Kultur: Gefühlte Geschichte - Der Altbau nach der Herrichtung durch Hans Kollhoff
Man stelle sich eine Hotelhalle vor. In gediegenen Cocktailsesseln mit grünem Bezug sitzen die Gäste vor dunklen Holztischen am Rand des bunten Treibens.
Man stelle sich eine Hotelhalle vor. In gediegenen Cocktailsesseln mit grünem Bezug sitzen die Gäste vor dunklen Holztischen am Rand des bunten Treibens. Der Nachmittag ist gerade angebrochen. Zwischen den unregelmäßig verteilten Paneelen mit milchigen Glasscheiben, die vor neugierigen Blicken schützen, blitzen schmale Streifen mit Tageslicht hervor und machen die müßigen Gäste neugierig auf die Stadt hinter der Glaswand. Plötzlich öffnen sich sieben mächtige Portale und laden ein, vor einem Ausflug in die Stadt noch eben in den großen Speisesaal zu treten. Über und über mit hellem amerikanischem Kirschholz vertäfelt, verströmt auch er eine freundlich warme Atmosphäre. Gewaltige Leuchter hängen glitzernd von der ebenfalls holzgetäfelten Decke herab, die von zwei Glasbändern seitlich gefasst wird. Oberhalb der Türen befinden sich Spiegel und weiße Wandfelder, die die ruhige Dekoration des Raumes fortschreiben. Alles hier ist groß, beeindruckend, von schnurrender Gediegenheit.
Doch wir befinden uns nicht in einer Hotellobby, sondern in dem von Hans Kollhoff umgebauten Altbau des Auswärtigen Amtes in Berlin, der ehemaligen Reichsbankerweiterung, die Heinrich Wolff 1934/40 auf Befehl Hitlers verwirklichte. Nur mäßig monumentalisiert und weit entfernt von späterem NS-Pomp, leugnete Wollfs Bankgebäude durchaus nicht eine gewisse Verwandtschaft mit Bürobauten der Moderne. Das begann bei der Stahlskelettkonstruktion und fand seinen Höhepunkt in der großen Kassenhalle 1 mit ihren umlaufenden Schaltern und den beiden Oberlichtbändern. Schon zu Zeiten der DDR zum Konferenzraum umgenutzt, trägt die einstige Kassenhalle heute den Namen "Weltsaal" und präsentiert sich als der Versuch einer Neuerfindung, die sich an die weitgehend verlorenen Formen der einstigen Halle anlehnt. Doch ihr Stil gleicht eher einem Art-déco-Speisesaal auf einem Luxusliner der Vergangenheit. An die Modernität und Sachlichkeit von Wolffs Gestaltung erinnern heute lediglich die wieder freigelegten Oberlichtbänder.
Die von dem Münchner Künstler Gerhard Merz entworfene Verkleidung der Galerie des Konferenzsaales mit weißen Paneelen und spiegelndem Glas nimmt sich gegenüber den all zu mächtigen Kronleuchtern und der vor Behaglichkeit dampfenden Holzverkleidung viel zu sehr zurück und gehört damit zu den schwächeren Akzenten, die Merz - mit dem Kollhoff beim Umbau des Reichsbank-Gebäudes durchgängig zusammenarbeitete - im Haus setzt. Meist handelt es dabei um monochrome Farbflächen, die das zu leisten versuchen, was Kollhoffs Architektur nicht bietet: dem Gebäude eine wirklich neue Facette hinzuzufügen.
So fasziniert das Foyer mit seiner tief blauen Decke und einem Strahlenkranz aus Neonleuchten mit regelbarer Leuchtstärke. Und auch die seitlich neben dem Konferenzsaal gelegene Lobby überzeugt mit ihren übereinander schiebbaren Milchglaspaneelen. Die sanft geschwungene einstige Kassenhalle 2, die sich dem Konferenzsaal anschließt, wurde für den Einbau von kleinteiligen Konferenzzimmern zerstückelt. Die gediegene Atmosphäre setzt sich auch in der ehemaligen dritten Kassenhalle fort, die von einem leicht bauchigen Kronleuchter von schier unglaublichem Durchmesser beherrscht wird. Als Kontrast dazu hat Merz an der Wand eine leuchtend orangefarbenen Farbfläche geschaffen.
Als Gewinn des Umbaus zu verbuchen sind die Brückenbauten, die sich über die zahlreichen Innenhöfe des gewaltigen Baukomplexes schwingen. Durch ihre zu DDR-Zeiten teilweise vermauerten Fenster strömt nun wieder Licht in den Bau.
Die in glänzendem Messing, edlen Hölzern, eleganten Interieurs und atemberaubenden Lampenentwürfen lustvoll schwelgende Opulenz kann nicht den Blick darauf verstellen, um wieviel schwerer bei der Herrichtung des Baudenkmals die "Erfindung" der Geschichte gegenüber der Erhaltung ihren tatsächlichen Spuren wog. So wurde das einzige erhaltene Relikt der NS-zeitlichen künstlerischen Bauausstattung - ein harmloses Deckengemälde von Harold Bengen im Treppenhaus Unterwasserstraße - nicht wieder freigelegt.
Auch erinnern nur wenige Details daran, dass die ehemalige Reichsbankerweiterung seit 1958 eine zweite Karriere als Sitz des ZK der SED erlebte. Der Geldhort des NS-Regimes verwandelte sich in das eigentliche Machtzentrum der DDR. Doch das zu Beginn der siebziger Jahre nach Ulbrichts Abgang neu eingerichtetem, nüchtern-elegante Büro Erich Honeckers ist heute verschwunden. Allein der Sitzungssaal des Politbüros erinnert noch an diese Epoche. Statt Marx und Lenin hängt inzwischen allerdings ein Bildnis Otto von Bismarcks an der Wand!
Das Bedürfnis von Außenminister Fischer, der altertümelnden Behäbigkeit des mit künstlicher Patina überzogenen Kollhoff-Umbaus etwas entgegen zu setzen, erscheint in dieser Perspektive verständlich. Was allerings als Stimmungsarchitektur eines Nobelhotels auf Beifall hoffen dürfte, wirkt als architektonische Visitenkarte des Außenministers der Bundesrepublik Deutschland deplatziert. Der Terrakotta-Fußboden, den sich Joschka Fischer für sein Amtszimmer wünschte - er stammt übrigens aus der Provence und nicht aus der notorischen Toskana - stellt keine gestalterische Alternative dar.
Mit der schonenden Bewahrung der Substanz eines Baudenkmals hat der Umbau wenig zu tun. Als wäre die Postmoderne noch quicklebendig, wird im Auswärtigen Amt der Glanz des Gestern beschworen. Mit erstaunlicher Unbedarftheit wird ein Band in eine diffuse Geschichtlichkeit geknüpft, wird zurückgebaut, wo bewahrt, und historisiert, wo erklärt werden müsste. Das Ergebnis ist ein Baudenkmal, das sich so gibt, wie es in Wahrheit niemals war.
Jürgen Tietz