das Publikum sehnt.

Dabei gibt es, man mag es angesichts der Übersättigung in Kaufhäusern, Fahrstühlen und Medienkanälen kaum glauben, wunderbare, feinsinnige Advents- und Weihnachtslieder. Sie werden nur leider allzu oft verhunzt und in gruseligen Arrangements verfälscht. Dabei beweisen gerade die Adventslieder oft besonderen Tiefgang in ihren subtilen Ankündigungen einer Rettung und Erlösung. Bei näherer Betrachtung stellen sich viele als tief ausgelotete Kunstwerke heraus. Nicht umsonst ist mit solch einem Programm ebenfalls am zweiten Adventswochenende auch der Windsbacher Knabenchor in der Hauptstadtregion zu Gast, allerdings muss man sich dafür auf den Weg in den Potsdamer Nikolaisaal begeben. Der Berliner Staats- und Domchor singt nicht nur seine traditionellen Vespern am 24. Dezember im Dom und führt dort am 26. Dezember sein Krippenspiel auf, sondern gibt hier schon am 8. Dezember mit der Lautten Compagney unter dem Titel „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ ein Adventskonzert.

Aschenputtel und der Zauberer von Oz

Aber es muss nicht immer Bach sein, mit dem sich die christliche Menschheit auf die Ankunft des Herrn vorbereitet. Mit „El Niño“ beeindruckte der als Filmkomponist erfolgreiche Amerikaner John Adams im Jahre 2000 das Pariser Publikum und erzählte die Geburt Christi in seinem „Opernoratorium“ aus der Perspektive Marias neu und auf ganz amerikanische Weise berührend. Am dritten Adventswochenende führen Rundfunkchor und Rundfunksinfonieorchester das Werk zusammen mit dem Kammerchor des Händel-Gymnasiums im Konzerthaus auf. Uraufgeführt worden war es übrigens seinerzeit vom Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, das sich in diesem Jahr mit dem „Messias“ unter Mitwirkung des RIAS Kammerchores am gleichen Wochenende in der Philharmonie dramaturgisch nicht halb so experimentierfreudig gibt.

Ein Gastauftritt der Thomaner im Konzerthaus.
Ein Gastauftritt der Thomaner im Konzerthaus.

© mauritius images

Zumindest Auszüge von Händels Gassenhauer kombinieren die Chöre der Sankt-Hedwigs-Kathedrale am 17. Dezember mit dem romantischen Weihnachtsoratorium „Der Stern von Bethlehem“ von Friedrich Kiel. Der Komponist aus dem Rothaargebirge stand einst gleichwertig zwischen Robert Schumann und Johannes Brahms, geriet aber bald in Vergessenheit und wird erst seit einigen Jahren wiederentdeckt.

Doch bei all der christlichen Freude ist das Mysterium der Vorweihnachtszeit dann doch auch ein recht weltliches: Neben der Liebe steht das große Futtern. Da es inzwischen schon im August Pfefferkuchen gibt, kann erst recht niemand mehr die nur saisonalen Aufführungen von „Hänsel und Gretel“ erklären, immerhin spielt Humperdincks großartige Waldoper ja im erdbeerenreichen Sommer.

Glück braucht man trotzdem, um für die Staatsoper noch Karten zu bekommen; nicht besser sieht es für den „Nussknacker“ an der Deutschen Oper aus. Als kosmopolitischer erweist sich da wieder einmal die Komische Oper: Neben Massenets Aschenputteloper „Cendrillon“ märchet es hier mit Prokofjews „Liebe zu den drei Orangen“ und dem „Zauberer von Oz“ ganz gewaltig. Eigentlich hat man also im Berliner Dezember überhaupt keine Zeit, irgendetwas anderes zu machen, als Musik zu hören.

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