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Kultur: Es war einmal in Toledo

Zum Anschwellen des Bilderstreits: Botho Strauß, der Islam und die Lehren von Byzanz

Druck kann Klarheit erzeugen. Aber auch Angst. Wir erleben im Augenblick beides. „Wir sind ja nicht bloß eine säkulare, sondern weitgehend eine geistlose Gesellschaft“, konstatiert der Dramatiker Botho Strauß im „Spiegel“. Strauß meldet sich zu Wort mit einem für seine Verhältnisse prägnanten, uneitlen und eher kurzen Text („Der Konflikt“). Er ist, mit einem Wort, klug. Jedenfalls in seiner Analyse. Er sagt: Der Islam bezieht „seine stärkste Wirkung aus seiner sozialen Integrationskraft. Seine diesseitigen Vorteile lässt man leicht außer acht, wenn man sich mit dem politisch-spirituellen Konflikt beschäftigt.“

Strauß überrascht. Doch der Blick nach Palästina, wo die Hamas bei den Wahlen einen gewaltigen Sieg errang, bestätigt ihn. Die Radikalen, die Israel das Existenzrecht absprechen, haben auch und vor allem wegen ihres sozialen Engagements die Wählerstimmen bekommen. Gleiches gilt, auch wenn man das hierzulande nicht gern hört und nur schwer versteht, für die Hisbollah in Libanon. „Die Wirklichkeit der Hisbollah ist verwirrend komplex. Wer diese Organisation als homogenen sozialen Körper beschreibt, unterschätzt sowohl ihre Anziehungskraft und tiefe Verwurzelung in der Gesellschaft des (libanesischen) Südens als auch ihre Gefährlichkeit.“ Dies schrieb die Reporterin Carolin Emcke in dem 2004 bei S. Fischer erschienenen Buch „Von den Kriegen“. Strauß, eher als Bewohner seines uckermärkischen Elfenbeinturms bekannt, ist von Emckes Einschätzung (und Hilflosigkeit) nicht weit entfernt.

Spott und Satire, sagt der Philosoph, der Stücke schreibt, führen nicht weiter. Sind Pyrrhussiege, möchte man ergänzen. Er sagt: „Die religiös Indifferenten leben nicht mehr ganz unter sich in diesem Land.“ Diese Indifferenten sind wir. „Der Verletzung sakraler Gefühle kommt daher eine andere Bedeutung zu als in der früheren Bundesrepublik.“ Strauß sieht Deutschland als ein anderes Land, als es vor zehn oder zwanzig Jahren war; nicht nur weltoffen, sondern offen in der Welt stehend. Er fordert, dass die Verletzung sakraler Gefühle ebenso strafbar sein müsse wie die Verletzung der zivilen Ehre. Das zielt wohl eher gegen unsere eigene Gottlosigkeit und Mythenferne, als es für den Fundamentalismus der anderen schwärmt. Das Fremde, Fundamentale aber stößt hier in ein großes Vakuum.

Am Berliner Ensemble läuft derzeit Botho Strauß’ Stück „Schändung“, eine Shakespeare-Variation. Da wird Rom von Barbaren unterwandert, und die Römer – das wären wir – antworten mit beispielloser Grausamkeit auf die grässlichen Taten der Fremden. Angst! Und Rache!

Auch Heiner Müller hat, vor reichlich zwanzig Jahren, Shakespeares „Titus Andronicus“ bearbeitet. Seine „Anatomie Titus“ feiert den „Fall of Rome“, also unseren eigenen, wir hätten’s demnach verdient. Johan Simons’ luzide Müller-Inszenierung, die 2003 an den Münchner Kammerspielen herauskam, zeigte es so: Wir leben im Überfluss, halten nur Geldwerte hoch, wir sind am Ende dann die Überflüssigen der Geschichte. Das war einmal, grob gesagt, eine linke Haltung. Strauß dagegen wird seit längerem der Rechten zugerechnet. Aber man sieht: Links und rechts sind nicht mehr das Thema, in Berlin regiert die große Koalition. Die neue Richtungsfrage scheint zu sein: gläubig oder ungläubig. Karikatur oder Schwur.

