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Kultur: Engel der Dienstleistung

Schöne, alte Leier: Depeche Mode in Berlin

Im letzten Jahr haben Depeche Mode nach einer langen Leidenszeit mit Trennungsgerüchten, Soloprojekten, Selbstmordversuchen und Drogenentzug entgegen allen Erwartungen ein großes Album vorgelegt, das zu ihren besten gehört. Welche andere Band wäre nach fünfundzwanzig Jahren zu einer Platte fähig, deren Klanggestalt derart beißende Schärfe mit bohrender Schwermut vereint?

„Playing The Angel“ ist allerdings ein etwas sperriges Album, und für einige der Songs, so musste man am Mittwochabend im ausverkauften Berliner Velodrom feststellen, haben Depeche Mode noch keine konzerttaugliche Form gefunden. Nach der ersten Hälfte erlebt der Abend einen empfindlichen Stimmungseinbruch, der nur mit geballtem Einsatz alten Hitmaterials wieder ausgebügelt werden kann – das allerdings mit großer Wucht. „I feel you“, „Personal Jesus“ und vor allem „Enjoy the Silence“ sorgen bei 10 000 Mitsingenden für helles Entzücken.

Foto-Künstler Anton Corbijn, seit vielen Jahren für das Erscheinungsbild von Depeche Mode zuständig, hat bei seinem Bühnenbild die Tasteninstrumente in drei terrassenartig angeordneten Konsolen verborgen. Ein sputnikrunder Satellit spuckt auf beidseitig eingelassenen LED-Laufbändern existenzialistische Echos des zur Aufführung anstehenden Songs aus: lament, regret, und absolution, gelegentlich auch love, und einmal sogar ein verschämt-deutsches „zuhause“ (zum Titel „Home“). Der stumpf-silberne Bühnenaufbau wirkt wie die Brücke eines retrofuturistischen Schlachtschiffs, das schon bessere Tage gesehen hat – man sorgt sich, David Gahan könnte darin Beulen schlagen mit seinem zackig-ausladenden Bewegungen.

Denn der Sänger schenkt sich auch diesmal nichts. Nach zwei Eröffnungsstücken vom neuen Album findet er beim Klassiker „Question of Time“ zu seiner berühmten Bühnenpose. Den weiträumig tätowierten Oberkörper entblößend breitet er in Jesuspose die Arme aus und zwingt dem Mikrofonständer seinen Veitstanz auf. Er steppt, schreitet, trippelt, rennt, fliegt und dreht sich über die Bühne, als müsste er sich einen Schwarm Insekten vom Leib halten. Martin Gore dagegen personifiziert den titelgebenden Engel als scheues Vogeltier: Er trägt eine schwarze Gockelmütze mit aufgenähtem Irokesen, dazu kleine schwarze Engelsflügelchen. Der Klang ist exzellent, der Schlagzeuger entwickelt Druck, Martin und David scheinen sich wieder lieb zu haben. Gemessen aber an ihrem überraschend kraftvollen Album ist es ein langweiliger Auftritt: ohne Wagnis, ohne Nachdruck, ohne Notwendigkeit und ohne Kunstwollen. Fünf Zugaben gibt’s, darunter auch einige der dünnen Popsynthieliedchen aus der Anfangszeit. Sie entfalten die subtile Wirkung von Liebestötern. Ältere Fans ließen sich die Freude am Altbekannten allerdings nicht nehmen und warfen noch einmal ausgelassen die Arme in die Höhe.

An diesem Abend schrumpften die Zeremonienmeister von Depeche Mode aufs Normalmaß von Berufsmusikern, die sich freuen, ihr Stammpublikum zu sehen, und ihm geben, was es verlangt. Das ist keine schwarze Messe mehr, keine Massenbeschwörung, sondern eher das Jahrestreffen alter Bekannter, die sich im Voraus auf das Procedere einigen. Ein geglücktes Dienstleistungskonzert: die wichtigsten Titel vorgetragen, das Publikum selig. Künstlerisch dagegen war der Abend eine Enttäuschung, oder, wie eine Besucherin zu ihrem Begleiter sagte: „Schön war’s. Die alte Leier halt.“

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