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Immer die Würde des Menschen im Blick. August Sanders zur Ikone gewordener „Konditor“.

© Mediapark/Schirmer/Mosel

August Sander in Köln: Gesichter der Zeit

Seine Arbeiten sind Ausdruck der Weimarer Kultur: Die „Meisterwerke“ des Fotografen August Sander im Kölner Mediapark.

August Sanders „Kulturwerk“ – wie er es bezeichnete – unter dem Titel „Menschen des 20. Jahrhunderts“ ist längst zum Synonym geworden für die gesellschaftsbezogene Kunst der Weimarer Republik. Der Fotograf Sander (1876– 1964) wollte damit einen Querschnitt durch die Gesellschaft ins Bild setzen, wollte den Physiognomien der Menschen unterschiedlichster Berufe und Lebensstufen nachspüren. Das Vorhaben beschäftigte ihn schließlich über drei Jahrzehnte lang und über die Weimarer Republik, das NS-Regime, die Nachkriegszeit und die frühe Bundesrepublik hinweg.

Sander hat aus den in „Mappen“ sortierten Abzügen immer wieder Ausstellungen beschickt, die erste 1927 im Kölnischen Kunstverein. Zwei Jahre später kam als Buch „Antlitz der Zeit“ heraus. Allein der Titel traf einen Nerv; dazu das Vorwort von Alfred Döblin, der mit seinem in jenem Jahr erschienenen Roman „Berlin Alexanderplatz“ etwas Ähnliches im Medium der Literatur unternahm. „Unter der Photographie eines Menschen ist seine Geschichte wie unter einer Schneedecke vergraben“, hatte Siegfried Kracauer 1927 in seinem Essay „Die Photographie“ geschrieben, ein Satz, der Sanders Absichten wohl nahekommt.

Die SK Stiftung Kultur der Sparkasse Köln/Bonn, die 1992 das Sander-Archiv erworben hat und seither in Ausstellungen und Publikationen aufbereitet, zeigt jetzt in ihren Räumen im Kölner Mediapark die Ausstellung „Meisterwerke“, die aus Originalabzügen Sanders zusammengestellt ist, jedoch nicht deckungsgleich ist mit der Buchveröffentlichung der „Menschen des 20. Jahrhunderts“, die seit einigen Jahren in einer siebenbändigen Ausgabe bei Schirmer/Mosel vorliegt. Zwar reiht die Ausstellung ihr Material entsprechend der Einteilung Sanders in langen, auf gleiche Höhe gehängten Abzügen auf, doch diese variieren bisweilen in der Größe wie auch in Fotopapier und Tonwerten. Der Reiz besteht nicht zuletzt darin, das authentische Material in seiner Unterschiedlichkeit in Augenschein zu nehmen, wie es in der – vorzüglichen – Buchausgabe der „Menschen“ in strikt gleichförmiger Weise erscheint.

Sander ging es um Randständige, Ausgestoßene, in Anstalten Verwiesene

Sander ordnete sein rasch wachsendes Material in sieben Gruppen, die in sich ein Gesellschaftsmodell vom uralten Beruf des Bauern über den Handwerker bis zur „Großstadt“ führen, in der Sander selbst lebte und die Zugehörigkeit zum Zirkel der „Rheinischen Progressiven“ als Wertschätzung seiner Arbeit genoss. Die siebte Mappe trägt den irreführenden Titel „Die letzten Menschen“ – dabei ging es Sander um Randständige, Ausgestoßene, in Anstalten Verwiesene wie etwa die auf zwei berührenden Aufnahmen festgehaltenen blinden Kinder.

Gerade die Aufnahmen dieser Mappe bezeugen das hohe Ethos des Fotografen, der jede und jeden der von ihm Porträtierten, ob Bankier oder buchstäblich von der Straße geholten Bettler, in gleicher Weise und gleicher Würde ablichtete. Es muss dieses entschieden Humane und Anti-Ideologische gewesen sein, das die Nazis ärgerte und veranlasste, sein Buch zu verbieten und ihn zu überwachen.

Einige der Porträtfotos sind regelrechte Ikonen geworden, so wie der „Konditor“. Es handelt sich dabei ursprünglich um eine Aufnahme für eine Werbebroschüre des „Café Bremer“ in jener Straße, in der Sander sein Kölner Atelier hatte. Derselbe stattliche Mann taucht in anderer Kleidung als „Witwer“ mit seinen beiden Söhnen auf, sein Bruder figuriert auf einer dritten Aufnahme als „Schankkellner“. So hat Sander sein eigenes Lebensumfeld als Material verstanden.

Zeitgleich mit der Ausstellung ist bei Schirmer/Mosel eine Begleitpublikation unter demselben Titel „Meisterwerke“ erschienen, die 153 Fotografien versammelt. Erstmals wurden exakt die Bildausschnitte und vor allem Tonwerte reproduziert, die Sander ausweislich seiner Abzüge gewünscht hatte. Möglich wurde dies durch Vierfarbdruck der schwarz- weißen Aufnahmen, um die Nuancierungen, die der klassische Papierabzug erlaubt, im Druckbild zu erhalten.

In Paris gab es auch eine Sander-Ausstellung

Gegen Ende des Buches wie auch der Ausstellung steht eine Reihe von Porträts, die „Verfolgter“ heißen. Sie sind um 1938 entstanden und belegen, dass sich Sander bis an die Grenze der eigenen Gefährdung gegen die NS-Ideologie verwahrte. Sein Sohn Erich saß zehn Jahre als politischer Häftling im Zuchthaus (wo ihn Sander besuchen und sogar fotografieren durfte); er starb gleich nach der Haftentlassung 1944, was Sander nie verwinden konnte. Die Aufnahme des Sohnes in seiner Zelle nahm er ausdrücklich in die entsprechende Mappe „Die Großstadt/Politische Gefangene“ auf.

Diesen Aspekt der Arbeit Sanders stellte kürzlich eine Ausstellung im Pariser Museum „Mémorial de la Shoah“ in ihr Zentrum. Unter dem Titel „Verfolger/Verfolgte“ waren die Gruppen der Fremdarbeiter, Verfolgten und politischen Gefangenen ihren Verfolgern, den Nazis, gegenübergestellt. Auch sie hat Sander fotografiert. Auch ihnen hat er ihre Würde gelassen, wie sehr sie selbst sie verraten haben mochten, und sie in seine Mappe „Die Stände/Der Nationalsozialist“ eingeordnet. Ob bebrillter „Pimpf“, schneidiger Offiziersanwärter oder ranghoher SS-Mann, für Sander waren sie Vertreter der Gesellschaft und ihrer Strömungen.

Dass sich Sander um 1938 verfolgte Juden ins Atelier holte, unterstreicht die Ernsthaftigkeit seines fotografischen Gesellschaftsporträts. Aus den Kontaktabzügen von 27 porträtierten Juden wählte er fünf für seine „Mappe“ aus; im begleitenden Katalog sind auch diese, zuvor unbekannten Aufnahmen abgebildet. Sanders Werk ist, stärker denn je, ein Eckstein der „Kultur von Weimar“.

Köln, SK Stiftung Kultur, Im Mediapark 7, bis 27. Januar. – August Sander: Meisterwerke. Schirmer/Mosel, Großformat, 59 €.

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