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Sope wird im Humboldt Forum zu sehen sein.

© Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum/Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, digitale Reproduktion: Jester Blank GbR

Highlights für das Humboldt Forum: Hier weilte ein Gott

Beistand bei Hausbau, Hochzeit und Geburten: Kuratorin Dorothea Deterts, eine Holzbildhauerin und ein Psychologe erklären, was die tino-aitu-Figuren bedeuten.

Es sind einzigartige, ausdrucksstarke Meisterwerke: die tino-aitu-Figuren aus Ozeanien. In diesen Figuren, so glaubte die Bevölkerung, konnten Götter sich aufhalten, zumindest zeitweilig. Bis zur Christianisierung der mikronesischen Inselgruppen wurden Gottheiten in solchen Figuren dargestellt. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel einer solchen tino-aitu-Figur ist die 172 Zentimeter hohe Skulptur des Gottes Sope, die ab 2019 im Humboldt Forum zu sehen sein wird.

Sie stammt aus Nukuoro, einem Atoll südlich der mikronesischen Inselgruppe der Karolinen, dessen Bevölkerung polynesischen Ursprungs ist. Nach Deutschland gelangte sie durch die Sammeltätigkeit von Johann Stanislaus Kubary, der als Angestellter des Hamburger privaten Kaufmannmuseums Godeffroy in Ozeanien „ethnographische“ Objekte erwarb. Er übergab 1881 diese vier Jahre zuvor auf Nukuoro erworbene Figur dem Museum. Der Name des Künstlers ist nicht überliefert. Als das Museum Godeffroy 1885 Konkurs anmeldete, kam die Figur in das Hamburgische Museum für Völkerkunde. 1962 wurde sie gegen sechs ozeanische Objekte aus dem Berliner Ethnologischen Museum getauscht. Seit 1970 war sie in den Dauerausstellungen des Ethnologischen Museums zu sehen.

Tupúa hatten eigene Namen, Priester und Tempel

Kubary berichtete, dass die Bevölkerung von Nukuoro bis zur Christianisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert die tino-aitu-Figuren als zeitweiligen Aufenthaltsort von Gottheiten ansah. Sie unterteilte die Gottheiten in tupúa, die seit Erschaffung der Welt bestanden, und in aitu tanata, Geistwesen verstorbener Personen. Tupúa - darunter auch der Gott Sope - hatten eigene Namen, Priester, Tempel und Zeremonien. Sie hatten ihren Sitz in Holz- oder Steinfiguren oder auch in Tieren. Tupúa wurden bei Haus- und Bootsbau, bei Heirat und Geburt, bei Tod und Krankheiten um ihren Beistand gebeten. Während der Zeremonien wurden die tino-aitu-Figuren in ihren jeweiligen Tempeln aufgestellt.

Sechs Figuren des Gottes Sope standen im Haupttempel des Dorfes Nukuoro, was darauf schließen lässt, dass Sope zu den allgemeinen Nukuor-Gottheiten zählte. Die größten Zeremonien fanden im Haupttempel statt. Alle Nukuoro versammelten sich dort vor den geschmückten Götterfiguren und brachten ihnen Nahrungsmittel dar, die dann von den Priestern mit allen geteilt wurden. Es folgte eine Zeit der Tänze sowie weiterer Festessen - beendet von der zeremoniellen Tätowierung der Frauen. Danach wurden Wettbewerbe im Rennen und Ringen ausgetragen, bestimmte Sexualtabus aufgehoben, weitere Tänze aufgeführt und sich zum Fischfang versammelt. Schließlich beendete der Herrscher die Zeremonie und setzte die für diese Zeit aufgehobenen Tabus wieder in Kraft.

Die Nukuoro-Künstler sind bis heute unbekannt

Die Informationen zu Nukuoro und den tino-aitu-Figuren sind spärlich und beruhen vor allem auf den ethnografischen Berichten von Johann Kubary und Kapitän Carl Jeschke. Kubary besuchte Nukuoro 1873 und 1877. Jeschke kam 1904 das erste Mal nach Nukuoro und ließ sich dort zwischen 1910 und 1913 mit seiner Nukuoro-Ehefrau zeitweise nieder. Kubary und Jeschke sammelten mehrere Objekte, darunter 14 tino-aitu-Figuren. Leider hat keiner der beiden das Gespräch mit Nukuoro-Künstlern gesucht und deren Ansichten niedergeschrieben. Kubarys Beitrag ist die detaillierteste Quelle zu Nukuoro in der Mitte 19. Jahrhunderts und zu den tino-aitu-Figuren.

Seit den 1870er Jahren wurden die Figuren zu begehrten Sammlungsstücken und von Museen in Deutschland und Neuseeland erworben. Heute sind 38 solcher Figuren bekannt, die nur in Details und Größe variieren: vier weibliche und fünf männliche Figuren mit geschlechtsspezifischen Tattoos und Geschlechtsmerkmalen und 29 mit unbestimmbarem Geschlecht.

