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Dichter der Kollisionen. Gerhard Falkner.

© picture alliance / Arne Dedert/d

Gerhard Falkner 70: Seelenruhe mit Störfrequenzen

Mit Starterlaubnis in den zweckfreien Raum: Zum 70. Geburtstag des Dichters Gerhard Falkner.

Von Gregor Dotzauer

Über die Randständigkeit der Poesie hat er sich nie Illusionen gemacht. Mit Gottfried Benn, zu dessen späten Reden er ein Vorwort schrieb, konnte er sich herrlich darüber mokieren, dass eine politische Journalistin dem Doktor für Haut- und Geschlechtskrankheiten einmal gestand, „sie mache sich nichts aus Gedichten, und schon gar nicht aus Lyrik“. Gerhard Falkner wollte aus dieser Missachtung aber nie den Schluss ziehen, es gelte, das taubes Publikum mit dem Megaphon zu missionieren. Schon 1993 verlegte er sich in seiner Streitschrift „Über den Unwert des Gedichts“ darauf, in der Marginalisierung Kardinaltugenden für die menschliche Selbstverständigung zu sehen. „Ohne Poesie“, fürchtete er, „ist der Traum vom eigenen Körper rasch ausgeträumt“. Er wusste aber auch, dass sie gegen jede Art von Erschlaffung trainiert werden musste – auch um dem „Kommunikationstumor“ der durchtechnisierten Gegenwart Widerstand zu leisten.

„Nichts darf vor dem Gedicht sicher sein“, erklärte er in seinem Benn-Essay, „nicht einmal die Benzinpreise, alles aber darf das Gedicht im geeigneten Fall verschmähen.“ Bei entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen sei „die Betrachtung von Wolken und das Belauschen von Bäumen“ weiterhin möglich, „natürlich bei fortwährend aktualisierter Sprache“. Nur das Wissen um die eigene Zeit verschaffe dem Gedicht „die Starterlaubnis in den zweckfreien Raum“.

In seinem 1981 erschienenen Debütband „so beginnen am körper die tage“ – Falkner war 30 Jahre alt – trug dies noch Züge einer metaphorisch modernisierten Schönheitstrunkenheit. Er enthielt Gedichte, die, weitaus näher zum bewunderten Rilke als zum bewunderten Benn, darauf zu vertrauen schienen, noch einmal ein „vollendet gerundetes Geschoss ins Zentrum der Seinsgenauigkeit“ abzufeuern. Doch es dauerte nicht lange, und ihm zerbrach alles mühsam Verfugte.

Seither ist Falkner vor allem ein Dichter der Kollisionen: ein postmodern Zerrissener, der jede Idylle mit Störfrequenzen aufmischt, Hohes und Triviales gegeneinander schneidet und die Wortfelder von Kunst, Philosophie und Wissenschaft miteinander reagieren lässt. Er hat sich, im Bemühen, die Kategorie des Erhabenen zu rehabilitieren, an einer „Hölderlin Reparatur" versucht, und in seinem jüngsten Band „Schorfheide“ durch hartnäckigen Illusionsbruch Wiederbelebungsmaßnahmen am Naturgedicht eingeleitet.

Doch sein Verfahren hat sich vielleicht nie glücklicher bewährt als in den „Pergamon Poems“, einer Serie von Gedichten über Motive des Berliner Pergamon-Altars, die zum Teil von Schauspielern für Videoclips der Staatlichen Museen eingesprochen wurden. „Es existiert von Schwert nur noch der Stoß“, heißt es in „Asteria“, „der Rest ist Lücke, Zwischenraum, Fragment / Doch wieviel Gigabyte hat dieser Fries, welch / gigantisches Archiv birgt dieser Stein, dass / selbst die Klinge, die nicht mehr vorhanden / mit einem Schimmer von Unsterblichkeit / die Ewigkeit der Götter widerspiegelt“.

Sehnsuchtsvoll leben die „Pergamon Poems“ vom Bewusstsein eines unwiderruflich zu spät Gekommenen, der sich, um nicht an der eigenen Zeit zu verzweifeln, nach dieser untergegangenen Welt streckt. An ihrem anderen Ende befinden sich die „Ignatien“, zum Teil an Rainer Maria Rilke entlanggeschriebene „Elegien am Rande des Nervenzusammenbruchs“. Mit erfrischender Renitenz und einem guten Teil kulturkritischer Hypochondrie stemmen sie sich einer digital vernetzten Allgegenwart entgegen.

Ein Höhepunkt seines Werks, zu dessen angemessener Anerkennung auch seine longlistnominierten Roman „Apollokalypse“ und „Romeo oder Julia“ wenig beigetragen haben, auch „Gegensprechstadt – ground zero“. Der buchlange Berlin-Gesang unternimmt einen intertextuellen Roadtrip durch die Stadt, getragen von einem höchst unzuverlässigen Ich, das sich abwechselnd sucht und verfehlt, und dann wieder markiert und gleich wieder unkenntlich macht. Schon in seiner Frühzeit hatte Falkner dekretiert, das lyrische Ich müsse zur Erholung ins Müttergenesungswerk geschickt werden, was ihn nicht davon abhielt, das eigene Ego, dem er einmal ein „narzisstisches Abstandspathos“ bescheinigte, in Polemiken, die in ihren gnadenlosesten Momenten zwischen Freund und Feind kaum noch unterscheiden, vatertagsmäßig auszuführen.

Am heutigen Montag wird der gebürtige Mittelfranke, der ein Leben zwischen Pankow und dem oberpfälzischen Weigendorf führt, im Schweizer Wallis 70 Jahre alt: In Raron, wo Rilke begraben liegt, widmet er sich der Übersetzung von dessen französischen Gedichtzyklen ins Deutsche.

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