
© Galerie Clages
Eine Messe für Entdecker: Die Art Brussels wird nachhaltig
Der etablierten Brüsseler Kunstmesse muss ein Spagat gelingen: global bleiben und gleichzeitig den ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich halten.
Stand:
Die Versuchsanordnung: Ein Wandregal; auf schmalen Brettern reihen sich kleine Keramikbecher neben- und untereinander. Jeder variiert in Größe und Form, oft nur minimal. „Welches wählen Sie aus?“, fragt Navid Nuur. „Okay.“ Wir gehen in den winzigen Hinterraum am Stand der Münchner Galerie Jahn und Jahn, und der 1976 in Teheran geborene Künstler, der in Den Haag lebt, beschreibt, wie das unscheinbar aussehende Gefäß erst allmählich die Vielfalt seiner Formen und Farben preisgibt und zieht die Autorin dabei in einen Dialog über Licht- und Energiesphären.
Eines der assoziativen, farbchangierenden Textbilder des Multimedia-Künstlers, denen die Galerie eine Solopräsentation innerhalb ihres Standes widmet, hat Matthias Jahn gerade verkauft (10.000 Euro). „Ein guter Start“, findet er, und mit hochkarätigen Werken, darunter ein monumentales Gemälde von Hermann Nitsch, eine ebenso massive schwarze Leinwand von Imi Knoebel und Zeichnungen von Paula Rego oder Isa Genzken (Preisspektrum: 47.000-130.000 Euro) zeigt sich die Galerie in Bestform. Sie ist damit in guter Gesellschaft, denn das allgemeine Niveau der 152, aus 32 Ländern angereisten Händler ist hoch.
Werke, die selbst verwöhnte Sammler:innen überraschen
Im imposanten Art-Deco-Gebäude der Brussels Expo verteilen sie sich in zwei aneinander angrenzenden Hallen und vier Sektionen, wobei Prime für die Gruppe der etablierten Künstler steht, Solopräsentationen meist in die Prime-Stände integriert sind, Re-Discovery sich unterschätzten Künstlern widmet und Discovery zahlreichen Entdeckungen. Das Stichwort greift die geschäftsführende Direktorin der Messe, Nele Verhaeren, sofort auf. Wir sind eine „Entdeckermesse“, meint sie, gefragt nach dem Unique Selling Point der Art Brussels. „Auch die etablierten Galeristen sollen mit Werken hierherkommen, die unsere verwöhnten Sammler überraschen“.
Es gelingt den meisten, allen voran den belgischen Platzhirschen, die 25 Prozent der Teilnehmer stellen, gefolgt von den Kollegen aus Frankreich, wie immer die zweitstärkste Truppe, den rund 15 Händlern aus Deutschland, neun aus den USA und vier aus Belgien. Verhaeren betont die „Europeanness“ der Messe mit Nachhaltigkeit. „Wir folgen den ESG-Kriterien Umwelt, Soziales und Governance/Unternehmensführung und legen Wert darauf, dass die Händler und Werke ebenso wie unsere Besucher möglichst mit Zügen und Autos reisen.“
Diese leichte Abkehr von der bisher allgemein angestrebten Globalität ist akzeptabel, solange sie nicht zu dogmatisch wirkt oder das insgesamt hohe Qualitätsniveau der Art Brussels senkt. (Wieder)-Entdeckungen sind auf dieser Messe in großer Zahl zu machen. So würdigt die Berliner Galerie Nagel Draxler die belgische Video- und Objektkünstlerin Joëlle Tuerlinckx mit Wand- und Bodenarbeiten (rund 40.000 Euro). Lia Rumma präsentiert die italienische Performance- und Videokünstlerin Vanessa Beecroft mit eine Gruppe elegisch-eleganter Skulpturen-Köpfe aus Keramik, Holz und Metall (45.000 Euro). Die international etablierte, in Brüssel beheimatete Galerie Clearing lässt einen ihrer Stars, den in Bangkok geborenen Korakrit Arunanondchai, mit flammend feurigen Wandarbeiten brillieren, und bei Gladstone, die seit Jahren in Brüssel eine Dependance haben, verzaubert ein Frauenporträt in Blauschattierungen des Georgiers Andro Wekua (95.000 Euro).
Manipulative Ästhetik der Social Media
Den Wunsch von Nele Verhaeren an die Galeristen, Sammler und Besucher zu überraschen, löst auch die Wienerin Lisa Kandlhofer ein, die zwei starken Frauen eine Bühne bietet. Die in Uganda lebende Performance- und Multimediakünstlerin Acaye Kerunen komponiert Skulpturen und Installationen aus lokalen Naturmaterialen wie Bananenfaser, Bast, Schilf und Palmenblättern und verknüpft so buchstäblich Handwerk mit Kunst. Die Brasilianerin Sofia Borges erforscht im Medium der Fotografie Typen der Repräsentation zwischen archaischer Symbolik und der manipulativen Ästhetik der Social Media.
Dominant platziert in Halle sechs ist auch das gigantische Videostill der Niederländerin Melanie Bonaja bei der Amsterdamer Galerie Akinci, die ihr Heimatland auf der Biennale in Venedig 2022 vertrat. Frauen und Männer, weiß und schwarz, nackt und in Unterwäsche schmiegen sich in Löffelstellung eng aneinander: Körper, die eins werden in der Diversität. Fluide Formen des Miteinander, die Hybridität des Verschmelzens sind zentrale Themen vieler Künstler, auch auf dieser Messe.
Auch die Sehnsucht nach simulierten Unendlichkeitsräumen zieht Massen von Besuchern an. Ausgerechnet die beiden Hauptsponsoren der Messe, die Delen Privatbank und die Bank van Breda, tragen dieser Sehnsucht mit dem Spiegel-Kubus „Revelations“ im Zentrum der Messe Rechnung. Wer die kristalline Konstruktion betritt, spiegelt sich scheinbar unendlich in den Lichtbrechungen der reflektierenden Oberflächen. Alles ist Vermarktung. Ist alles Vermarktung?
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