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Kathrin Linkersdorff, „Floriszenzen 1“, 2019.

© Kathrin Linkersdorff, VG-Bildkunst, Bonn 2025

Fotokunst im Haus am Kleistpark: Welkende Tulpen und das pralle Leben

Kathrin Linkersdorff fotografiert das Welken von Blumen und Bakterien bei der Arbeit. Dem Reich der Mikroorganismen gewinnt sie Erstaunliches ab.

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Ausgerechnet Tulpen! Im 17. Jahrhundert leuchteten sie als Lieblingsmotiv auf niederländischen Stillleben, wie sich jüngst in München auf der ersten Soloschau von Altmeisterin Rachel Ruysch studieren ließ. Die zarten Frühblüher erzählen dabei auch vom unausweichlichen Welken, Vergehen und neuen Knospen: Die Natur als Kreislaufsystem wird in den naturwissenschaftlich exakten Gemälden anschaulich.

Auch die Berliner Fotografin Kathrin Linkersdorff richtet ihre künstlerische Aufmerksamkeit mit Vorliebe auf Tulpen. Rote oder violette Spezies sind ihr am liebsten. Denn die besitzen besonders intensive Farbstoffe, und auf die kommt es Linkersdorff an.

Das knallige Rot der Tulpe

Als Inspiration nennt sie nicht europäische Stillleben, sondern Japan. Ein zweijähriger DAAD-Aufenthalt brachte sie mit dem Prinzip „Wabi Sabi“ in Berührung. So nennt sie eine frühe Serie noch recht kleinformatiger Blumenporträts, die jetzt ein Kabinett in ihrer Ausstellung im Haus am Kleistpark füllt.

Die dargestellten Einzelblüten und Fruchtstände lassen die Köpfe nicht hängen, aber sie sind tot: vertrocknet, verschrumpelt und doch wunderschön. Gerade darum gehe es in dieser japanischen Philosophietradition: Vergänglichkeit akzeptieren und im Moment des Sterbens die Schönheit wahrnehmen.

Kathrin Linkersdorff, „Fairies I/1“, 2020.

© Kathrin Linkersdorff/VG-Bildkunst, Bonn 2025

Ihren ursprünglichen Beruf als Architektin hat die 1966 in Pankow geborene Linkersdorff längst hinter sich gelassen. Sie arbeitet mit der Kamera, mittlerweile digital. Durch ultrahochauflösende Vergrößerungen beobachtet sie Verfallsprozesse und legt die feinsten, zugrundeliegenden Strukturen des Vegetabilen offen.

Architektur des Zerfalls

Genau darin erkennt Bildwissenschaftler Horst Bredekamp, wie er anlässlich der Eröffnung sagte, aber doch Architektonisches, in Zelle und Struktur. Für ihre 2019 entstandene Serie „Floriszenzen“ hat die Künstlerin Tulpen vorsichtig getrocknet. Dann tauchte sie die abgestorbenen Blüten kopfüber in präpariertes Wasser. Und wartete ab.

Fotokünstlerin Kathrin Linkersdorff im Haus am Kleistpark.

© Lucie Berthold, VG-Bildkunst, Bonn 2025

Ihre großformatigen Aufnahmen dokumentieren, wie die Purpurfarben sacht auszubluten begannen und zu Boden sanken. Es sind verflixt schöne Bilder, fast zu ästhetisch.

In ihren „Fairies“ ging Linkersdorff einen Schritt weiter. Sie nahm nun die entfärbten Blüten zum Fotomodell, hauchzart und tatsächlich feengleich in ihrer zerbrechlichen Durchsichtigkeit. Linkersdorff experimentierte weiter, als sei ihr Atelier ein Labor. Sie gab die zuvor extrahierten Pigmente den Blüten tropfenweise wieder ins Wasser zurück.

Während des Pandemie-Lockdowns 2020 zeigte die Leiterin des Hauses am Kleistpark Barbara Esch Marowski diese hochartifiziellen, durchscheinenden Stillleben auf Plakatwänden draußen in der Stadt: florale Vergänglichkeit in Zeiten eines bedrohlichen Virus.

Leiterin Esch Marowski hört auf

Derzeit bereitet Esch Marowski ihre letzten Ausstellungen im Haus am Kleistpark vor. Fast 15 Jahre lang hat die gebürtige Rheinländerin die Kommunale Galerie Tempelhof-Schöneberg geleitet. Über ein Dutzend Ausstellungen pro Jahr. Immer qualitätsbewusst, etablierte sie zielstrebig einen Schwerpunkt für zeitgenössische Fotografie.

Selbst ausgebildete Fotodesignerin holte sie international renommierte wie lokal verankerte Positionen ans Haus: Street Photography, Porträts, Dokumentarisches, abstrakte Fotogramme, Zeitspuren. Sie zeigte Bilder des genauen Blicks, auch auf die Stadt Berlin und ihre BewohnerInnen. Nebenher betreute sie das jährlich vergebene Fotografie-Arbeitsstipendium. Dessen Existenz steht jetzt aufgrund der Senatskürzungen auf der Kippe.

Auf die Nachfolge kommen keine einfachen Zeiten zu. Die jetzige Schau passt perfekt zur Geschichte des Ortes. In dem denkmalgeschützten Backsteinbau von 1880 war ursprünglich das Königlich Botanische Museum untergebracht. In den Räumen, in denen früher das Herbarium logierte, feiern jetzt Linkersdorffs Pflanzenfotos das Florale und knüpfen ihrerseits neue Bande zur Wissenschaft.

Bakterien als Gestalter

Derzeit arbeitet Linkersdorff als Artist in Residence am Exzellenzcluster „Matters of Acitivity“ der Humboldt-Universität. Sie tat sich dort mit Mikrobiologieprofessorin Regine Hengge zusammen. Das interdisziplinäre HU-Forschungsprojekt hat sich die greifbare Materie in Zeiten des Digitalen vorgenommen, um deren gestaltendes Potential zu erkunden: ob in Design, Medizin oder Kulturgeschichte.

Den Exzellenzcluster-Mitstreiter Professor Horst Bredekamp begeistert an Linkersdorffs neuer Serie „Microverse“, wie hier winzige Bakterien als Gestaltende erkennbar werden: Ein „Faszinosum“ nennt er es anlässlich der Eröffnung. Vor nachtschwarzem Hintergrund leuchten die farbigen Ausblühungen an zarten Blütengerippen wie kosmische Galaxien.

Einfache Bakterien erzeugen unter Laborbedingungen wildeste Farbeffekte, während sie biochemische Verfallsprozesse vorantreiben und nebenher eigene Antibiotika herstellen. Linkersdorff hält es fest. So treibt der Kontakt zwischen Wissenschaft und Kunst neue Blüten. Die jüngst entstandene vierteilige Werkgruppe „Mikroverse III“ ist erstmals zu sehen.

Bredekamp ist Spezialist für das Denken in Bildern. Ihn erinnern Linkersdorffs Arbeiten an die präzisen Pflanzenstudien der Surinam-Forscherin Maria Sibylla Merian. Und an eine frühe, fast vergessene Pionierin des Lichtbilds: Die Britin Anna Atkins hielt ein Jahr, nachdem William Henry Fox Talbott sein fotografisches Verfahren vorgestellt hatte, Meeresalgen mittels der brandneuen Cyanotypie-Fotogrammtechnik fest. Sie war die erste Person, die Fotografie wissenschaftlich nutzte. Auch ihre blautonigen Aufnahmen sind wunderschön.

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