
© IMAGO/Everett Collection
#Forgotten Memories: Mein Leben, ein früherer Alptraum
In den sozialen Medien wird mit Kindheitserinnerungen und mit der Frage ihrer Echtheit gespielt.
Stand:
Ein altes Schwimmbad mit schummriger Beleuchtung. Eine Häuserfassade, die bis zur Haustür unter Wasser steht und mit dunklen Fenstern auf einen herunterschaut. Ein leerstehendes Kaufhaus, dessen gelbliches Licht eher ausladend als einladend wirkt. Es sind seltsame Bilder und Videos, die man in den sozialen Netzwerken unter den Hashtags „Dreamcore“, „Weirdcore“ und „Forgotten Memories“ findet.
Millionen von Bildern
Inzwischen gibt es Millionen dieser Bilder und Videos, insbesondere auf der chinesischen Videoapp TikTok, wo der Trend ursprünglich groß wurde. Aber auch auf Instagram finden sich solche Inhalte. Erstellt werden sie von den Nutzern selbst, die sich in den Kommentaren austauschen und gegenseitig inspirieren. Der Trend spielt mit vermeintlichen Kindheitserinnerungen und der Frage nach ihrer Echtheit.
Darunter findet sich auch ein abgedunkeltes Bild eines leerstehendes Spiellabyrinths mit rot-gelben Plastikmatten. Im Grunde ist es austauschbar und doch kann leicht der Eindruck entstehen, dass man als Kind an einem solchen Ort war und es nur vergessen hat – oder verdrängt. Denn die Atmosphäre dieser suggerierten Erinnerungen ist unheimlich, beinahe bedrohlich. Im Subtext der Bilder von weitläufigen leeren Gängen und einsamen Schwimmbädern schwingt noch etwas anderes mit: das Gefühl, nicht alleine in diesen Welten zu sein.
Eine Auflösung, sprich eine Katharsis fehlt, dafür aber bleibt das beklemmende Gefühl, dass diese Bilder gefährlich sind. So sieht man in mehreren Videos aus der Egoperspektive, wie jemand in immer dunkler werdende Röhren rutscht. Obwohl eine Kinderrutsche nichts Befremdliches an sich hat, wird sie in den Trends zu einem düsteren Ort gemacht, der gleichermaßen vertraut und fremd ist.
Soundtrack von Kinneret
Dieser eigenartige Trend hat sich von TikTok auf andere Netzwerke verbreitet. Oftmals werden die Videos untermalt mit Songs, die erst dadurch zu Popularität gelangen. So auch die Musikerin Kinneret mit ihrem Song „No Wind Resistance.“ In hohen Tönen singt sie davon, dass sie seit 60 Jahren am selben Ort ist, immer noch nicht von ihm gelangweilt ist und dort alles nur aus Pappe besteht. Sieht man zu ihrem Song ein Video von einem scheinbar endlosen schwarzen Pool, kann einem schon mal mulmig werden. Es wird nicht an Rationalität appelliert, sondern vielmehr an ein Gefühl. Eines, das so vage, verschwommen und surreal bleibt, dass es einem Fiebertraum gleicht. Da ist es nur passend, dass Wasser und beängstigend finstere Schwimmbäder immer wieder auftauchende Elemente sind.
Dass Songs wie „No Wind Resistance“ erst durch ihre Verwendung auf TikTok und Instagram zu Hits werden, ist inzwischen gut belegt. Die Plattformen sind Katalysatoren für den Erfolg und die Medien befruchten sich gegenseitig. Bei dem Trend der verdrängten Kindheitserinnerungen werden Songs auch gerne mal entfremdet, sodass die Töne gedämpfter klingen und das Gefühl des Unwohlseins noch weiter verstärkt wird.
Ähnlich verhält es sich mit dem Horrorfilm „Skinamarink“, der letztes Jahr für Aufsehen sorgte. Nicht nur, weil er über alle namhaften Social Media Plattformen vertrieben wurde, sondern auch, weil er an dieselben Kindheitsgefühle appelliert wie die „Forgotten Memories.“ Ohne seinen Hype auf TikTok wäre der Debütfilm des kanadischen Regisseurs Kyle Edward Ball nicht zu seiner Bekanntheit gekommen. Der Film zeigt aus kindlicher Sicht die Erlebnisse zweier Brüder, die in der Nacht aufwachen und surreales in den eigenen vier Wänden erleben. Etwas Surreales, wie es sich hinter den Hashtags verbirgt. Etwas, das nicht verstanden, sondern individuell interpretiert werden muss – wie der gesamte Trend.
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