zum Hauptinhalt
Selbstbestimmt. Jaqueline Kennedy (Natalie Portman) zeigte im Fernsehen das Allerheiligste der US-Politik – und wurde zur Leidensfigur für eine ganze Nation.

©  Tobis Film

Bald im Kino: Pablo Larraíns Film "Jackie": Einladung ins Weiße Haus

Amerika, der Mythos JFK und die Symbolpolitik der Kennedy-Witwe: „Jackie“ von Pablo Larraín mit einer grandiosen Natalie Portman kommt nächste Woche ins Kino.

Von Andreas Busche

Am 14. Februar 1962 strahlten die amerikanischen Networks NBC und CBS ein einstündiges Sonderprogramm aus, das nicht nur Fernsehgeschichte schrieb, sondern auch die öffentliche Inszenierung des höchsten politischen Amtes der USA maßgeblich prägen sollte. „A Tour of the White House with Mrs. John F. Kennedy“ gewährte der Weltöffentlichkeit – 80 Millionen Zuschauer und Zuschauerinnen in über 50 Ländern verfolgten das Special vor den Fernsehern – erstmals einen ausführlichen Einblick in das Allerheiligste der amerikanischen Politik. Die deutlich auf ein weibliches Publikum zugeschnittene Sendung wurde für Jacqueline Kennedy, die ihr Image als Gesellschaftsdame nie ganz ablegen konnte, zur Bewährungsprobe. Die First Lady trat aus dem Schatten ihres Mannes hervor und nahm eine aktive Rolle in der Außendarstellung der Kennedy-Regierung an. Das Weiße Haus erklärte sie zum Haus des Volkes.

Jacqueline Kennedy, damals bereits eine Stilikone, hatte die zwei Millionen Dollar teure Renovierung des White House mit beaufsichtigt. Die Interieurs waren nach ihren Vorstellungen gestaltet worden, die Räumlichkeiten sollten das Selbstverständnis künftiger amerikanischer Politik repräsentieren: moderner Chic, kunstbeflissen (mit einem Hang zum Kitsch), vergangenheitsbewusst.

Einzug und Abschied: Gerade gibt es wieder einen Umzug ins Weiße Haus

Ein Akt der Symbolpolitik: Die Bevölkerung war eingeladen, den Ort zu sehen, an dem über ihre Geschicke entschieden wurde. Vereinzelte Spötter nannten die televisuelle Führung durch die Privatgemächer der First Family „Hausfrauenfernsehen“, aber für das Image der Kennedy-Präsidentschaft erwies sie sich als Mediencoup. Zwei Jahre zuvor hatten die TV-Kameras dem schwitzenden Richard Nixon eine bittere Niederlage im Kampf ums Weiße Haus beschert. Nun sollte das Fernsehen die Präsidentschaft JFKs festigen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Es ist angebracht, noch einmal an diesen medienhistorischen Moment zu erinnern, da an diesem Wochenende ein Mann ins Weiße Haus einzieht (ohne First Lady, wohlgemerkt), der seinen Ruhm in erster Linie dem Fernsehen und seinen Fähigkeiten als Selbstdarsteller verdankt. Auch wenn der in Venedig uraufgeführte Film in den USA bereits im Dezember startete, mutet das Timing, mit dem Pablo Larraíns Präsidentengattinnen-Porträt „Jackie“ nächste Woche in die deutschen Kinos kommt, geradezu unheimlich an. Es sind allerdings auch unheimliche Zeiten.

Der chilenische Regisseur Pablo Larraín hat die Geschichte seines eigenen Landes stets von der Seitenlinie aus betrachtet (in „Post Mortem“ etwa aus der Perspektive eines Pathologen, der der Autopsie von Salvador Allendes Leiche beiwohnt), indem er Nebenfiguren ins Zentrum rückt. Jetzt erzählt er erstmals von Nordamerika, blickt auf den übermächtigen Verbündeten, dessen außenpolitisches Machtstreben auch Chile ein Terror-Regime bescherte.

Natalie Portman: bravourös dünnhäutig, machiavellistisch scharfzüngig

„Jackie“ ist in erster Linie natürlich ein Film über die USA. Er stellt aber auch die Frage, was einen großen Staatsmann generell auszeichnet und welches Bild der Nachwelt erhalten bleibt. Larraín schreibt den Mythos JFK nicht fort, sondern geht dessen Fabrikation auf den Grund, bei der Jackie Kennedy – gespielt von einer bravourös dünnhäutigen und gleichermaßen machiavellistisch scharfzüngigen Natalie Portman – federführend war. Die Gründung dieses Mythos geht zurück auf jenen Februartag 1962 und die Tour durch das Weiße Haus, die Larraín mit einer Mischung aus Originalaufnahmen und nachgestellten Spielszenen rekonstruiert. Es war der strategische Versuch Jackie Kennedys, dem Präsidentenamt zu neuem gesellschaftlichen Glanz und politischer Würde zu verhelfen.

Die Mythenbildung endete jedoch nicht mit den Schüssen von Dallas, die ein weiteres ikonisches Bild in die Welt setzten: Jacqueline Kennedy im blutverschmierten Chanel-Kostüm, am Sarg ihres Mannes.

Larráins Film erzählt die Geschichte einer politischen Mythenbildung

Selbstbestimmt. Jaqueline Kennedy (Natalie Portman) zeigte im Fernsehen das Allerheiligste der US-Politik – und wurde zur Leidensfigur für eine ganze Nation.
Selbstbestimmt. Jaqueline Kennedy (Natalie Portman) zeigte im Fernsehen das Allerheiligste der US-Politik – und wurde zur Leidensfigur für eine ganze Nation.

©  Tobis Film

Eine Woche nach dem Attentat empfing die Witwe einen Reporter des „Life Magazine“ – Billy Crudup als aasig devoter Interviewer – in ihrem Landhaus in Hyannis Port. In dem Gespräch fiel ihr berühmter Vergleich mit der König-Artus-Sage, inspiriert von dem damals populären Broadway-Musical „Camelot“. Ein Bild, das eine tröstliche Illusion zum Ausdruck brachte: der mächtigste Mann der Welt, der auf Kuba beinahe den Dritten Weltkrieg ausgelöst hätte, als nobler Idealist in seiner eigenen Heldensaga. „Camelot“ wurde zum geflügelten Wort für die Kennedy-Präsidentschaft, das mythisches Xanadu einer politischen Ideologie.

Larraín bedient sich dieser Schlüsselmomente, um die Geschichte einer politischen Mythenbildung zu rahmen – des Mythos Jackies als Stilikone und Leidensfigur für eine ganze Nation, ex negativo aber auch des Mythos JFK. Jackie Kennedy wird von einer Sekunde zur nächsten aus ihrer Nebenrolle ins Rampenlicht gestoßen, ihr bleibt keine Zeit, ihren Schmerz zu verarbeiten. Staatliche und private Trauer werden in den öffentlichen Auftritten direkt nach dem Attentat ununterscheidbar. Apathisch steht sie bei der Vereidigung neben Lyndon B. Johnson (John Carroll Lynch), eine rein offizielle Geste angesichts des politischen Notstands, um den Nachfolger ihres Mannes zu stärken. Johnson und dessen Frau mit der betonartigen Wellenbrecher-Frisur künden an der Seite der adretten Jackie in ihrem pinken Kostüm und des feschen Bobby Kennedy (Peter Sarsgaard) bereits optisch vom Rückfall in eine vermeintlich vergangene politische Ära.

Natalie Portman hat sich den Sprachduktus Jackies mimetisch angeeignet

Das alles erzählt „Jackie“ äußerst virtuos nebenher, denn die Kamera hält meist mit schmerzhafter Direktheit auf das maskenhafte Gesicht von Natalie Portman. Durch die Nähe erscheint es wie hinter einer Fischaugen-Optik verzerrt. Portman, die sich den mädchenhaft-snobistischen Sprachduktus Jackie Kennedys geradezu mimetisch angeeignet hat, changiert mit Oscar-verdächtiger Gefasstheit zwischen den Anforderungen an eine First Lady: Sie muss gleichzeitig trauernde Staatsrepräsentantin, leidende Witwe und fürsorgliche Mutter sein. Pointiert werden die Szenen von einem verstörenden, nervenaufreibenden Streicher-Score der britischen Komponistin und Experimentalmusikerin Mica Levi, der den Film nie zur Ruhe kommen lässt.

Jackie war Amerikas Vorzeige-Hausfrau und wird zur Erbverwalterin JFKs

Portman meistert die Verwandlung Jackie Kennedys auch deshalb so bravourös, weil der Film fließend zwischen den Zeitebenen wechselt. Eine dritte Ebene, das Gespräch mit einem Priester (John Hurt), hängt etwas unentschlossen dazwischen. Ihm allerdings vertraut Jackie den entscheidenden Satz an, der den Rest des Films nachklingt: „Ich habe das nicht für Johns Vermächtnis getan“, erklärt sie ihre eigenmächtige Entscheidung, den Autokorso mit dem Sarg entlang der symbolträchtigen Route von Abraham Lincolns Beerdigungszug fahren zu lassen, „sondern für mich“.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

An diesem Punkt ist längst klar, was Larraín an Jackie Kennedy so fasziniert. Aus den unruhigen, abrupten Kamerafahrten und irritierenden Schnittfolgen löst sich Jackie Kennedy langsam als Subjekt ihrer eigenen Erzählung heraus, das die Wandlung von der Vorzeige-Hausfrau zur selbstbestimmten Nachlassverwalterin inmitten einer Staatskrise vollzieht. Sie sieht sich – plötzlich mittellos – gezwungen, um ihre eigene Existenz zu kämpfen, während die Nachfolger ihres Mannes bereits dessen politisches Erbe aufteilen. Der Umzugswagen steht vor dem Weißen Haus, kaum dass der Sarg ihres Mannes in die Erde gelassen wurde. Ein Bild, das in diesen Tagen wieder eine verblüffende Aktualität besitzt.

Eine souveräne Frau: Sie diktiert dem Reporter, was die Nachwelt über sie lesen soll

Während Bobby noch der vertanen Chance, Geschichte zu schreiben, hinterhertrauert (den Triumph in Vietnam, klagt er in einer ironischen Note, dürfe sich nun Johnson auf die Fahnen schreiben), macht Jackie bereits Nägel mit Köpfen. Ihre Worte haben in den Interviewszenen jede mädchenhafte Melodie verloren. „Ich rauche nicht“, erklärt sie dem Reporter brüsk zwischen zwei Zügen an ihrer Zigarette. Später greift sie sich ungefragt sein Notizbuch und schreibt ihm die Sätze auf, die die Nachwelt über sie lesen soll. Der Mythos JFK, für den sie maßgeblich verantwortlich war, ist auch ein Ausdruck ihrer eigenen Souveränität. Pablo Larraín fügt ihm ein paar unbedeutende Schrammen zu. Dafür lässt er das Bild Jackie Kennedys umso heller erstrahlen.

Ab Donnerstag, den 26. Januar, in den deutschen Kinos

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false