„Schändung“. Ein prophetischer Titel. Geschändet wird in dem Stück (Regie: Thomas Langhoff) nicht ein Symbol des Glaubens, sondern eine junge Frau. Mit allen erdenklichen Qualen. Und wenn man sieht, wie manche Zuschauer auf diese Szene im Berliner Ensemble reagieren, nämlich mit Abscheu und Entsetzen, erkennt man auch, dass das Gefühl für Bild und Darstellung in unseren Breiten doch noch nicht vollständig abhanden gekommen ist. Das Dilemma vor allem der Künstler ist aber: Sie müssen zu immer drastischeren Mitteln greifen, um überhaupt noch Wirkung zu erzielen. Und sind erst einmal die Tabus der eigenen Gesellschaft aufgebraucht, sucht man sich andere. Das geschieht im Moment.

Es geschieht auch, wie Strauß beklagt, dass man in Berlin erlebt, wie die eigenen Kinder mit ausländerfeindlichen Parolen überzogen werden. Verkehrte Welt. Der Alarmist Frank Schirrmacher hat in der „FAZ“ die Gedanken von Botho Strauß, was sonst, zu einer bevölkerungspolitischen Warnung verdreht. Wir Methusalems, so muss man Schirrmacher lesen, werden bald von zornigen jungen muslimischen Männern umgeben sein. Verkehrte Welt, noch einmal: Strauß hingegen erinnert an Toledo, wo im Mittelalter eine Blütezeit religiöser Toleranz und „westöstlicher Synergien“ herrschte. Es wäre in der Tat verheerend, die modernen Phasen des Islam in der Geschichte zu negieren. Allerdings war der Islam damals nicht allein eine Weltreligion. Sondern die islamischen Reiche regierten auch die Welt, auch große Teile der westlichen. Siegern fällt Toleranz leichter.

Vielleicht geht man jetzt, da die alten Geschichten wieder auftauchen, zum Beispiel auch die Idee einer Großmacht Iran, noch weiter zurück. Als die in Expansion begriffenen Araber im Jahre 717 Konstantinopel, die christliche Hauptstadt neben Rom, belagerten, ließ der Kaiser ein Bild der Gottesmutter um die Stadtmauern tragen. Der Angriff wurde abgewehrt. Aber innerhalb der byzantinischen Gesellschaft entspann sich über lange Jahrzehnte der blutige Bilderkrieg. Klöster und Kirchen wurden zerstört von den Ikonoklasten, den Bilderstürmern (die auch später in der Christenheit immer wieder auftraten). Es ging um die Frage, ob Christus darstellbar sei im Bild. Und wie heute, so mischten sich damals politische Interessen in den philosophisch-theologischen Streit, reine Machtfragen. Die Ikonodulen, die Bilderverehrer, setzten sich schließlich durch gegen die Ikonoklasten, die in der arabisch-jüdischen Tradition der Bilderfeindschaft standen. Vom Ausgang dieses Streits, der uns auf den ersten Blick tatsächlich byzantinisch anmuten mag, profitieren wir bis heute. Von der Freiheit und Möglichkeit der Darstellung. Jahrhunderte später entwickelte die Renaissance die Perspektive, das weltliche Bild, malte auf Leinwand, nicht mehr auf Holz. Die Freiheit, Gott darzustellen, beeinflusst unmittelbar die Freiheit aller künstlerischen Darstellung. Wir hatten das vergessen.

Botho Strauß wäre nicht Botho Strauß, wenn er dem Konflikt nicht auch etwas abgewänne. Man hat ihn einen Apokalyptiker genannt. Er sagt jetzt: Die Zeit der „Gleich-Gültigkeit“ sei vorbei. „Wir haben sie hinter uns. Es war eine schwache Zeit.“ Und: „Der Konflikt ist nicht zu lösen“. Schon in seinem „Anschwellenden Bocksgesang“ (1993) sah er die heraufziehende Ohnmacht einer westlichen Gesellschaft, die nicht mehr an sich selbst und ihre Mythen glaubt, sondern nur noch an Moden. Seinem „Konflikt“-Beitrag geht aber alles Triumphale, Rechthaberische, Kriegerische ab. Der Literat wünscht sich, was übrig bleibt: „die Annäherung und den Disput der Schriftkulturen.“ Wer das als Rückfall ins Mittelalter bezeichnet, übersieht, dass das Mittelalter nicht nur finster war. Und dass nicht überall auf der Welt die mitteleuropäische Zeit gilt.

Der Theologe, der den Bilderstreit in Byzanz mit entschied, hieß Johannes Damaskenos, ursprünglich el Mansur. Ein arabischer Christ aus Damaskus, der im Schatzamt des dortigen Kalifen eine hohe Stellung innehatte, ehe er sich in das Sabas-Kloster bei Jerusalem zurückzog.

Rüdiger Schaper

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