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Geächtet. Aleksandra Cwen als Einsiedlerin Albrun, die von den Dörflern als Hexe beschimpft wird.

© Forgotten Film Entertainment

„Hagazussa – Der Hexenfluch“ im Kino: Totenkopf mit Alpenpanorama

Zwischen Horror- und Historienfilm: Lukas Feigelfelds erstaunliches Regiedebüt „Hagazussa – Der Hexenfluch“ über eine aus der Dorfgemeinschaft verstoßene Frau.

Von Andreas Busche

Die Gerichtsbarkeit der Kirche endet im 15. Jahrhundert knapp unterhalb der Schneegrenze. Albrun (Aleksandra Cwen) lebt mit ihrem neugeborenen Baby in einer Hütte in den österreichischen Alpen, fernab der Dorfgemeinschaft. „Eure abseitige Lebensweise hat schon manchen Gläubigen die Dunkelheit berühren lassen. Eine Berührung, die von Frevel zeugt,“ sagt der Pfarrer der pittoresk in einen Steilhang gebauten Kapelle. Albrun macht sich schon deshalb verdächtig, weil sie ein Einsiedlerdasein führt. Auf dem Weg ins Tal, wo das Mädchen seine Ziegenmilch verkauft, wird es von den Jugendlichen bespuckt und als Hexe beschimpft.

Doch es gibt noch andere Gründe für die Ablehnung der Dörfler. Albruns Mutter ist vor Jahren an der Pest gestorben, am Ende ihres Lebens rannte sie in einem Wahnanfall in die Wälder. Die damals zehnjährige Tochter fand ihre Leiche im Schlamm, mit Schlangen bedeckt. Und auch Albrun, die fortan alleine aufwächst, trägt die Saat des Schwarzen Todes in sich – doch sie stirbt nicht. Das macht sie in den Augen der Dorfbewohner umso verdächtiger. Nachts stehen sie in heidnischen Kostümen vor ihrer Hütte und verfluchen die Ungläubige, die angeblich mit den Mächten des Waldes im Bunde steht.

„Hagazussa – Der Hexenfluch“ heißt das Regiedebüt von Lukas Feigelfeld, nach dem althochdeutschen Wort für Hexe. Der österreichische Filmemacher hat an der Berliner Dffb studiert, „Hagazussa“ ist ein Abschlussfilm, wie ihn deutsche Filmhochschulen äußerst selten hervorbringen: mit einer erkennbaren Handschrift, einem klaren ästhetischen Konzept – und ohne jede Filmförderung. Feigelfeld beschreibt die Welt des ausgehenden Mittelalters kurz vor Beginn der Renaissance, die bald ein aufgeklärteres Natur- und Menschenbild zeichnete, er stilisiert sie und arbeitet dabei auf souveräne Weise mit der Ästhetik des Horror- und des Historienfilms.

Die Übergänge von Realität und Delirium verfließen

Naturreligionen, vorreligiöse Paranoia und schwarze Folklore bilden in der entlegenen Gemeinschaft den Nährboden für einen archaischen Brutalismus, den die kleine Dorfkirche monumental verkörpert: Die Wände des Gotteshauses sind mit Totenköpfen und Gebeinen verkleidet. Die Menschen wappnen sich mit heidnischen Symbolen gegen eine Außenwelt, die sie intuitiv als feindlich empfinden.

Albrun findet als Verstoßene keinen Anschluss an diese Gemeinschaft. Sie ist, ganz auf sich allein gestellt, den raunenden Naturgewalten ausgesetzt, wird gleichzeitig aber selbst als Bedrohung wahrgenommen. „Hier braucht man sich nicht vor denen zu fürchten, die Gottes Licht nicht in ihren Herzen tragen“, sagt das Mädchen Swinda (Tanja Petrovskij) mit Blick über das Alpenpanorama und ergänzt: „vor den Juden“. Das „Andere“ ist abseits der Zivilisation schnell identifiziert und stigmatisiert. Und auch Swinda führt mit Albrun nichts Gutes im Schilde.

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Regisseur Feigelfeld und Kamerafrau Mariel Baqueiro erzeugen mit sparsamsten Mitteln eine hypnotische Atmosphäre der Beklemmung. Wie in Zeitlupe kriechen dichte Nebelschwaden über die Hügel und Täler, die Weite der pastoralen Bergketten wirkt gleichzeitig majestätisch und überwältigend. Gegen diese Schönheit steht das schroffe Bergleben und die Einsamkeit, die Albrun allmählich in den Wahnsinn treibt. Das Baby schreit ununterbrochen, aus einer dunklen Ecke der Hütte blickt der reliquienhaft ausstaffierte Totenkopf der Mutter aus leeren Augenhöhlen, durch Albruns Träume spuken Maden und Stimmen im Wald. Feigelfeld hat seine Bilder mit einem wummernden Drone-Sound ausgestattet, ein demutvolles Dröhnen, das durch Mark und Bein geht. Die Übergänge von Realität und Delirium verfließen.

Nachts überwältigt Albrun etwas Unaussprechliches

In dieser Vormoderne gelten die Triebe der Natur als untrüglicher Beweis für den angeborenen Frevel des Menschen. Beim Melken der Ziegen rinnt Albrun die Milch durch die Finger, wie gebannt streichelt sie das pralle Euter. Die Isolation, die Versuchung – und nachts wird Albrun von etwas Unaussprechlichem heimgesucht, das sie im Schlaf überwältigt.

Lukas Feigelfeld ist ein höchst atmosphärischer Erzähler, vier Kapitel strukturieren „Hagazussa“ lose: „Schatten“, „Horn“, „Blut“ und „Feuer“. Worte werden kaum gewechselt, aber der Filmemacher versteht es, die expressiven Gesichter seiner Darstellerinnen sprechen zu lassen. Und die Landschaft, über die sich schwere Nebelbänke legen, als müssten sie das, was in den Wäldern haust, in Bann schlagen.

Kino Wolf (OmenglU)

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