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Versteinerung aus dem Kambrium. Ein Trilobit oder Dreilappkrebs.

© ullstein bild - Archiv Gerstenbe/ULLSTEIN - ARCHIV GERSTENBERG

Erdgeschichte: Eine Reise durch ausgestorbene Ökosysteme

Der junge britische Paläobiologe Thomas Halliday nimmt seine Leser mit auf eine abenteuerliche Bildungsreise.

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Der junge britische Paläobiologe Thomas Halliday nimmt seine Leser mit auf eine abenteuerliche Bildungsreise durch die ausgestorbenen Ökosysteme der Erdgeschichte. Sein fabelhaftes Buch „Urwelten“ vermittelt den Stand der Forschung und hat zugleich literarische Vorbilder, etwa H.G. Wells „Zeitmaschine“. In umgekehrter Chronologie steigen wir auf immer weiter entlegenen Stufen der Erdgeschichte aus und finden uns wieder in immer fremderen Welten, die Halliday mit erstaunlicher Beschreibungskunst vergegenwärtigt.

Seine Schilderung des ausgetrockneten Mittelmeeres im Miozän wird man nicht vergessen. Es war eine Salzwüste, die kilometerweit in die Erde hineinreichte. Rasende Fallwinde stürzten in die Höllentiefe und erhitzten durch Reibung die Luft am Grund auf 80 Grad. Schließlich rissen die verkanteten geologischen Platten bei Gibraltar wieder auseinander, und der Atlantik strömte ein. Es bildeten sich die mächtigsten Wasserfälle der Erdgeschichte, bis das Mittelmeer nach zwei Jahren gefüllt war. Fulminantes Inferno-Kino bieten auch jene Passagen, in denen der gigantische sibirische Vulkanausbruch am Ende des Perm-Zeitalters beschrieben wird. Weltweit wüteten Brände, auf der verdunkelten Erde fand keine Fotosynthese mehr statt, in den erhitzten Ozeanen starben 95 Prozent aller Lebewesen. Es war das größte Massenaussterben der Erdgeschichte.

Es geht Halliday aber nicht nur um überwältigende Panoramen, sondern vor allem auch darum, ökologische Kontexte sichtbar und verständlich zu machen. Deshalb erfährt man viel über die unscheinbaren Geschehnisse im Reich der Bakterien und Pilze oder über die Auswirkungen veränderter Meeres- und Luftströmungen. Das scheinbar Beständigste ist im Zeitraffer der Jahrmillionen krassen Veränderungen unterworfen. Noch vor zwölftausend Jahren gab es eine Landbrücke von Asien nach Nordamerika; vor 250 Millionen Jahren waren sogar noch alle Landmassen der Erde verbunden im Superkontinent Pangäa, der vom Weltozean Panthalassa umspült wurde.

Die Menschen sind die Profiteure jener Klimakatastrophe, die nach dem gewaltigen Asteroideneinschlag vor 66 Millionen Jahren die Saurier – bis auf die Vögel – auslöschte und damit Entwicklungsräume für Säugetiere schuf. Dass Säugetiere oft nachtaktiv sind (und deshalb meist Defizite beim Farbensehen haben), ist noch ein Überbleibsel jener Zeit, als am Tag die Dinos herrschten. Säuger seien damals „Spezialisten für das Leben an dunklen Orten“ geworden, schreibt Halliday.

Er lässt keinen Zweifel daran, dass derzeit unsere Gattung das sechste Massenaussterben herbeiführt. 96 Prozent aller Säugetiere sind inzwischen Menschen oder menschliche Haus- und Nutztiere. Eine Lehre dieses Buches besteht aber auch in der Anpassungsfähigkeit des Lebens, das sich nach ein paar Millionen Jahren noch immer von den Rückschlägen erholt hat. Wenn eine Ressource da ist, entwickeln sich irgendwann auch Konsumenten.

Gegenwärtig ist der Planet voller Plastikmüll, und seit kurzem entstehen Bakterien und Pilze, die sich davon ernähren – Evolution live. Immer wieder findet das Leben an verschiedenen Orten der Erde ähnliche Lösungen, wenn gleiche Problemstellungen zu bewältigen sind. Von daher hat die körperliche Erscheinung der Lebewesen, mag sie bisweilen auch verwunderlich wirken, eine Logik, die der vermeintlichen Zufälligkeit der Evolution entgegensteht.

Die Erde pendelt zwischen den Zuständen des „Eishauses“ (wozu trotz Erderwärmung auch die Gegenwart gehört) und des „Treibhauses“, wenn die Pole eisfrei sind. Zuletzt war das im Eozän vor 40 Millionen Jahren der Fall: „Das Wasser ist nicht in Gebirgsgletschern oder endlosen Eisschilden eingeschlossen, daher ist der Meeresspiegel hundert Meter höher als heute, und das Klima ist, aus menschlicher Sicht, auf allen Erdteilen recht angenehm.“

Denn auch wenn auf der bewaldeten Antarktis 25 Grad herrschten – die Äquatorregionen waren nicht heißer als heute. Bei diesem Meeresspiegel würde der größte Teil Deutschlands allerdings unter Wasser liegen, wovon noch die maritimen Fossilien in Süddeutschland zeugen. Eine Entwarnung beim Thema Klimawandel gibt Thomas Halliday deshalb nicht. Eine Lösung, wie man heißem und trockenem Klima entgehen kann, fand in der damaligen Region Pakistan übrigens ein Tier namens Pakicetus, das in Größe und Aussehen dem Wolf ähnelte. Es ging ins Wasser und wurde zum ersten Wal.

Letzter Halt von Hallidays wundersamer Reise ist das Ediacarium vor 600 Millionen Jahren. Damals, als sich die ersten Mehrzeller auf der öden Erde entwickelten, sah selbst der Mond noch anders aus: 12000 Kilometer näher an der Erde und viel heller. Schauen wir nach der augenöffnenden Lektüre also schnell noch einmal den Trabanten an, bevor er sich weiter von uns entfernt, mit der unbeirrbaren Geschwindigkeit von vier Zentimetern im Jahr.

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