
© dpa/Ng Han Guan
Gegen die Klimahysterie: Vaclav Smil über die fossilen Grundlagen unserer Zivilisation
Der kanadische Umweltwissenschaftler sucht nach einer lebbaren Zukunft für die Menschheit
Stand:
Die westliche Zivilisation war die erste Hochkultur, die die Sklaverei abgeschafft hat. Der Verzicht auf gewaltsam angeeignete Muskelkraft wurde möglich durch die Verbrennung von Kohlenstoff. Kohle, Öl und Gas treiben die maschinelle Produktion und den technisierten Alltag an. Und so nimmt heute jeder durchschnittliche Bewohner der modernen, immer noch weitgehend fossilen Welt durch Konsum, Lebensstil und Reiseverhalten so viel umgewandelte Energie in Anspruch, als würden 50 Sklaven ständig für ihn arbeiten.
Der kanadische Umweltwissenschaftler Vaclav Smil hat viele solcher verblüffenden Zahlen parat. Er hat über vierzig Bücher zu Energie- und Umweltfragen geschrieben; in seinem neuesten zeigt er, wie die Welt „wirklich“ funktioniert – und warum wir nicht in wenigen Jahren aus der komplexen fossilen Zivilisation aussteigen können. Stichwort Landwirtschaft: Vor zweihundert Jahren waren achtzig Prozent der Amerikaner in ihr beschäftigt. Heute genügt ein Prozent, um die ganze Nation zu ernähren und die Mehrheit für andere Aufgaben freizustellen. Möglich ist das durch die hocheffiziente Produktionsweise auf der Grundlage von Erdöl und Gas.
Nur dank Ammoniak-Stickstoffdünger gelingt es, sieben Milliarden Menschen zu versorgen. Insbesondere die Reis-Erträge Indiens und Chinas wären ohne Mineraldünger nicht zu erzielen. Hinzu kommen viele weitere „fossile“ Aufwendungen etwa für Verarbeitung, Verpackung, Transport und Lagerung von Lebensmitteln.
Um es anschaulich zu machen, rechnet Smil den Energieaufwand jedes Nahrungsmittels in die entsprechende Menge Dieseltreibstoff um. Da fällt dann pro Kilo spanischer Tomaten das Äquivalent von mehr als einem halber Liter Diesel an. Bei anderen Nahrungsmitteln, etwa Lachsen aus Aquakultur, sind noch viele höhere Mengen fossiler Energie nötig.
Ammoniak bezeichnet Smil als eine der vier „Säulen“ der fossilen Zivilisation. Die drei anderen sind Stahl, Zement und die Kunststoffe. Sie sind ebenso allgegenwärtig wie in der Herstellung energieintensiv. Ihr Verbrauch wächst weltweit stark, weil der Lebensstandard in vielen zuvor schwach entwickelten Ländern deutlich steigt, allen voran in China, wo 1999 auf dreihundert Haushalte nur ein Auto kam; heute sind es mehr als 120. Und selbst, wenn diese Autos mit Strom fahren – sie bestehen aus Stahl und Kunststoff.
Die vier fossilen Säulen werden bisweilen für obsolet erklärt; sie haben nicht den futuristischen Charme der Künstlichen Intelligenz. Allerdings bleiben sie noch lange unverzichtbar. Der engmaschig vernetzte Welthandel basiert auf Stahlcontainern und Schiffsdiesel. Selbst das Symbol der Energiewende, das Windrad, ist ein Agglomerat aus massenhaft Zement, Stahl und (nur schwer recycelbaren) Spezialkunststoffen, herbeigeschafft auf Dieselschwertransportern, errichtet mit gewaltigen Stahlkränen und mit Spezialschmierölen am Laufen gehalten. Ein fossiles Monument.
Vaclav Smil ist kein Verharmloser des Klimawandels, auch wenn er zu bedenken gibt, dass ohne den Treibhauseffekt durch Kohlendioxid die Erde von einem „permanenten Eispanzer“ umhüllt wäre. Bei aller Notwendigkeit, sich gegen die Folgen der Erderwärmung zu wappnen, wendet er sich gegen Dekarbonisierungsutopien, die mit der Realität kollidieren. Die Klimadebatte drohe derzeit ins „Hysterische“ abzudriften. Smil hält nicht viel von der Kipppunkte-Apokalyptik. Prognosen auf der Basis von Modellrechnungen hätten sich immer wieder als falsch erwiesen; hier sei der Wissenschaft viel Spekulation beigemischt.
Vor allem kritisiert Smil den technischen Machbarkeitswahn, der von „exponentiellen Veränderungskapazitäten“ träumt. Auch wenn alle Autos und Heizungen auf Strom umgestellt wären, müsste Deutschland, auf dessen Energiewende Smil wiederholt eingeht, zur Grundsicherung umso mehr fossile Kraftwerke in Betrieb halten. Der Anteil fossiler Brennstoffe am Primärenergieverbrauch ließ sich in den letzten 20 Jahren lediglich von 84 auf 78 Prozent reduzieren. In den USA liegt er derzeit bei achtzig, in China bei 85 Prozent – wobei sich die absolute Menge des Verbrauchs von fossilem Kohlenstoff durch Chinas rasante ökonomische Entwicklung vervielfacht hat. Und China ist heute das Modell für viele andere Staaten des „globalen Südens“, die ein legitimes Interesse daran haben, die Wohlstandslücke zu schließen. So wird die Energieverschwendung durch unzählige Klimaanlagen, schlecht isolierte Häuser und viel zu schwere SUVs weiter zunehmen, beklagt Smil.
Es werde viele Jahrzehnte dauern, den CO2-Ausstoß der Menschheit maßgeblich zu reduzieren, und noch einmal doppelt so lange, bis dies womöglich einen Einfluss auf das Klima hat. Dekarbonisierung ist ein Jahrhundertprojekt. „Lippenbekenntnisse zu unrealistischen Zielen“ hält Vaclav Smil dabei nicht für hilfreich. Sein Buch vermittelt ernüchternde Kenntnisse, die in den moralisierenden Klima- und Energie-Debatten aber dringend nötig sind.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: