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Eröffnung beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb: Die Kraft der Literatur beschwören
Mit einer Rede der deutsch-iranischen Schriftstellerin Nava Ebrahimi sind die 49. Tage der deutschsprachigen Literatur eröffnet worden. Bis Sonntag wird in Klagenfurt nun vorgelesen und bewertet.
Stand:
Die Welt ist nicht erst seit ein paar Jahren schwer in Unordnung geraten, und alles scheint immer noch schlimmer zu werden.
In Klagenfurt, beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, hatte man jedoch häufig das Gefühl, sich in einer Parallelwelt zu befinden; keiner besseren, aber doch einer, in der es um nichts als Literatur ging, nicht zuletzt um die bei diesem Wettbewerb vorgetragene, nicht immer großartige, nicht immer „welthaltige“. Die oft selbstbezüglichen Eröffnungsreden von ehemaligen Bachmannpreisträgerinnen und -preisträgern verstärkten diesen Eindruck zusätzlich.
In diesem Jahr ist das anders, wie man bei der Eröffnung des Wettbewerbs am Mittwochabend erleben konnte. Zumindest, als nach den üblichen Reden der Kärntner ORF-Landesdirektorin Karin Bernhard und der durchweg männlichen Vertreter der Sponsoren des Wettbewerbs erst der Jury-Vorsitzende Klaus Kastberger das Bachmannpreis-Publikum begrüßt und dann die deutsch-iranische Schriftstellerin Nava Ebrahimi die traditionelle Klagenfurter Rede zur Literatur hält.
Räume der Reflexion
„Aus Kostengründen“ hat Kastberger seine Ansprache überschrieben, um damit auf die Einsparungen der Stadt Klagenfurt hinzuweisen, die den Wettbewerb zumindest mittelbar betreffen (der „Häschenschule“ genannte Nachwuchskurs vor dem Bachmann-Lesen ist gestrichen worden, der Empfang beim Bürgermeister, den Kastberger allerdings nicht nennt, ihm nachvollziehbarer Weise zu profan) und vor allem die gesamte lokale Kulturszene. Kastbergers Rede läuft schließlich auf das globale Kriegschaos hinaus, auf die Eskalation der Gewalt, und dass Kunst und Kultur als „Werkzeuge der Empathie dringlicher denn je“ gebraucht würden.
Die Literatur, so Kastberger, schaffe „Räume der Reflexion“, und „hier in Klagenfurt feiern wir die Literatur auch nicht als einen Selbstzweck, sondern wir vertrauen uns ihr an. Weil gerade in Zeiten, in denen die Welt out of joint ist, Literatur an diesem Zustand etwas Essenzielles begreifbar machen kann“.
Er sei überzeugt davon, dass die Literatur als „utopische Kraft gegen scheinbar undurchdringliche gesellschaftliche und politische Zwänge“ die Chance auf eine bessere Welt aufzeige. Diese Chancen solle man sich nicht nehmen lassen, „nicht von kulturfeindlicher Politik, nicht von verheerenden Zuständen in der Welt, und auch nicht aus Kostengründen“.
Sich gegen den Sog der Alternativlosigkeit stemmen
Im Grunde schließt Nava Ebrahimi, die 2021 den Bachmann-Preis mit ihrem Text „Der Cousin“ gewann, direkt an Kastbergers Worte an. Von drei Tagen im Mai erzählt sie, vom 7. Mai, als sie Naomi Kleins Analyse des „Endzeit-Faschismus“ à la Trump und Musk hört, vom 8. Mai, als die Erinnerungen an das Ende des Zweiten Weltkriegs medial auf sie einstürmen, vom 9. Mai, als Margot Friedländer stirbt und sie selbst das Begräbnis einer jungen Regisseurin besucht, die ihren Klagenfurt-Preistext verfilmen wollte.
Die ganze Welt ist aus den Fugen, so durchströmt es diese Rede von Ebrahimi, wie da noch zu einer Sprache finden, und natürlich erwähnt sie Gaza, wo „die Kinder verhungern“ und der neue Papst doch bitte Hilfslieferungen zulassen solle. Sie erwähnt den 7. Oktober und eine Freundin, die ihr anvertraut, mit ihrer Tochter Hebräisch zu sprechen: „Ich merke, wie ich glaube, herausfinden zu müssen, wo sie steht.“
Wo Ebrahimi steht, ist offensichtlich, ohne dass sie das präzisieren würde. Da muss die Angst davor herhalten, „wie wir nach und nach alle Ideale, Werte und Überzeugungen verraten“.
Am Ende, an diesem Tag der Eröffnung, dem 25. Juni, sei alles noch viel schlimmer geworden, sagt Ebrahimi. Doch will sie sich dem „Sog der Alternativlosigkeit“ entgegenstemmen, den apokalyptischen Erzählungen. Also beschwört sie, wie Kastberger, die Kraft der Literatur, setzt sie auf die „Geschichten von Verbundenheit und Verantwortung, Geschichten von Zugehörigkeit und Zusammenhalt, die einen viel stärkeren Sog ausüben können, solange wir nicht alles Menschliche in uns abgetötet haben.“
Ob diese Geschichten und das Utopische an der Literatur wirklich helfen, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt; doch solcherart gestärkt und beseelt lässt sich ein Literaturwettbewerb natürlich schon mal besser an.
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