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Festival für anatolische Musik: İç İçe will ein Hafen für die Community sein
Das Berliner Festival İç İçe wäre fast den Fördermittel-Kürzungen des Senats zum Opfer gefallen. Durch eine Crowdfunding-Aktion kann das Festival am 14. Juni doch stattfinden.
Stand:
Das İç İçe findet statt – und zwar „allem zum Trotz“, so das Motto des diesjährigen Festivals. Über die letzten Jahre hat sich das Festival für neue anatolische Musik zu einer wichtigen Veranstaltung migrantischer und queerer Communitys in Berlin entwickelt. An genau diesen liegt es nun auch, dass das İç İçe in eine weitere Runde gehen kann.
Für ihre Konzeptidee erhielt die İç İçe-Gründerin Melissa Kolukisagil 2020 im ersten Versuch eine Förderung des landeseigenen Musicboard Berlin – inzwischen sitzt sie dort selbst in einer der Jurys. 2021 fiel schließlich der Startschuss für das jährliche Event. „Für Menschen mit Ausgrenzungserfahrung ist es ein Wohlfühlort geworden“, sagt Kolukisagil beim Gespräch im Festivalbüro in Mitte.

© Katharina Köhler
Doch dieses Jahr schlugen sich die Kürzungen im Kulturbereich nieder: Zum ersten Mal hat Melissa Kolukisagil keine Förderung für ihr Herzensprojekt bekommen – İç İçe, wo 2024 unter anderem Rapperin Ebow zu erleben war, stand vor dem Aus. Also starteten sie und ihr Team eine Crowdfunding-Kampagne, um das nötige Geld zusammenzubekommen.
Mindestens 20.000 Euro müssen es werden, um unter anderem Gagen, Reisekosten und Übernachtungen für die Künstlerinnen und Künstler, die Veranstaltungsräume und die Technik zu bezahlen, erzählt Kolukisagil. Damit auch eine faire Bezahlung für sie und das Team sichergestellt ist, seien sogar 30.000 Euro nötig. Eingegangen sind bisher rund 17.400 Euro.
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Dennoch werden am Samstag rund 20 Acts Musik, Tanz oder Lesungen auf die Bühnen im Festsaal Kreuzberg bringen. Im Line-up findet sich eine Mischung aus Newcomern und alten Bekannten, es sind Berlinerinnen und Berliner dabei wie Xanax Attax und internationale Acts wie die italienisch-ägyptische Sängerin und Rapperin Lella Fadda oder Chamos aus den Niederlanden.
Der türkische Ausdruck İç İçe (sprich: Itsch Itsche) heißt übersetzt so viel wie „ineinander verwoben“. Denn das Festival versteht sich als Hafen für die ganze Palette diasporischer Communitys mit Bezug zum anatolischen Raum. „Man muss nicht mit der Musik groß geworden sein. Man muss nicht die Erfahrungen als Gastarbeiterkind oder -enkel haben“, sagt Kolukisagil. Alle seien willkommen.
Schutzraum sein für Menschen mit Mehrfachdiskriminierung
İç İçe soll außerdem explizit auch ein Festival sein für Menschen mit Mehrfachdiskriminierung, sagt die Festivalgründerin „Es reicht natürlich ein türkischer Nachname, um in Deutschland Ausschlüsse zu erfahren. Haben wir alle durchgemacht.“
Einige Gruppen würden aber auch innerhalb größerer anatolischer Communitys weitere Diskriminierungserfahrungen machen. Kurdische, alevitische, jüdische, griechische, armenische, queere Menschen: Für sie alle begreift sich das Festival als Schutzraum. Das hält das Team bewusst auch in einem Code of Conduct fest.

© Ceren Saner
Möglich ist alles dieses Jahr nur, weil das Team um Melissa Kolukisagil für sehr wenig Geld sehr viel arbeitet. Geplant war das nicht. Kolukisagil spricht an, dass in der Musikbranche vieles nur funktioniert, weil Beschäftigte nicht angemessen bezahlt werden. İç İçe wollte dazu immer ein Gegenentwurf sein.
Ob das Festival im nächsten Jahr noch einmal ohne Förderung stattfinden kann, da ist sich Kolukisagil deshalb auch nicht sicher. Dabei sieht sie es gerade in Zeiten des Rechtsrucks als wichtig an, Angebote für marginalisierte Gruppen zu schaffen.
Angenommen wird das Angebot des İç İçe allemal. Besonders freut es Kolukisagil, dass viele Besucherinnen und Besucher des Festivals unabhängig vom jeweiligen Line-up immer wieder zum İç İçe kämen.
Über die Zeit seien viele Freundschaften entstanden – und auch Festival-Liebesgeschichten gibt es, etwa diese: „Die beiden haben sich vor drei Jahren an der Bar kennengelernt und sind mittlerweile eins der İç İçe-Traumpaare.“ Inzwischen seien sie zusammengezogen.
Auch von einem queeren Pärchen, das sich beim İç İçe das erste Mal händchenhaltend in die Öffentlichkeit getraut habe, erzählt Melissa Kolukisagil. Für sie lebt das Festival von genau solchen Geschichten. „Obwohl die Veranstaltung von 15 Uhr bis sechs Uhr morgens geht, gehen die Leute mit viel mehr Energie nach Hause als sie reinkommen.“
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