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Prunk und Punk. Amtseinführung des Patriarchen Kirill 2009 in der Christ-Erlöser-Kirche in Moskau. Hier traten die Sängerinnen von Pussy Riot auf und wurden dafür nun zu 2 Jahren Lagerhaft verurteilt.

© picture-alliance/ dpa

Kirche in Russland: Gemeinschaft der Abergläubigen

Nach dem Urteil gegen die Sängerinnen der Punkband Pussy Riot: Schon lange festigt die russische-orthodoxe Kirche die Macht des Kreml – und profitiert kräftig davon. Ein Essay über das Doppelgesicht der Religion in Russland.

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Die Mauern sind mit weißem Marmor aus dem Ural verkleidet und von blattvergoldeten Kuppeln gekrönt. In makelloser Schönheit streben sie himmelwärts. Beim Wiederaufbau der Christ-ErlöserKirche ließ sich Moskaus damaliger Oberbürgermeister Juri Luschkow von seinem Hofbildhauer beraten, von Zurab Tsereteli, dem damaligen Präsidenten der russischen Kunstakademie. Die Grenzen zwischen Kunst und Kitsch: eher fließend.

Schon zuvor hatte Tsereteli die Hauptstadt mit Denkmälern von monströser Scheußlichkeit zugepflastert; bei der Kathedrale durfte sich der gebürtige Georgier vor allem im Innenraum austoben. Fresken zeigen Märtyrer in Überlebensgröße, meterhohe Kronleuchter aus Bergkristall lassen Intarsien aus Gold und Edelsteinen wie Blitze aufleuchten. Es war dieser Ort, an dem Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch von der Punkband Pussy Riot auftraten; für ihre Performance wurden die Sängerinnen vor zehn Tagen zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt.

Für die Wiedererrichtung von Russlands wichtigstem orthodoxen Gotteshaus war Ende der 90er Jahre das Beste gerade gut genug. 1883 erbaut, hatte Stalin die Kirche im Dezember 1931 sprengen lassen, weil er dort einen monumentalen Palast der Sowjets errichten wollte. Geplante Höhe: 415 Meter, damals unvorstellbar. Über die Fundamente kam der Bau jedoch nicht hinaus, nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion 1941 wurden die Arbeiten eingestellt. 1960 eröffnete ein Freibad. 30 Jahre später gründete sich eine Bürgerinitiative für den Wiederaufbau, eine von Präsident Boris Jelzin ins Leben gerufene Stiftung sammelte Spenden. Am 7. Januar 1995, dem Tag des orthodoxen Weihnachtsfestes, erfolgte die Grundsteinlegung, neu geweiht wurde die Kirche im August 2000. Hier feiert Russland seither mit byzantinischem Prunk Geburt und Auferstehung Christi.

Stehend wohnen Präsident und höchste Staatsdiener samt Ehefrauen mit züchtig verhülltem Haar den mehrstündigen Mitternachtsmessen bei. Der Patriarch zelebriert sie höchstselbst, unterstützt von Dutzenden hoher Kleriker. Das einfache Volk steht schon Stunden zuvor Schlange vor den Metalldetektoren am Einlass, hier finden Trauergottesdienste bei Staatsbegräbnissen statt, und hier beteten am 21. Februar – zehn Tage vor den russischen Präsidentenwahlen – die Feministinnen von Pussy Riot zur Gottesmutter um die Vertreibung Putins und persiflierten dabei die orthodoxe Liturgie.

Ein Aufschrei ging durch das Land und die Welt, als die jungen Frauen verurteilt wurden. Zwar wären auch in Deutschland für derartige Auftritte Ordnungsstrafen fällig, doch ins Gefängnis müssten die Akteure nicht. Das Verhalten der russisch-orthodoxen Kirche, die stolz darauf ist, dass sie selbst in finstersten Zeiten keine Glaubensgerichte veranstaltete und in Russland nie Hexen verbrannt wurden, wurde mit der Inquisition verglichen. Und Präsident Putin warf man vor, nordkoreanische Verhältnisse zu schaffen.

Kirche und Staat, so kritische Beobachter, hätten deshalb so überzogen reagiert, weil sie den Auftritt als Angriff auf die Staatsräson werteten. Auf eine unheilige Allianz, deren Grundlagen Putins Vorgänger Boris Jelzin gelegt hatte. Bemüht, den Massen die Sowjetära als Treppenwitz der Geschichte zu verkaufen und historische Kontinuität durch Anknüpfung an die Traditionen des Zarenreichs herzustellen, bot Jelzin den Prälaten einen Pakt an, von dem beide Seiten profitieren sollten, wie zu Zeiten der Monarchie. Der Staat gab der Kirche Gotteshäuser, Landbesitz und Kunstgegenstände zurück und stattete sie mit Steuerprivilegien aus. Im Gegenzug sollten die Popen Gehorsam gegenüber der gottgewollten Obrigkeit predigen und ihr Mehrheiten für die Wiederwahl verschaffen. Der damalige Patriarch, Alexi II., segnete sogar Moskaus Waffen für den Tschetschenienkrieg.

