Kultur: Heimat lauert überall
Das MoMA kommt und kommt und kommt: Mit Sonderausstellungen beginnt schon jetzt in den Berliner Galerien die „American Season“
Während sich die deutsch-amerikanische Freundschaft auf dem politischen Parkett noch auf dünnem Eis bewegt, stellt die hiesige Kunstwelt die Zeichen auf frühlingshaften Aufbruch. Das MoMA kommt und die Berliner Festspiele läuten die „American Season“ ein. Zu den Highlights der fünf offiziell beteiligten Galerien zählt Rudolf Kicken , der die Pionierrolle des MoMA in der Fotografie würdigt und von nächster Woche an gleich zwei Ausstellungen in Folge präsentiert (Linienstaße 155, Part 1: ab 18. Februar). Auch die Galerie müllerdechiara setzt auf transatlantischen Diskurs: Je vier Kuratoren aus New York und Berlin, darunter Shamim M. Momim, Ko-Kuratorin der diesjährigen Whitney Biennale, und Ute Meta-Bauer, Leiterin der Berlin-Biennale, präsentieren Künstler ihrer Wahl. Das Augenmerk richtet sich auf die Rolle des Kurators im Kunstbetrieb (Weydingerstraße 10, bis 1. April). In einer Podiumsdiskussion wird etwa hinterfragt, ob die kuratorische Vormachtstellung noch nennenswerte Unterschiede zwischen den USA und Deutschland zulässt, und ob die Kunstwelt wirklich so international ist, wie sie sich gibt (15. Februar, 15 Uhr, Internationales Design Zentrum, Rotherstraße 16).
Auch neben dem offiziellen Festspiel-Programm gibt es eine Reihe von Ausstellungen aus oder über Amerika. Zu dem Sehenswertesten zählt das neue Video der New Yorkerin Lorna Simpson in der Galerie Wohnmaschine, das an ihre Documenta-Arbeit „31 2002“ anknüpft: Eine Kamera begleitet wieder zwei schwarze Frauen durch den Tag. Die Doppelprojektion „Corridor“ (Preis auf Anfrage) ist als eindringliches Kammerspiel komponiert, das zwei Frauen – gespielt von einer Schauspielerin – in zwei Jahrhunderten zeigt. Kostüme, Licht und Musik setzen die Zeitzeichen: ruhige Klaviermusik, Kolonialstil und an frühe Fotografien erinnerndes Sepia kontrastieren Jazz, strahlende Helligkeit und Pink in der Gegenwart. Fast könnte man glauben, die Hautfarbe sei sekundär. Genau hier setzt Simpsons Vexierspiel ein. Wo ist die Verbindung zwischen den Frauen? Was sind das für Häuser? Sind im mondänen Ambiente der modernen Frau die Rassen- und Geschlechterkonflikte gelöst? Unversehens sitzt man in der Falle seiner eigenen Vorurteile. Im Gegensatz zu früheren Arbeiten verzichtet die Künstlerin gänzlich auf Sprache, an deren Stelle nun die Musik tritt. Hierin erfährt „Corridor“ eine zusätzliche Poesie, in deren Zwischenräumen das Ungesagte Geschichten und Fragen evoziert. Antworten gibt Simpson keine; aber viele Wege, das Fragen wachzuhalten und sich der Fallen bewusst zu werden (Wohnmaschine, Tucholskystraße 35, bis 14. März).
Das transatlantische Beziehungsgeflecht beleuchtet die Ausstellung „Keim“ in der Galerie Kamm anhand marginaler, aber durchaus erhellender Ereignisse. Cornelia Schmidt-Bleek schlägt den Bogen von Adelbert von Chamisso, der 1816 den Kalifornischen Mohn nach Deutschland brachte, bis zu Militäreinrichtungen, die in der Art botanischer Sammlungen die Flora und Fauna okkupierter Gebiete erforschen. „Camouflage“ (2200 Euro) zeigt ein Tarnnetz ohne Tarnfarbe, und auch der Mohn wirkt bleich, mutiert zu riesenhaften Stoffblumen (500 bis 1200 Euro). Das Weiß hat seine Unschuld verloren. Ebenso bei Michael Stevenson, der eine tagespolitische Episode aus dem Jahre 2003 in eine hintersinnige Installation transformiert. Nachdem die Firma Keimfarben mit dem Anstrich des Pentagon beauftragt war, nutzte ein Republikaner aus Ohio den Tiefststand der deutsch-amerikanischen Beziehungen und entfachte eine Kampagne, an deren Ende die deutsche Traditionsfirma den Auftrag an ChemMasters aus Ohio abgeben musste. Stevenson – der sein Geburtsland Neuseeland auf der letzten Biennale in Venedig vertrat – präsentiert die Geschichte mit einer Zeichnung der Zeitung, in der die Debatte ausgefochten wurde und großformatigen Papierrollen mit dem Weiß beider Unternehmen (7500 Euro). Der Besucher darf sich ein Stück vom jeweiligen Farbmuster abschneiden, doch Nuancen oder Differenzen erschließen sich dadurch kaum (Galerie Kamm, Almstadtstraße 5, bis 27. März).
Auch die Schweizer Konzeptkünstlerin Barbara Caveng ließ sich für ihre Ausstellung in der DNA-Galerie von der Politik inspirieren. Am 11. September 2002 versicherten 500 amerikanische Soldaten auf dem Flugzeugträger „Abraham Lincoln“ dem amerikanischen Präsidenten ihre sofortige Bereitschaft, indem sie sich zu dem Schriftzug „Ready Now“ formierten. Dieses „Soldatenbild“ samt Kriegsmaschinerie prangt nun inmitten eines elf Quadratmeter großen Knüpfteppichs, dessen Aufbau und Ornamentik dem Vorbild arabischer Gebetsteppiche folgt (Preis auf Anfrage). Am dazugehörigen Knüpftisch, an dem im letzten Jahr rund 250 Menschen aus 53 Nationen geknüpft haben, können Besucher die Porträts der Teilnehmer und deren Kurzbiografien einsehen. Über Kopfhörer kann man zudem den Gesprächen lauschen, die sich während des Knüpf-Marathons entwickelten. Heimat, sagt etwa Oliver aus den USA: „lauert hinter einem, wie der Teufel“. Cavengs eindrucksvolles Projekt kann ebenso als Statement gegen die Anonymität des Krieges gelesen werden, wie gegen den staatlich oder religiös verordneten Kollektivismus. (DNA-Galerie, Auguststraße 20, bis 16. Februar)
Abgeschirmt gegen Fremdeinwirkung geben sich amerikanische Siedlungen weitab des städtischen Sündenpfuhls. Sicherheit ist die oberste Prämisse dieser geschlossenen Communities, die Marc Räder im kalifornischen Niemandsland fotografiert hat. Gleichförmige Hochsicherheitstrakte für Gutbetuchte, streng abgezäunt und bewacht nach außen, penibel reglementiert nach innen. Kameras überwachen jede Bewegung, Fremde kommen nur mit Voranmeldung an den Wachposten vorbei. So tarnte sich Räder bisweilen als Kaufinteressent und griff zum Teleobjektiv, was den Fotografien (2050 bis 6500 Euro) einen flirrenden Kontrast von Schärfentiefe und Unschärfe verleiht. Die Stimmung kippt zwischen harmloser Modellbauwelt und der Unwirtlichkeit von Huxleys „Brave New World“ ( Galerie Berinson , Auguststraße 22, bis 6. März)
Bei aller kritischen Distanz ist der American Dream gerade für Künstler noch lang nicht ausgeträumt. Die Auseinandersetzung mit amerikanischen Vorbildern aber, allen voran der Minimal und Concept Art, gerät in der gegenwärtigen Kunstproduktion nicht mehr zum selbstreferentiellen Zitat, sondern erfährt eine subtile inhaltliche wie auch politische Dimension.