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Die österreichische Schriftstellerin Friederike Gösweiner.

© Thomas Larcher/Droschl Verlag

Friederike Gösweiners Roman "Regenbogenweiß": Glück oder Leben

Die Österreichische Buchpreisgewinnerin Friederike Gösweiner erzählt in „Regenbogenweiß“ von einer Akademikerfamilie und deren Problemen.

Im November 2014 beginnt für die Familie eine neue Zeitrechnung: Vom Küchenfenster aus beobachtet Marlene, wie Hermann beim Heben einer Bierkiste plötzlich zusammenbricht. Er stirbt kurz darauf im Krankenhaus. Die erwachsenen Kinder Filippa und Bob eilen zur Beerdigung zurück in die kleine Stadt nach Österreich.

Bob hat in Holland gerade seine Uni-Stelle als aufstrebender Zeitforscher und Kosmologe an eine „Quotenfrau“ verloren. Filippa jettet, ebenfalls irgendwo auf der akademischen Karriereleiter mit Hölderlins Philosophie befasst, zwischen Paris und London und versucht vor ihrem 35. Geburtstag verzweifelt, schwanger zu werden.

In ihrem zweiten Roman misst die 1980 in Tirol geborene Friederike Gösweiner, die für ihr Debüt „Traurige Freiheit“ 2016 mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet wurde, großflächige existenzielle Landschaften aus.

Der Titel „Regenbogenweiß“ verweist auf die widersprüchlichen Situationen, in die sich die drei Protagonisten durch den Tod des Ehemanns und Vaters, eines renommierten Quantenphysikers, verstricken. Marlene, frisch pensionierte Lehrerin, verliert sich in dem großen, leeren Haus. Bob, dessen letzte unglückliche Begegnung mit dem Vater nun eine dramatische Bedeutung bekommt, zieht sich noch weiter zurück und reagiert aggressiv, wenn er sich gefordert fühlt.

Der Terror spielt hier auch eine Rolle

In ihrer Rolle als ständige Vermittlerin und „Doppelagentin“ in der Familie ist Filippa überfordert: „Warum sage ich nie etwas. Nie handeln, nur denken, so bin ich.“

In Tagebuchform erzählt Gösweiner die folgenden anderthalb Jahre. Das erste desaströse Weihnachten ohne Hermann. Der intellektuelle Überflieger Bob ist empört wegen seines Rauswurfs und frustriert, weil er es scheinbar niemand recht machen kann, weder seiner Mutter und Schwester noch seiner holländischen Freundin Zoe. Er entzieht sich allen Erwartungen und reist nach Kreta.

Filippa, für die das Elternhaus der Fixpunkt war in ihrer mäandernden Lebensweise zwischen Hauptstadt-Universitäten und Anuk, dem globetrottenden Wissenschaftler mit Migrationshintergrund, verspürt immer stärker den Wunsch nach Erdung.

Diese scheint ihr ein Kind zu versprechen. Gefangen in ihrer eigenen Zeitrechnung reproduktiver Zyklen, empfindet sie jeden „erfolglosen“ Monat als persönliches Versagen. Doch dann erlebt sie in Paris den Anschlag auf „Charlie Hebdo“ und den Terror danach. Zur falschen Zeit am falschen Ort, zufällige Ereignisse wie der Tod des Vaters, und das Leben wird völlig über den Haufen geworfen oder kann sogar vorbei sein.

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Während die Zeit für Bob zunächst nur ein wissenschaftliches Problem, wird sie für Filippa „bedrohlich“. Marlene wiederum fühlt sich allein gelassen von ihren Kindern: „Ich bin nicht Grund genug für euch zu kommen“.

Im Laufe des Jahres 2015 stellt sie sich einer neuen Aufgabe, engagiert sich für unbegleitete Kinder und Jugendliche, die in Österreich Asyl suchen, und wächst über ihren bürgerlichen Horizont hinaus. Das Leben ohne Hermann, lernt sie, bedeutet für sie auch ein Stück Freiheit.

Bob dagegen kann das, was zwischen ihm und dem Vater stand, nicht mehr zurückdrehen. Wie schon in ihrem Debütroman gelingt es Gösweiner, die junge Akademikerin, die im konkurrenzorientierten Mittelbau auf eine „Laufbahn“ hofft, sich mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser hält und gelähmt ist vom drohenden „Fruchbarkeitsknick“, plastisch und nuanciert einzufangen. Marlene und Bob dagegen – gar nicht zu reden von Zoe und Anuk, die meist nur als Resonanzraum ihrer Partner auftreten – , bleiben blass, auch weil Gösweiners Geschichte immer wieder zu einen Thesenroman gerät.

Leibniz, Hölderlin und die Frauenquote

Oft überlagert die philosophische Rede das Geschehen, als innerer Monolog oder im räsonierenden Zwiegespräch der Geschwister. Da mag man den wiederholt aufgerufenen Leibniz, seine Frage nach dem zureichenden Grund eines Ereignisses und dem glücklichen Leben, im Gesamttableau thematisch akzeptieren.

Handlungshemmend jedoch wirken die seminaristischen, wenn auch erhellenden Ausführungen über die kosmologische Zeit. Auch Bobs Überlegungen über die Frauenquote mögen zweifelhaft sein. Die Hölderlin-Lektüren Filippas allerdings, die ihren Namen nicht ohne Grund trägt, weisen die promovierte Literaturwissenschaftlerin Gösweiner nicht nur als kluge Interpretin aus, sondern vermitteln den Denkkosmos einer in Umbruchzeiten strauchelnden jungen Frau, die im literarischen Erbe Trost und Halt sucht.

Ob sich Bob auf dem Weg nach Kanada, wo er auf seinen Durchbruch hofft, noch einmal umdreht nach seiner kretischen Zufallsbekanntschaft Kiki, lässt Friederike Gösweiner offen. Auch ob Filippa eine neue Perspektive vorläufig ohne eigene Kinder findet oder Marlene ihre kriminelle Energie aktiviert, um den von ihr betreuten Flüchtlingen zu helfen.

Jede Entscheidung zieht Konsequenzen nach sich, jede hätte anders ausfallen können.

Aber manches, warnt Marlene ihre Tochter hat man auch „nicht in der Hand“, und mit zunehmendem Alter weniger, da sich die Möglichkeitsfenster schließen. „Was haben wir bewirkt?“, fragt sie sich stellvertretend für ihre Generation. Vor dieser Frage stehen Filippa und Bob erst dreißig Jahre später.

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