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Sicherer Raum für Gefühle: Die verschlossene Sascha (Katharina Behrens, li.) lässt sich von der impulsiven Art Marias (Adam Hoya) mitreißen.

© Salzgeber

Henrika Kull und ihr Film "Glück": Eine Liebesgeschichte im Bordell

Eine aufregende neue Stimme im deutschen Kino. Beim Treffen spricht die Berliner Filmemacherin Henrika Kull über Selbstbestimmung in der Sexarbeit und die Faszination von Gesichtern.

Von Andreas Busche

Die Neue sticht unter den Frauen im Bordell heraus, Typ Punk-Girl. Schwarze Haare, tätowierte Arme und Beine, Nasenpiercing; wenn sie grinst, umspielt ein geheimnisvoller Zug ihren Mund. Zwischen zwei Jobs kritzelt Maria im Ruheraum in ein Notizbuch, das sie immer bei sich trägt. „Ich schreibe Gedichte“, erzählt sie ihrer Kollegin Sascha bei einem Kaffee.

Und gibt eine kleine Kostprobe: „Wenn man dir oft genug sagt: stirb! / dann stirbst du entweder und fängst an zu leben / aus Trotz / und ich bin eine Frau, so wie aus Trotz gemacht / ich bin eine Frau, so wie ich keine Frau bin“. Als der Bordellbetreiber zur Stippvisite vorbeischaut, will er von der Hausdame wissen, wie die Neue so sei. „Gut, aber speziell“, entgegnet die Chefin. „Crazy also, schön“, meint er zufrieden.

Eigenwillige Frauen sind eine Spezialität der Berliner Regisseurin Henrika Kull. Ihr zweiter Film „Glück“ ist eine Liebesgeschichte in einem Bordell. Romantik an einem Ort, an dem Intimität und Sex einen Warenwert besitzen, das klingt nach einem Widerspruch. Aber Kull hat schon in ihrem Debüt „Jibril“ an einem ungewöhnlichen Ort der Asymmetrie menschlicher Begehren nachgespürt: Gabriel sitzt im Gefängnis.

Die Besuchszeiten sind für die alleinerziehende Maryam die einzige Möglichkeit körperlicher Nähe, abends guckt sie allein Zuhause irakische Soap Operas. Mit „Glück“ erzählt Kull nun eine Liebesgeschichte auf Augenhöhe, aber immer noch unter erschwerten Bedingungen – denen des Kapitals.

Ausbeutung des männlichen Blicks

„Mich hat die selbstbestimmte freiwillige Sexarbeit interessiert“, sagt die Regisseurin beim Treffen in einem Kreuzberger Café, „soweit man im Kapitalismus überhaupt von freiwilliger Arbeit sprechen kann. Der weibliche Körper wird von der patriarchalen Gesellschaft und dem männlichen Blick so oft ausgebeutet, ohne dafür bezahlt zu werden, dass ich es nur konsequent finde zu sagen, dann nehme ich dafür Geld. Das ist ein klarer Deal.“

Kull betont trotzdem, wie wichtig es ihr war, in einem echten Bordell zu drehen, um dem Vorwurf entgegenzuwirken, sie würde Sexarbeit idealisieren. Einige der Frauen, auch ein paar Freier, spielen sich selbst. Die Regisseurin hat über die Jahre immer wieder in Bordellen recherchiert, daraus ging ihr Kurzfilm „Absently Present“ hervor. Er war eine Skizze, zum Leben erwachte das Projekt aber erst mit ihren Hauptdarsteller:innen Katharina Behrens (Sascha) und Adam Hoya, der Maria spielt.

Die Berliner Regisseurin Henrika Kull beweist in ihren Filmen ein feines Gespür für Menschen.
Die Berliner Regisseurin Henrika Kull beweist in ihren Filmen ein feines Gespür für Menschen.

© Privat

Wenn sie über ihre Schauspieler:innen spricht, kommt Kull ins Schwärmen: „Es ist Wahnsinn zu beobachten, was mit Adams Gesicht durch die Kamera passiert. Sowas will ich auf der Leinwand sehen.” Henrika Kull lernte Hoya noch als Eva Collé kennen, den genderfluiden Social-Media-Star aus Pia Hellenthals Dokumentarfilm „Searching Eva“.

