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Kultur: Fluch der Käfer

Yeah, yeah, yeah: Liverpool will wieder Pop-Zentrum werden. Doch an jeder Ecke stehen die Beatles

Wer in Liverpool auf dem John-Lennon-Flughafen landet, den begrüßt der Slogan: „Above us only sky“. „Baby you can drive my car“ steht auf den Werbetafeln der Autovermietung, und so geht es dann weiter. Die geballte Ladung Beatles entlädt sich in der Mathew Street, wo einst das „Cavern“ stand, der Club, in dem die Beatles zum ersten und dann ganze 270 Mal auftraten. 1980 musste der Club einem Parkhaus weichen, inzwischen ist er im Nebengebäude neu erstanden.

Beim alljährlichen Mathew Street Festival filmen japanische Kamerateams japanische Beatles-Doubles mit kanariengelben Jacketts, die mit Vintage- Instrumenten vor englischen Pubs posieren. Am vergangenen Wochenende war es wieder so weit: Die bronzene Lennon-Statue wird umarmt, in den Beatles-Gedenk-Läden reißen sich Touristen um Beatles- Tassen, Statuen, Abbey-Road-Handtaschen, John-Lennon-Kerzen, Babystrampler mit dem aufgestickten Schriftzug „A hard days night“. Die Hauptattraktion Liverpools, „The Beatles Story“ hat man als nostalgische Reise in den aufwändig renovierten Albert Docks inszeniert.

Die Hafenanlagen beherbergen längst nicht mehr die Schuppen, in denen Studentenbands beim Gitarrenspiel von einer Weltkarriere träumen können. Zu einer illustren Mischung aus Kultur, Kommerz, Gastronomie und teuren Mietflächen umgebaut, hat man hier in einer ständigen Ausstellung den Weg der Fab Four vom ersten Auftritt bis hin zum Weltruhm ausführlich dokumentiert. Die Stadtrundfahrt „Magical Mystery Tour“ führt zu Lennon/McCartneys Elternhäusern und fast jedem Pub, in dem die Beatles mal ein Bier getrunken haben.

Die Vermarktung der Band macht die Stadt stellenweise zu einem disneyhaften Beatles-Erlebnispark. Das ist selbst für hartgesottene Beatlesfans irgendwann einmal zu viel. In einem der vielen Souvenirshops, aus deren Boxen natürlich Beatles-Hits dudeln, trifft man dann auf eine alte Dame oder einen kleinen Jungen, die leise und selbstvergessen „Hey Jude“ oder „Penny Lane“ mitsummen – es ist wohl doch eine große Liebe zwischen Liverpool und den Beatles.

Liverpool und Umgebung gehören zu den ärmsten Gegenden Englands. Außer dem Schiffsbau gab es kaum Industrie. Seit dieser Zweig abgesoffen ist wie einst das gelbe Unterseeboot der Beatles, verödeten erst die Werften, dann die ganze Stadt. Heute setzt man auf Dienstleistungen und Tourismus, aber außer einem berühmten Fußballclub hat man für Touristen nicht viel zu bieten. Nun besinnt sich Liverpool auf eine neue alte Bestimmung: als Wiege der Popmusik in England. Popkultur macht heute den Wirtschaftsstandort. Kaum eine andere englische Stadt hat so viele Musiker und Bands mit Nummer 1 Hits hervorgebracht: Echo & The Bunnymen, Elvis Costello, The Christians, Frankie goes to Hollywood.

Aktuelle, erfolgreiche Liverpooler Bands wie The Zotrons oder Ladytron sucht man auf dem Mathew Street Festival vergebens. Die 150 Bands aus 20 Ländern haben sich dem exakten Nachspielen der Beatles-Hits und anderer Knaller verpflichtet. Das trägt auch der traurigen Tatsache Rechnung, dass die meisten Menschen sich ab einem gewissen Alter nicht mehr für neue Bands interessieren, sondern nur noch die Hits ihrer Jugend hören wollen. Die jüngeren Leute, die am Wochenende aus ganz England nach Liverpool kommen, sind am Beatles-Kult, der Musik ihrer Eltern, weniger interessiert. Sie zeichnet ein unbedingter Amüsierwille und mangelndes Kälteempfinden aus. Die Engländerin bewegt sich bei nur zwölf Grad Celsius und starkem Wind ausschließlich in ärmellosen, hauchdünnen Oberteilen mit Spagettiträgern, tiefem Ausschnitt und Minirock, und auch die Männer stehen gerne im T-Shirt in der kühlen Herbstluft. Oberbekleidung ist grundsätzlich verpönt. Wer sich dem Wetter angemessen anzieht, ist mit Sicherheit Tourist. Hunderte von Teenagern ziehen nachts zu den vielen Bars und Clubs der Stadt, in den überfüllten Straßen staksen betrunkene High-Heel-Trägerinnen über das Kopfsteinpflaster, lärmen muntere Jungsgruppen. Liverpool ist heute das Vergnügungszentrum des Nordens.

Doch in diesem Jahr gab es zeitgleich zum eher rückwärtsgewandten Mathew Street Festival das frischere Creamfield Dance Festival. Das Cream, ein berühmter Liverpooler Electro-Club, organisiert auf einem alten Flughafengelände außerhalb der Stadt einen Massen-Rave, der jedes Jahr etwa 40000 Besucher anlockt. Viele englische Soundsystems, Bands wie die Scissor Sisters, Chemical Brothers und global agierende Djs wie Jeff Mills und Paul van Dyk bespielten das weitläufige Areal. In mehreren großen Zelten und einer Freiluftbühne tanzt man schon kurz nach Einlass hingebungsvoll.

Einige liebgewonnene Modeverirrungen der Berliner Loveparade, wie die Flokatistiefel und der Plüsch-BH, haben es bis in Englands Norden geschafft, auch Indianer mit Sonnenbrille, Nonnen, Ärzte, Bunnys und Teufel sind dabei. Insgesamt ist das Creamfield Festival entspannter, weniger hysterisch-zeigefreudig, dafür cooler und freundlicher als die Loveparade. Liverpool wird im Jahre 2008 Kulturhauptstadt Europas und fast verzweifelt weist man den Besucher jetzt schon auf die vielen Attraktionen, die imposante Architektur, den historischen Hafen, die Kulturschätze hin. Findet man hier doch die größte Museendichte außerhalb von London, das Liverpooler Symphonieorchester, das einzigartige Konservierungsmuseum. Noch was? Ach, ja: die Beatles.

Christiane Rösinger

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