Bigotte Gesellschaft: Ikonen in der Schrankwand, aber die zehn Gebote kennt kaum einer

Zwei Jahre Lagerhaft. Die Punksängerinnen von Pussy Riot Jekaterina Samuzewitsch, Maria Alekhina und Nadeschda Tolokonnikowa (V.l.) wurden am 17. 8. in Moskau verurteilt.

© Misha Japaridze/AP/dapd

Putin setzte diesen Kurs fort. Die Kirche sollte in das ideologische Vakuum stoßen, das durch den Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 entstanden war, neue Identität stiften, latente Unzufriedenheit auffangen und kanalisieren. Eine Rolle, mit der die im Parlament vertretenen pseudo-oppositionellen Parteien bis heute hoffnungslos überfordert sind.

Der Kreml sieht in der Kirche einen natürlichen Bündnispartner. In der Tat haben Staat und Staatskirche in Russland einiges gemeinsam: Beide funktionieren nach steilen Hierarchien, sind wegen intransparenter Wahlen unzureichend demokratisch legitimiert und haben ein paternalistisches Weltbild. Russlands Bürger, schrieb die Pussy-Riot-Sängerin Samuzewitsch, würden für psychisch Kranke gehalten, die keine Entscheidungen selbstständig treffen können.

Staat und Kirche haben auch das gleiche Feindbild: den Westen, der Russland mit seiner globalen Raketenabwehr bedroht und Missionare schickt, die aus treuen Untertanen und Schäflein des Patriarchen eine Art Fünfter Kolonne der römischen Kurie machen wollen. Ein Treffen mit dem Papst verweigert daher selbst der aufgeklärte und belesene Kirill, der 2009 zum Patriarchen gewählt wurde. Auf Abgrenzung zur Westkirche pochen auch die Kirchgänger. „Wir sind Christen, die sind Katholiken“, polemisierte eine junge Frau in einer Talkshow gegen Kirills kürzlichen Polen-Besuch, bei dem dieser Russland eine „religiöse Gesellschaft“ genannt hatte. Niemand widersprach.

Religiöse Gesellschaft? Kreuz-Anhänger, je nach Einkommen mit Strass oder Brillanten besetzt, zieren Frauenhälse ebenso wie behaarte Männerbrüste. In der Schrankwand stehen Ikonen, Heiligenbilder hängen in Autos. Doch die zehn Gebote bekommt auf Anhieb kaum einer zusammen, bei der Frage nach den sieben Todsünden fällt den meisten nicht mal eine einzige ein. Und während der Fastenzeiten, die teilweise streng vegane Kost vorschreiben, lassen die meisten Russen es sich trotzdem gut gehen. Man kauft einfach ein paar Straßen weiter ein, in Läden, in denen man keine Nachbarn trifft. Wer trotzdem fastet, tut es oft, um den Körper wieder bikini-tauglich zu machen.

Russland, ätzte der Nationaldichter Fjodor Tjutschedw im 19. Jahrhundert, sei keine Gemeinschaft der Gläubigen, sondern der Abergläubigen. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Sekten-Gurus, Wunderheiler und Zauberinnen haben einen ebenso großen Zulauf wie die Popen. Denen kommt die Kundschaft sogar wieder abhanden. Zwar ließen sich viele während der Perestroika oder gleich nach dem Systemwechsel 1991 taufen, etliche waren jedoch so ernüchtert und enttäuscht, dass sie sich von der Religion schnell wieder abwendeten. Nach wie vor ist die Kirche von Geheimdiensten unterwandert und bis heute nicht in der Moderne angekommen. Der Klerus predigt öffentlich Wasser, trinkt aber heimlich Wein.

Die sündhaft teure Schweizer Uhr, die in den vergangenen Jahren immer wieder auf Fotos am Handgelenk seiner Heiligkeit zu sehen war, empfanden jene, die nicht wissen, wie sie ihre Stromrechnung bezahlen sollen, als blanken Hohn. Kirill ließ das Corpus delicti von seinem Pressedienst retuschieren – was im Frühjahr 2012 jedoch aufflog. Derzeit erregt sich die Öffentlichkeit über teils betrunkene Priester, die kürzlich in Moskau mit Luxuswagen schwere Unfälle verursachten – in einem Fall gab es Tote. Dennoch spielt sich die Kirchenführung zunehmend als oberste moralische Instanz auf und mischt sich in Bildung und Erziehung ein.

Auf Betreiben der Kirche wurde der Sexualkunde-Unterricht aus den Lehrplänen staatlicher Schulen gestrichen. Eine Zwangskatechisierung wie vor der Revolution 1917 scheiterte nur knapp am Widerstand der liberalen Öffentlichkeit. Ebenso das Vorhaben, im Biologieunterricht Darwins Evolutionstheorie und die göttliche Schöpfungsgeschichte als gleichermaßen gültige Theorien zu behandeln. Russlands Orthodoxe stellen Homosexualität als Unzucht an den Pranger, schreien nach Gesetzen gegen Schwangerschaftsunterbrechungen und verteufeln Kondome.

Dabei gilt auch in Russland der Verfassungsgrundsatz der Trennung von Staat und Kirche. Die allerdings sei längst aufgehoben, meint der Star-Journalist Nikolai Swanidse, der beim Staatsfernsehen die historischen Dokumentationen betreut. Im heutigen Russland, lästert er, gelte die Trennung von Kirche und Gott.

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