Zwei Monate vor den Dreharbeiten zu „Glück“, erinnert sich die Regisseurin, habe Adam ihr verkündet, dass er sich als trans outen würde. „Ich habe ich mich für ihn gefreut, weil das natürlich ein wahnsinniger Schritt ist, aber aus Produktionssicht war das schwierig. Doch mir war klar, dass ich den Film ohne Adam nicht machen kann.“

Kull interessieren Menschen, Körper, Gesichter

Mit ihrem feinen Sensorium für Menschen und ihrer Akribie in den Beschreibungen sozialer Räume gehört Henrika Kull nach zwei Low-Budget-Filmen zu den interessantesten deutschen Regisseurinnen. Viele Stunden habe sie in Berliner Bordellen gedreht, erzählt sie, gerne hätte sie aus dieser Welt, die von so vielen Vorurteilen behaftet ist, mehr gezeigt.

„Die Frauen waren toll, es gab irre Momente und Gespräche, die man so noch nicht im Kino gesehen hat.” Aber als „Milieu-Filmerin“ versteht sie sich, trotz eines abgeschlossenen Soziologie-Studiums, dennoch nicht. „Eigentlich sind es wirklich die Menschen, die Körper, die Gesichter, die mich anziehen. Daraus entstehen die Geschichten, die ich erzählen will.“

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Kull hat einen intuitiven Zugang zum Kino. Sie probt wenig mit ihren Darsteller:innen, lässt sie eher gemeinsam „Momente erleben“, wie sie es nennt – „zusammen im Bett liegen und lesen. Oder sich gegenseitig den Nacken kraulen“. Manchmal dreht sie auch Dialoge, von denen sie von vorneherein weiß, dass sie für den Film nicht gebraucht werden. So aber werden die Sätze Teil einer filmischen Biografie. „Auf diese Intimität und Erfahrungen können die Darsteller:innen später unbewusst referieren.”

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Regie auf dem dritten Bildungsweg

Das mag esoterisch klingen, aber Kull ist dabei eine überaus materielle Regisseurin. Gesichter und Körper stehen im Fokus – ob bei der Arbeit oder abwesend auf dem Dancefloor. Die lyrische Abstraktion flüchtiger Momente, ohne dass diese gleich zum Ornament verkommen, hält ihr Kino in einem Schwebezustand zwischen dokumentarischem Wahrheitsanspruch, dem Naturalismus ihrer Darsteller:innen und der Überhöhung einer (manchmal hässlichen) Wirklichkeit.

Hochschul-Abschlüsse in Filmproduktion (an der dffb) und Regie (Filmuniversität Babelsberg), zwei Spielfilme in drei Jahren, die sie zudem selbst schneiden musste, weil außer ihr am Ende niemand mehr Überblick über das Material hatte: Henrika Kull besitzt einen Drive, der im bürokratischen deutschen Film selten geworden ist. Was auch damit zu tun haben könnte, dass sie bereits Regisseurin auf dem „dritten Bildungsweg“ ist, wie sie ironisch bemerkt. „Das Studium hat mich irgendwann verrückt gemacht, überhaupt, ich wollte nicht mehr studieren, ich wollte endlich raus und Filme drehen.“

Sie sitzt bereits an ihrem Folgeprojekt. Gerade hat sie drei Monate in Israel verbracht und dort ihren nächsten Drehort entdeckt, den Busbahnhof von Tel Aviv: eine irre Sechziger-Jahre-Architektur und Schmelztiegel für die Marginalisierten der Stadt, Tagelöhner, Migranten, Kriminelle. Eine Welt voller Geschichten, die im Kino zu kurz kommen. „Ich will als nächstes endlich einen Film machen, bei dem es emotional mal richtig wild wird“, verspricht Kull. Ein Titel schwebe ihr auch schon länger vor, verrät sie grinsend: „Ein Tornado fegt über mein Herz“. Ihr dritter Film wird wieder eine Liebesgeschichte, da scheint sie ihr Thema gefunden zu haben. Doch abgesehen davon ist bei Henrika Kull in Zukunft mit allem zu rechnen. (In Il Kino, Klick, Lichtblick, Zukunft)

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