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Hell und dunkel, gut und böse. Das Kunsthistorische Museum in Wien gab Tintorettos „Susanna im Bade“ (um 1555).

©  KHM Wien

Doppelschau zu Maler Tintoretto: Einmal im Leben

Tintoretto war der große Maler Venedigs, ein Bildverführer der Renaissance. Nun feiert seine Heimatstadt ihn mit einer fulminanten Doppelausstellung.

Der Mann unterhielt nicht einfach eine Werkstatt, er hielt eine ganze Manufaktur am Laufen. Jacopo Robusti, bekannt und berühmt unter seinem Künstlernamen Tintoretto – der Sohn eines Färbers nannte sich „Färberchen“ –, war der produktivste unter den wahrlich produktiven Malern Venedigs. Schon die Zeitgenossen staunten über den Geschäftssinn des 1519, eher schon 1518 geborenen Venezianers, der seine Heimatstadt nie verließ und dort 1594 verstarb, der zahlreiche Assistenten beschäftigte und mehr und mehr als Vorlagengeber gewirkt haben muss. Anders lässt sich sein Output kaum erklären, auch wenn ein späterer Bewunderer wie John Ruskin Mitte des 19. Jahrhunderts vor der Ausmalung der Scuola di San Rocco meinte, es habe den Maler „kaum zehn Minuten gekostet, eine ganze Leinwand zu erfinden und zu malen“. Derlei Urteile führten ein weiteres Jahrhundert später eher zu Skepsis und Vorsicht: Was konnte unter solchen Entstehungsbedingungen tatsächlich von der Hand des Meisters sein?

Hinzu kam die schier unüberwindliche Schwierigkeit, das Werk Tintorettos in Ausstellungen zu zeigen und zu analysieren. Die Riesenformate, bis hin zu dem mit sieben mal 22 Meter weltgrößten Leinwandgemälde, dem „Jüngsten Gericht“ im Dogenpalast, lassen sich weder von den Wänden nehmen, für die sie geschaffen wurden, noch gar aus ihren Häusern tragen. So ist es eine herausragende Leistung, dass es den Museen Venedigs jetzt gelungen ist, mit der Doppelausstellung von Werken des jungen Tintoretto in der Accademia und des reifen Malers im Dogenpalast tatsächlich eine Annäherung an das Gesamtwerk des neben Tizian beherrschenden Malers im Venedig des 16. Jahrhunderts zu arrangieren.

Man muss Tintoretto im Kontext seiner Zeit sehen

Anders als mit dieser Aufteilung auf zwei Standorte hätte die Ausstellung so nicht stattfinden können, ließe sich doch das Hauptwerk des frühen Tintoretto, das „Sklavenwunder“, auch „Wunder des hl. Markus“, von 1548 mit seinen rund vier mal fünfeinhalb Metern, gar nicht aus der Akademie herausbringen. Da war Tintoretto knapp 30 Jahre alt und drängt zwei Dutzend Figuren auf der Bühnenarchitektur seiner Komposition unter einem vom Himmel herabstürzenden Heiligen zusammen, wie es noch kein Maler vor ihm gewagt hatte. Dass die Schergen, die den ob seines Glaubens gemarterten Sklaven zu Tode bringen wollen, zumeist Türkenturbane tragen, muss als Kommentar zum Zeitgeschehen verstanden werden. Das Osmanische Reich hatte der Republik Venedig empfindliche Verluste im östlichen Mittelmeer zugefügt, und die Umorientierung der Wirtschaft auf Manufaktur sowie die Landwirtschaft der terraferma war gerade im Gange.

Überhaupt kann man Tintoretto nicht losgelöst von den politischen, gesellschaftlichen und nicht zuletzt intellektuellen Umwälzungen seiner Zeit betrachten. Da stößt jede Ausstellung an Grenzen und muss den Betrachter an die Kataloglektüre verweisen. In dieser Hinsicht war der Begleitband der ein Jahr zuvor im Kölner Wallraf-Richartz-Museum gezeigten Ausstellung unter dem etwas reißerischen Titel „Tintoretto. A Star was Born“ ergiebiger als der jetzige, rein aufs Kunsthistorische konzentrierte Katalog der Ausstellung im Dogenpalast, der übrigens am Geburtsjahr 1519 festhält.

