Moshe Houri ist als Kioskbesitzer und Bauleiter in Tel Aviv zu Wohlstand gekommen. Shimon Ballas arbeitet als Professor für arabische Literatur an der dortigen Universität. Sami Michael ist einer der Bestseller-Autoren Israels. Und auch Samir Naqqash ist Schriftsteller, einer der bedeutendsten Israels sogar. Im Gegensatz zu seinem Kollegen wird er in seinem Heimatland allerdings kaum gelesen. Denn Naqquash schreibt in arabischer Sprache. Doch er ist Jude.
Vier alte Männer, in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts als Juden in Bagdad geboren. Sie alle fanden in ihrer Jugend zur Kommunistischen Partei und wurden im Irak deswegen verfolgt. Alle landeten auf der Flucht irgendwann in Israel, auch wenn sie mit dem Zionismus gar nichts am Hut hatten. Begeistert wurden sie in der neuen Heimat nicht gerade empfangen. Auch ein jüdischer Araber ist eben erstmal ein Araber und muss langsam an die Zivilisation herangeführt werden, wie Golda Meir es formulierte. So wurden die irakischen Neuankömmlinge beispielsweise mit DDT abgesprüht, bevor sie das Heilige Land betreten durften. Sicherheitshalber
Jüdische Araber? Arabische Juden? Mizrahim nennen sie sich selbst. Außenseiter im eigenen Land, erst hier, dann dort. Der in Bagdad geborene Schweizer Filmemacher Samir kennt Freud und Elend der Migration aus eigener Erfahrung – und den alltäglichen Rassismus wohl auch. In Forget Bagdad nimmt er diese Erfahrungen zum Anlass, sich ebenso offen wie scharfsinnig auf die Lebensgeschichten seiner Protagonisten einzulassen. Als weibliches Gegengewicht setzt er den vier freundlichen Herren die New Yorker Kulturwissenschaftlerin Ella Habiba Shohat gegenüber, die die Interessen der immer noch deklassierten Mizrahim in der Öffentlichkeit mit Witz und Verve vertritt.
„Forget Bagdad“ ist weit mehr als ein sympathischer Porträtfilm. Es ist eher eine komlexe Collage zu einigen weniger bekannten Aspekten der Geschichte des Nahen Ostens und eine intelligente Dekonstruktion des Rassismus überhaupt, angereichert mit Ausschnitten aus Dokumentar-, Spiel- und Propagandafilmen und garniert mit historischen und kulturellen Querverweisen.
Dabei hat „Forget Bagdad“ ausreichend Substanz, um auch in der aktuell angespannten politischen Lage zu bestehen. Ja, Samirs Anliegen scheint jetzt umso dringlicher. Und trotz aller politischen Hoffnungslosigkeit macht die Lebensweisheit der Helden auch Mut. Shimon Ballas etwa sieht die Koexistenz jüdischer und islamischer Traditionen in der eigenen Person als Bereicherung: Es ist, sagt er, „wie Bakklava, jede Schicht liebt die nächste. Und keine kann ohne die andere sein.“
In Berlin in den Hackeschen Höfen und und im fsk am Oranienplatz (beide OmU)