
© ifProductions ERF Filmproduktion
Ewiges Wesen, flüchtiger Moment: „Leibniz“ von Edgar Reitz
In seinem filmischen Kammerspiel „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ widmet sich Filmregisseur Edgar Reitz der Frage, wie man einen charismatischen Universalgelehrten in ein Gemälde verwandelt.
Stand:
Das ungerechte Wort, mit dem man „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“, den jüngsten Film des bald 93-jährigen Edgar Reitz abfertigen könnte, heißt Fernsehen. Und müsste sofort hinzufügen: Doch was für eines! Hier lebt eine halb vergessene, aus der Zeit gefallene Strenge auf, die dem Kino gar nicht jenen wohlfeilen Vorrat emotionalisierender Gesten und Effekte abschauen will, das die Erzählkonventionen heute durch alle Formate hindurch bestimmt.
Wenn dieses halbessayistische Kammerspiel nicht die stille Grandeur entfaltet, wie sie Jacques Rivettes verwandtem Malerkrimi „Die schöne Querulantin“ nach Balzacs Erzählung „Das unbekannte Meisterwerk“ über dreieinhalb Stunden gelang, so sucht es bei allen bildungsbürgerlichen Anwandlungen doch einen eigenen Ton. Es kann nur die Spuren seines ursprünglichen Entwurfs, eines umfassenden Lebenspanoramas des Universalgelehrten, nicht ganz ablegen. Zehn Jahre lang verwarf Reitz, durch die 30 Teile seiner grandiosen „Heimat“ vielleicht zu sehr ans Epische gewöhnt, Drehbuch um Drehbuch des Schriftstellers Gert Heidenreich, bis er in der Episode des in einem Gemälde zu porträtierenden Leibniz seinen Stoff fand.

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Schloss Herrenhausen im Jahr 1704. Fürstin Sophie von Hannover (Barbara Sukowa) erhält einen Brief von ihrer Tochter Königin Sophie Charlotte von Preußen (Antonia Bill), die auf Schloss Lietzenburg bei Berlin weilt. Die Königin verzehrt sich nach ihrem ehemaligen Lehrer Leibniz (Edgar Selge) und wünscht sich ein Porträt von ihm. Ist‘s Dankbarkeit, Bewunderung oder gar Liebe, die sie dazu verleitet, ihr inneres Bild um ein äußeres ergänzen zu wollen? In ihrer Einsamkeit träumt sie davon, vor das Abbild zu treten und damit Konversation zu treiben.
Die erzählerische Dynamik wird vom Ringen um die angemessene Darstellung des Hofrats in Gang gehalten: dem Scheitern des rein akademisch ans Werk gehenden Hofmalers Lalandre (Lars Eidinger) und dem Triumph der frechen und beherzten Holländerin van de Meer (Aenne Schwarz). Ihn bekommt letztlich aber nicht mal der Gegenstand ihrer Bemühungen zu sehen. Die Nachricht von Sophie Charlottes überraschendem Tod bringt die Künstlerin dazu, das Gemälde zu zerstören.

© Ella Knorz
Die intellektuelle Spannung entsteht durch die teils direkt mit Leibniz im Herrenhausener Atelier verhandelten Fragen. Geht es beim Malen um eine Momentaufnahme oder um eine Erfassung des persönlichen Wesens in der Zeit? Reicht womöglich das geschickte Stopfen eines Gesichtslochs, das zwischen Perücke und Hintergrund ein Stückchen Individualität suggeriert. Leibniz fährt Lalandre zurecht in die selbstgefällige Parade: „Kennt ihn das Bild? Ruft es ,gesunde Haut‘? Oder ruft es ,aufrechtes Wesen‘? Ruft es ,schönes Wams‘? Oder ruft es ,erfülltes Leben‘?“
Gescheiterter Versuch
Es dauert nicht lange, und Lalandre schmeißt, verwirrt von Leibniz‘ Sophistereien, den Pinsel hin und verlässt brüskiert den Hof. Wenn damit nach einer knappen halben Stunde auch Lars Eidinger von der Szene verschwindet, ein Schauspieler, dem vieles gegeben sein mag, nicht aber, hinter seiner Rolle zu verschwinden, beginnt der Film zu atmen.
Mit der wunderbaren Aenne Schwarz, als Mijnheer van de Meer eingeführt, bevor sie sich als Frau offenbaren darf, tritt eine Schauspielerin an seine Stelle, die zusammen mit Edgar Selge, der den Hofrat als ironischen Geist anlegt, das Geschehen von nun an trägt. Auch sie hat Fragen: Was erlaubt die Kunst, was die Gesetze der Optik eigentlich verbieten? Oder: Muss ein Antlitz nicht aus einer dunklen Leinwand herauswachsen, wie auch Rembrandt aus dem Dunkel ins Licht malte?
Matthias Grunskys Kamera folgt diesen Reflexionen über Licht, Schatten und Perspektive mit äußerster Zurückhaltung und Filmbildern mit angedeuteter Chiaroscuro-Tendenz. Auch sonst üben sich Edgar Reitz und Co-Regisseur Anatol Schuster, der ihn vor allem bei der praktischen Koordination unterstützt hat, in Ökonomie. Jenseits der Szene, auf der sich in Lalandres Assistenzteam auch ein Blockflötist tummelt, dient Musik nur zu Überleitungszwecken.
Edgar Selge macht auch schnell den Nachhilfeunterricht in Sachen Leibniz vergessen: die Vorführung der berühmten Rechenmaschine und das Jonglieren mit bekannten Philosophemen von Theodizee-Gedanken bis zur Urfrage: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“
Er verleiht diesem gichtgeplagten Titanen des Geistes, der sich seiner Einfälle nur erwehren kann, indem er mit Hilfe seines eifrig mitnotierenden Adlatus Liebfried Cantor (Michael Kranz) eine riesige Zettelwirtschaft unterhält, eine physische Nahbarkeit, die noch den abstraktesten Gedanken auf die Erde zurückholt. Und durch den Park von Schloss Herrenhausen stolziert Emu Fritz als das aristokratischste Wesen, das sich in diese seltsame Gesellschaft verirrt hat.
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