Verschlüsselte Anspielungen

Wozu überhaupt eine Ausstellung, wo doch Venedig voll ist mit Tintoretto-Werken in Kirchen, der besagten Scuola – dem Versammlungshaus einer wohltätigen Laienbrüderschaft – und eben den Staatsräumen des Dogenpalasts, bis hin zum gigantischen „Saal des Großen Rates“? Der entscheidende Grund ist die Nähe, die der Betrachter zu den Werken gewinnt.

Was in den beiden Ausstellungen gezeigt wird, ist eben tatsächlich Tintoretto, soweit dies die Wissenschaft überhaupt sagen kann. Kaum zu verstehen sind die verschlüsselten Anspielungen, die Tintoretto in seinen Bildern macht, und die auf seine Auftraggeber zurückgehen. Derlei war in früheren Jahrhunderten üblich. Im selben Maße, wie Bildung und Belesenheit der venezianischen Elite seit der Einführung des Buchdrucks zunahmen und sich um antike Werke und zeitgenössische Dichtung vergrößerten, wurden auch die Bildprogramme immer komplizierter. Was an den überraschenden Kompositionen Tintorettos von ihm selbst stammte oder aber durch gelehrten Austausch in sie hineingetragen wurde, lässt sich wohl kaum mehr entwirren.

Ein Bildregisseur, der auf Action setzte

Tintoretto jedenfalls beherrschte alle Genres. In der „Schöpfung der Tiere“ von 1530 malt er die Hasen am Bildrand, als habe er sie bei Dürer abgeschaut – dessen Grafiken er, wie überhaupt alle erreichbaren Vorbilder, eifrig sammelte –, bei „Susanna im Bade“ nimmt er den Wettstreit mit Tizians Akten auf, in den Ehrfurcht gebietenden Porträts ist er Konkurrent wiederum von Tizian oder Lorenzo Lotto. Sich selbst hat er am Beginn seiner Laufbahn mit übergroßen und am Ende des Lebens mit ermüdeten Augen gemalt, als wollte er sagen, dass er mit größeren Augen, „besser“ als alle anderen geschaut habe.

Dabei war er doch ein großer Bild-Verführer, ein Regisseur, der auf Action setzte – die er im Augenblick höchster Spannung festzuhalten verstand, wie im „Raub der Helena“, bekanntlich der Auslöser des Trojanischen Krieges, der vom Maler 1578 in eine allen Zeitgenossen verständliche Gefechtsszene mit den Osmanen eingebettet wird. Zugleich sieht man hier auf immerhin fast Zimmerwandgröße, was sich im Dogenpalast bei den Riesenformaten der Schlachtenbilder im Dämmerlicht verliert.

Eine Once in a lifetime-Gelegenheit

Übrigens entfalten die vier (annähernden) Quadrate von 1578, die aus dem Dogenpalast herbeigeschafft und dort durch fotografische Kopien ersetzt wurden, als Bildserie vor einer neutralen Ausstellungswand eine ganz andere Wirkung als inmitten der optischen Überfülle des Staatshauses. Zu sehen sind Allegorien auf Venedig, das sich im 16. Jahrhundert als Hort einer weisen, harmonischen und wohltätigen Herrschaft neu inszenierte.

All die Bilder zusammengebracht zu haben, verdankt sich der Kooperation der Museen Venedigs mit der Nationalgalerie in Washington, die die Ausstellung im Anschluss zeigt, und gelang nur dank der Leihgaben vor allem aus Wien, London und Madrid. Fürwahr, es ist eine Once in a lifetime-Gelegenheit, die sich da im Augenblick bietet, verbunden mit dem Trost, dass die bedeutendsten Tintorettos ohnehin in Venedig verbleiben.

Venedig, Dogenpalast, bis 6. Januar. Anschließend Washington, National Gallery, 10. März – 7. Juli. Katalog bei Marsilio (ital. o. engl.), 45 €. – palazzoducale.visitmuve.it

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