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Perfekte Prosa. Schriftsteller Ulf Erdmann Ziegler.

© Jürgen Bauer/Suhrkamp Verlag

Erzählungen von Ulf Erdmann Ziegler: Liebe in den Zeiten der Frösche

Mitten in Deutschland und jenseits davon: „Schottland und andere Erzählungen“ von Ulf Erdmann Ziegler.

Von so einer durchschnittlichen Leserin träumen alle, die sich von Berufs wegen mit Literatur beschäftigen: einer Juristin um die dreißig, die in einer Kanzlei arbeitet und dort für „Vermögensfragen im europäischen Kontext“ zuständig ist – und der dann nach der Trennung von ihrem Liebhaber einfällt, sie habe in dessen Wohnung Gott sei Dank nur noch eine Zahnbürste, eine halbe Packung Tampons und, genau: Mo Yans Roman „Frösche“ zurückgelassen. Und den Roman des chinesischen Literaturnobelpreisträgers hatte sie sich sowieso schon ein zweites Mal gekauft.

So endet eine Geschichte in Ulf Erdmann Zieglers neuem Buch „Schottland und andere Erzählungen“, und so sehr man überrascht ist, ja, auch lachen muss über die Mo-Yan-Lektüre der Juristin, so hintergründig und wohl gewählt ist diese, wie so vieles in diesen Erzählungen von Ziegler. Denn „Anton Wilhelm“, wie der verflossene Liebhaber und auch diese Geschichte heißt, ist kein Anton Reiser, sondern ein rabiater, radikaler Tierschützer, der am Rand des Gesetzes agiert und von der Polizei gesucht wird, als er wieder einmal tausend Nerze aus einer Farm hat ausbüchsen lassen.

Nein, Ulf Erdmann Ziegler überlässt nichts dem Zufall, er wartet nicht darauf, wohin ihn seine Geschichten tragen. Wie in Romanen wie „Hamburger Hochbahn“ oder „Nichts Weißes“, wie in seiner sogenannten Autogeografie „Wilde Wiesen“ überzeugt er hier abermals mit seinem fotografischen Blick und seiner Neigung zu geradezu geometrischen Vermessungen seiner jeweiligen Szenerien. Zieglers Prosa ist sehr genau, sie strahlt eine gewisse Kühle ab, und doch sind seine Figuren enorm lebendig, man spürt die Empathie, die Ziegler für sie hat.

Streifzug durch Zeit und Raum

Für das einstige Liebespaar, das sich seit Studienzeiten kennt, im Süden Deutschlands als Vertreter für Traktoren- und Sägenhersteller unterwegs ist und nun sich über Jahrzehnte immer mal wieder zu einem Schäferstündchen trifft. Für die alleinstehende Frau, die in einem Labor arbeitet und der die Dinge endgültig ins Rutschen geraten, als ihre Mutter stirbt. Oder für den alten Punk Hermann, der früher Olaf hieß, sich im Berlin der Gegenwart durchschlägt und immer wieder von seiner Herkunft vor den Toren Hamburgs eingeholt wird, inklusive der Auseinandersetzungen mit seinem Banker-Bruder Joachim. Das Milieu, aus dem Zieglers Figuren stammen, ist ein studentisch-akademisches, steckt tief im Berufsleben (man wundert sich, wie gut sich Ziegler in so manchem Berufsfeld auskennt, von der Psychotherapie bis hin zu eben jener Vertretertätigkeit), und es ist viel unterwegs: Eine Figur stammt aus Israel und landet bei einer Tanzgruppe im schottischen Dundee; ein Frankfurter Arzt geht in Schweden zu einer Beerdigung eines alten, väterlichen Freundes; ein Paar, das so seine Probleme hat, empfängt in Ligurien ein anderes Paar. In der Regel haben die Figuren schon ein Leben hinter sich, ganz sicher die Lebensmitte, haben entscheidende Brüche verarbeitet, machen sich keine Illusionen über eine bessere Zukunft – und doch gibt es den einen oder anderen Hoffnungsschimmer, durch neue Bekannte, neue Lieben.

Fast spielerisch durchstreift Ziegler Zeiten und Räume, versteht er es, so manche Tragik eines Lebens auf wenigen Seiten zu entfalten. Nur manchmal wirkt das Ende einer Geschichte zu perfekt, bekommt man den Eindruck, Ziegler habe diese überhaupt nur auf das Ende hin geschrieben, so wie auf die Ratte, die plötzlich aus einer Mülltonne schaut, als der Erzähler darin seine Hit-Cassette von ehedem verschwinden lassen will mitsamt den Erinnerungen an die Liebeleien von früher. Aber wie zärtlich, wie geglückt erzählt Ziegler in „So nah sie sein mag“ von dem Beginn einer Beziehung, die auch heute noch hält!

Doch, das alles sind Geschichten, gerade auch solche der Liebe, aus einer bestimmten Generation, einem bestimmten Milieu mitsamt seinen Verwehungen, mitten in Deutschland, selbst in jenem, das mit seinen aktuellen politischen Verwerfungen, seinem Rechtspopulismus gerade alles überlagert. Wären diese Erzählungen ein Roman, gehörte dieser mindestens auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. Zieglers Prosa ist um einiges besser als die so manchen Romans auf der aktuellen Liste.

Ulf Erdmann Ziegler: Schottland und andere Erzählungen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 192 Seiten, 22 €.

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