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Der georgische Autor Davit Gabunia

© Rowohlt

"Farben der Nacht" von Davit Gabunia: Tiflis im Brennglas

Facettenreiches Spiel aus Abstoßung und Anziehung: Davit Gabunias raffiniert konstruierter und spannender Roman „Farben der Nacht“.

In der Abenddämmerung des 18. September 2012 eilt eine Frau durch die Straßen von Tiflis. Sie achtet nicht auf den Verkehr, hastet über mehrere Magistralen in Richtung Zoo. Kurz vor der Parlamentswahl ist die Stimmung in der georgischen Hauptstadt aufgeheizt. Das Fernsehen hat sein Programm unterbrochen und berichtet erstmals von Folter in den Gefängnissen. Es kommt immer wieder zu spontanen, teils gewalttätigen Demonstrationen gegen die Regierung. Die aufgewühlte Tina hat dafür keinen Blick. Besinnungslos läuft sie durch die Innenstadt, vorbei an einem riesigen weißen Monument und über mehrere Schleifen eines Viadukts.

Mehr als hundert Seiten lässt der 36-jährige Davit Gabunia, der als wichtigster jüngerer Dramatiker Georgiens gilt, in seinem fesselnden Debütroman „Farben der Nacht“ verstreichen, bis er Tina mit ihrer Sicht der Dinge zu Wort kommen lässt. Für die berufstätige Ehefrau und zweifache Mutter ändert sich durch ein Erlebnis am 18. August das Leben, doch der Autor konzentriert sich zunächst ganz auf die Perspektive ihres Mannes Surab. Auch für ihn wird der Tag zu einer Zäsur.

"Farben der Nacht" entwickelt sich zu einem veritablen Polit-Thriller

Der lethargische 31-Jährige hat vor Kurzem seine Arbeit verloren und widmet sich daher umso hingebungsvoller den beiden kleinen Söhnen. Nun aber sind Sommerferien, und die Kinder halten sich bei der Großmutter auf dem Land auf. Um Tina nicht zu stören, die in diesem extrem heißen Sommer auffallend viele Überstunden absolvieren muss, schläft Surab im Wohnzimmer.

Am 18. August sieht er vom Sofa aus zu, wie ins gegenüberliegende Haus ein attraktiver junger Mann einzieht, der einen roten Alfa Romeo besitzt. Auf Privatsphäre scheint der neue Mieter keinen Wert zu legen, denn er hängt weder Vorhänge auf noch löscht er hinter dünnen Gardinen das Licht, wenn er wechselnde Männer zum Rendezvous empfängt. Ob er spürt, dass er aus dem dunklen Wohnzimmer heraus beobachtet wird? Surab ist von dieser so ganz anderen Lebensweise abgestoßen und fasziniert zugleich und beginnt, wie wild den Nachbarn namens Schotiko zu filmen. Es entwickelt sich ein facettenreiches Spiel aus Abstoßung und Anziehung. Ist es „voll daneben“, einen fremden Menschen zu bespitzeln, wie es die Schweizerin Rachel Gratzfeld in ihrer leider recht ungelenken Übersetzung formuliert? Regelmäßig schreibt sie „hab“ statt „habe“ oder „er ist mir über“ für „er ist mir überlegen“ (statt „ich habe ihn satt“). Das erzeugt einen merkwürdig verschrobenen Eindruck von Mündlichkeit. Der Spannung, die dieser raffiniert konstruierte, multiperspektivische Roman entfaltet, tut das zum Glück keinen Abbruch. Denn als Surab im Fernsehen in einem Minister Schotikos Hauptlover erkennt und beschließt, sein geheimes Wissen zu Geld zu machen, entwickelt sich „Farben der Nacht“ zum veritablen Politthriller.

Davit Gabunia: Farben der Nacht. Roman. Aus dem Georgischen von Rachel Gratzfeld. Rowohlt Berlin 2018. 192 Seiten, 20 €.

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