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Diabolisches Sextett. Lilith Stangenberg, Thelma Buabeng, Valery Tscheplanova, Martin Wuttke und Hanna Hilsdorf (von links) in Frank Castorfs Inszenierung des „Faust“.

© Thomas Aurin

Frank Castorf beim Theatertreffen: Der letzte Schrei

Comeback im Haus der Berliner Festspiele: Das Theatertreffen eröffnet mit Frank Castorfs „Faust“.

Ein kulturpolitisches Instrument und Podium war das Theatertreffen seit seiner Gründung in den Sechzigerjahren immer. Es hilft neuen und angeschlagenen Intendanzen, beschleunigt Karrieren. Weil es viele Punkte bringt, nach Berlin eingeladen zu werden im Mai, weil es den Marktwert steigert. Einen solchen Auftakt aber hat es noch nicht gegeben: Festspiel für eine abgelegte Inszenierung, eine beendete Theaterleitung, Fanal für ein erschüttertes Haus. Die immer noch so oststolz auftretende Volksbühne gastiert in der ehemaligen Freien Volksbühne im Westen. Frank Castorfs aufgelöste Schauspieltruppe kommt noch einmal zusammen und wird gefeiert für den siebenstündigen „Faust“, Castorfs letzte große Nummernrevue vom Rosa-Luxemburg-Platz, ein gutes Jahr nach der Premiere.

Es ist auch immer kostspielig und eine technische Herausforderung, Stücke auf die Reise zu schicken und in fremder Umgebung zu installieren. Doch nie zuvor wurde eine derart große Anstrengung unternommen, ein Stück wieder hervorzuholen. Sechzig Menschen haben dafür geschuftet, eine halbe Million Euro kostet diese „Wiederauferstehung“ für vier Vorstellungen, Festspiele-Intendant Thomas Oberender spricht bei der Begrüßung von einem „Wunder“. Damit trifft er den Kern: Es geht um Glaubensfragen. Was die Zukunft der Volksbühne betrifft, fordert Oberender Transparenz und Teilhabe. Soll es jetzt eine Volksbühnenabstimmung geben, wie es nach Chris Dercons tristem Intermezzo an Berlins Symboltheater weitergeht? Man hört, dass sich die Akademie der Künste in den Findungsprozess einschalten will.

Ein Hund steht auf der Bühne, schwarz und stumm, sehr putzig. Des Teufels Pudel, klar. Martin Wuttke, der Doktor Faust, blafft ihn an, aber das Tier behält die Ruhe. Vorbildlich! Was kann, soll man auch tun, wenn man stundenlang angebrüllt wird, wenn die Schauspieler ohne Ende schreien? Wer schreit, hat Recht. So ist das bei Castorf; Lautstärke als exzessiv gebrauchtes Stilmittel. Der Grundton nicht nur dieser Inszenierung liegt zwischen Hysterie und Häme. Leider wird der Hund – sein Name ist Bukowski – bald weggeführt. Als Mensch kann man mal an die Bornemann-Bar gehen, die Ohren abkühlen und das Geschehen auf der großen weißen Wand verfolgen. Die meisten Szenen laufen sowieso über Live-Video.

Auferstehung ist nicht die reine Wonne

Vom Rang sieht die umgetopfte Show besser aus. Castorf wollte für das Theatertreffen partout nicht zurück ins alte Haus, obwohl die Stimmung bei vielen Anhängern so ist. Aufkleber überall rufen nach einem Comeback an die Volksbühne. Das Festspielhaus nimmt der Drehbühne von Aleksandar Denic mit ihren mächtigen Aufbauten die Luft, Fausts nach Paris und Nordafrika verlegter Spielplatz wirkt hier eingezwängt. Was das Gebrüll noch penetranter macht. Auferstehung, das weiß man aus der Bibel, ist nicht die reine Wonne. Und so kippt die wundersame Wiederkehr in die Parodie.

Mit holländischem Akzent äfft Alexander Scheer Chris Dercon nach. Das hatte vor dem Antritt des Castorf-Nachfolgers seinen Witz, jetzt ist es nur noch blödes Nachtreten. Auch Wuttkes ausgedehnte Bernhard-Minetti-Parodie (Minetti hat vor über dreißig Jahren an der Freien Volksbühne „Faust“ gespielt, in einer grandios-minimalistischen Inszenierung von Klaus Michael Grüber) wird schnell fade. Letztlich parodiert sich dieses Ensemble unter den gegebenen Umständen, mit der nostalgischen Last und dem stets spürbaren Trotz, nur noch selbst. Und das ist kein Wunder: Das letzte Jahr hat rund um die Volksbühne nur Verdruss gebracht, verloren haben alle. Auch wenn die Dercon-Zeit so schnell vorüber war – als hätte sie überhaupt nie begonnen.

Noch einmal war bei diesem ersten Abend des Theatertreffens 2018 zu sehen und mit Händen zu greifen, was das Castorf-Theater ausmacht. Da agieren Persönlichkeiten wie Scheer und Wuttke, Valery Tscheplanowa und Sophie Rois. Der Zirkuskünstler Marc Hosemann, der unerschütterliche Frank Büttner, der verrückte Lars Rudolph mit seiner Trompete, Sir Henry mit dem Akkordeon – das sind keine Konzepte, sondern starke Typen. Stars und Schwerarbeiter, Energieproduzenten, Führungsspieler mit Mannschaftssinn.

Aber es gibt dann auch das andere, Unangenehme, Abstoßende. Frank Castorf zeigt Frauen immerzu als Prellbock und Prügelobjekt, als schrille, halbnackte, den reichlich fiesen und hässlichen Kerlen zugeneigt ohne echten Widerstand. Sicher: Seine Schauspielerinnen machen das mit, und auch gern, aber das ändert nichts daran, dass es lange schon unerträglich ist. Frauenfeindlichkeit lässt sich nun mal nicht beweisen, und Castorf pflegt eine aggressive Ambivalenz auch bei einer anderen Frage. Ist es rassistisch, wie er mit schwarzen Darstellern umgeht, wie er sie immer im Klischee einsetzt, zumal die Frauen? Das kann man so sehen. Nur traut sich bei Castorf niemand an diese Themen heran. Oder wird er nicht mehr ernstgenommen? Niemand protestiert. Weil er, wenn auch plakativ, mit dem Thema Kolonialismus umgeht? Alles prima. An Castorf prallt alles ab. Das ist das eigentliche Wunder.

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