Alle folgen dem gleichen Aufbau. Die Kohärenz der Figuren veranlasste verschiedene Spezialisten, an einen oder einige wenige Künstler zu denken. Die Namen dieser Nukuoro-Künstler sind allerdings nicht überliefert. In den tino-aitu-Figuren vereinten sie polynesische und mikronesische Ideen, entwickelten so eigene Formen und schufen diese im ozeanischen Raum einzigartigen Meisterwerke.

Die Autorin ist Kuratorin der Sammlungen Südsee und Australien des Ethnologischen Museums Berlin.

"Die Maserung des Holzes macht Sope lebendig"

Ausdrucksstark. Nur 38 mikronesische tino-aitu-Götterfiguren wie diese Skulptur des Sope sind heute bekannt.
Ausdrucksstark. Nur 38 mikronesische tino-aitu-Götterfiguren wie diese Skulptur des Sope sind heute bekannt.

© Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum/Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, digitale Reproduktion: Jester Blank GbR

Corinna Braun

Die Autorin ist Holzbildhauerin und Kunsttherapeutin in Berlin. Ihr Können gibt sie in Kursen weiter.

Trotz ihrer Schlichtheit ist die Figur sehr ausdrucksstark. Die Maserung des Holzes, vor allem im Brustbereich, macht sie lebendig. An den Linien dort sieht man, dass sie aus einem Stück gearbeitet ist - wir Holzbildhauer sagen: aus dem vollen Stamm. Der Körper wirkt fast wie geschliffen. Und ob die Schattierungen bewusst erzeugt wurden oder durch Verwitterung entstanden sind? Ich frage mich auch, welches Werkzeug der Künstler wohl hatte: Hohlbeitel, wie ich sie verwende, sicherlich nicht. Vielleicht nur eine Axt?

Auch ich arbeite gerne aus dem vollen Holz. Ich nutze den Stamm so, wie er ist. Er hat vielleicht Risse oder eine schöne Maserung; das finde ich dann besonders interessant. Tatsächlich haben auch meine Figuren oft kein Gesicht. Ich finde, das Holz und die Körperhaltung wirken für sich. Der Sope steht ganz gerade: stolz und erhaben. Ich persönlich mag auch runde, weiche Formen, daher sind meine Figuren oft Frauen.

Dass die Beine so abrupt enden, stört mich etwas. Aber vielleicht stand der Verwendungszweck im Vordergrund: Wenn er im Tempel geschmückt wurde, musste der Holzgott schließlich einen festen Stand haben.

Protokolliert von Silke Zorn.

"Kein Gesicht, kein Erkennen - ein Stellvertreter"

Christoph Droß

Der Autor bietet in Berlin psychologische Beratung und Aufstellungsarbeit an.

Spontan denke ich bei der Gestalt an E.T., den Außerirdischen. Sie sieht menschlich aus, aber die Proportionen stimmen nicht, der Hals ist zu dünn, die Brust zu kantig. Und dann dieser gesichtslose Kopf. Es gibt keine Anhaltspunkte für ein Erkennen, die Figur könnte stellvertretend für jeden stehen.

Auch bei der Aufstellungsarbeit, meinem Schwerpunkt als Psychologe, gibt es sogenannte Stellvertreter. Aufstellungen können zum Beispiel bei nicht bewältigten Familienkonflikten helfen. Der Fragesteller platziert fremde Menschen in einem Raum, die stellvertretend für ihn selbst, für Vater, Mutter oder andere wichtige Personen stehen - so wie es seinem Gefühl entspricht. Mal geht es schnell, mal dauert es etwas, aber irgendwann spüren die Stellvertreter eine Veränderung. Der „Vater“ lässt die Schultern hängen, im „Bruder“ kommt Wut auf, die „Mutter“ hat den Impuls, sich umzudrehen, weil sie die „Tochter“ nicht sieht. Warum diese Empfindungen sich einstellen, dazu gibt es viele Theorien. Wichtig ist: Es hilft, verborgene Beziehungsmuster zu begreifen.

Anders als die gesichtslose Figur sind diese Stellvertreter aber keine Projektionsfläche; es geht um ihr eigenes Erleben. Projiziert nicht, interpretiert nicht, sage ich der Gruppe. Bleibt bei dem, was ist.

Protokolliert von Silke Zorn.

Die nächsten Termine

Bis Mai 2019 stellt das Humboldt Forum 15 Objekte vor, die die Vielfalt der künftigen Sammlungen widerspiegeln - in Gesprächen und in einer Ausstellung und der Museumsinsel und am Kulturforum.

Der Sope ist derzeit im Neuen Museum zu sehen (Museum für Vor- und Frühgeschichte, 3. Stock), zukünftig in den Museen im zweiten Obergeschoss des Humboldt Forums.

Erlebt - Erzählt - Behauptet
Montag, 18. Februar 2019, 19.30 Uhr, Revolutionszentrum Podewil, Klosterstr. 68, 10179 Berlin

Auftrag - Kunst - Freiheit

Donnerstag, 21. März 2019, 19:30 Uhr, ESMT Berlin – European School of Management and Technology, Schlossplatz 1, 10178 Berlin

Weitere Infos und Anmeldung für reguläre Tickets im Internet unter humboldtforum.com/highlights.

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