
© Andreas Lang
Folge 172 „Wochniks Wochenende“: Ruhebedürfnis oder künstlerischer Aktivismus
Ein Demonstrationsumzug mit Partitur oder der sprachlose Klang vibrierender Dinge – absichtslos ist hier nichts, meint unser Kolumnist.

Stand:
Wer schon mal längere Zeit in London oder New York – und nicht nur da – verbracht hat, wird sie schon mal erlebt haben: Laut redende, mit Megaphon verstärkte oder einfach aus voller Lunge schreiende Individuen, die ihre politischen Ansichten, Ängste, religiöse Überzeugungen und mehr in die Menge posaunen, mal in nüchterner Aufmachung, mal künstlerisch inszeniert, oft ausgesprochen redegewandt. Ein wenig darf man sich dabei wohl ans Athener Bürgertum der Antike erinnert fühlen, das, auf Steinen auf der Agora stehend, auf ähnliche Weise versuchte, Demokratie zu betreiben.
Im ruhigen Berlin gibt es sie dagegen kaum. Hier will man im Allgemeinen nicht gestört werden, will, wenn man ein Geschäft betritt, nicht gleich angesprochen und ausgefragt werden, will keine Zettel und Pamphlete zugesteckt bekommen. Vielleicht bedingt ja dieses Bedürfnis nach Ruhe auch eine gewisse Zurückhaltung, die Ruhe anderer zu stören.
Der Komponist und Klangkünstler Peter Ablinger tut dieses Wochenende das Gegenteil, und: Statt alleine dazustehen und zu skandieren, lässt er gleich zwei Freiwilligen-Sprechchöre zum Abschluss des Festivals „Time To Listen“ von der Akademie der Künste am Hanseatenweg zum Ottopark schreiten. Die Texte, die sie laut und im Takt vortragen, stammen von Ablinger selbst und sollen zwar Bezug zur Klimakrise haben, allerdings nicht unbedingt in gewohnter Weise Sinn ergeben, sondern auch mal unsinnig, politisch bis surreal, betroffen bis persiflierend sein. Ein Demonstrationsumzug mit Partitur also, auskomponierter Aktivismus. Sonntag um 14 Uhr.
Wer dagegen das Gefühl hat, sich sowieso in einer Welt voller – womöglich zu vieler – Botschaften zu befinden, sucht im mechanischen Garten von Ignaz Schick seine Mitte: In der 50-minütigen Komposition für motorenbetriebene Klangobjekte spielt zwar ein siebenköpfiges Ensemble elektronische wie akustische Instrumente auch nicht leise, dafür aber stimmlos. Frei von Intention ist auch das nicht, sie auszublenden dürfte aber leichter fallen. Morphine Raum, Samstag, 20 Uhr.
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