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Leg Dich nicht mit Texas an. Farmerstochter Pearl (Mia Goth) träumt von einer Hollywood-Karriere.

© Christopher Moss/Photo Credit: Christopher Moss

Horror-Hommage „Pearl“: Show-Einlage mit Blutaxt

Horror-Aficionado Ti West spielt im Prequel „Pearl“ mit einem weiteren Hollywood-Genre, dem Melodram. Seine Hauptdarstellerin Mia Goth bekommt damit ein eigenes Franchise.

Es ist das Jahr 1918. In Europa herrscht Krieg, während die Spanische Grippe auf der ganzen Welt Millionen Menschen dahinrafft. Dennoch will sich die heimische Farm in Texas für die junge Pearl (Mia Goth) nicht wie ein Zufluchtsort anfühlen. Eher wie ein Gefängnis. Sie tanzt vor dem Spiegel und träumt sich fort in die Welt der Musical-Stars. Dazu wallen die Streicher, die Farben leuchten, als wären sie in Technicolor gedreht.

„Pearl“ von Ti West beginnt wie eine Mischung aus Douglas-Sirk-Melodram und „The Wizard of Oz“. Doch unter all dem Zuckerguss gärt es gewaltig. Denn die eigentliche Gefahr geht nicht von Krieg und Virus aus, sondern von der Farmerstochter mit den roten Zöpfen und Sommersprossen selbst. Wer Pearls Sehnsucht nach einer Leinwand-Karriere belächelt, bekommt schon mal ihre Mistgabel zu spüren. 

Regisseur West hat ein Talent dafür, sich die Bildsprache vergangener Zeiten anzueignen. Der Vorgängerfilm „X“ (2022) sieht mit seinen verwaschenen Farben und Bildsprüngen ganz nach Grindhouse-Kino aus. West lässt darin eine Filmcrew im Jahr 1979 zum Sex-Dreh auf eine Farm fahren – ohne zu ahnen, dass das uralte Ehepaar, das dort lebt, alles andere als friedliebend ist. 

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So kombiniert er die „Schmuddel-Genres“ Porno und Horror für eine Hommage an das Low-Budget-Kino der Siebziger. Doch anders als bei den billig und schnell heruntergedrehten Vorbildern, nimmt sich West die Hälfte des Films Zeit, um seine Figuren zu etablieren.

Selbst bei der Killer-Oma (ebenfalls gespielt von Mia Goth unter Prothesen und Make-up) klingen Konflikte an, die ihr Handeln motivieren. Ihre Vorgeschichte hat West nun ausgebaut: Die in die Jahre gekommene Mörderin aus „X“ ist die Farmerstochter mit Showbiz-Ambitionen in „Pearl“, nur in jung.

Beide Filme entstanden unmittelbar nacheinander. Nicht etwa in Texas, sondern in Neuseeland. Das Land versprach zu Corona-Zeiten durch seine rigide Abschottungspolitik ein Mindestmaß an Sicherheit beim Dreh. Während West und Goth nach der Einreise in der obligatorischen Quarantäne saßen, entwickelten sie gemeinsam die Vorgeschichte der Figur – bis sie einen ganzen Film beisammen hatten.

Farmerstochter Pearl (Mia Goth) und ein makabres „Wizard of Oz“-Zitat.
Farmerstochter Pearl (Mia Goth) und ein makabres „Wizard of Oz“-Zitat.

© Christopher Moss/Photo Credit: Christopher Moss

Und da ein Großteil in denselben Sets spielen sollte, konnte West auch die Produktionsfirma von dem kostengünstigen Doppeldreh überzeugen. Beide Filme sind mittlerweile derart lukrativ, dass eine Fortsetzung namens „MaXXXine“ bereits gedreht wird. Sie spielt im Los Angeles der 1980er Jahre. 

Horror und Hollywood-Melodram

Bei „Pearl“ treibt West das Spiel mit den Genres auf die Spitze. Wenn er weite Teile des Films im Modus des Melodrams erzählt, lässt er einen nah heranrücken an seine Titelfigur. Ihre Sehnsucht, abzuhauen von der Farm mit der verbitterten Mutter (Tandi Wright) und dem gelähmten Vater (Matthew Sunderland), wird nachvollziehbar.

Pearls jugendlicher Furor nimmt einen ganz für sie ein – bevor man merkt, zu was sie imstande ist. Man weiß das natürlich schon seit „X“; doch wenn die Brüche in ihrer Psyche immer deutlicher zutage treten, wirkt auch der Bruch mit der klassischen Hollywood-Ästhetik umso überraschender.  

Das liegt auch an Ti Wests Willen, die Mischung aus Charakterstudie, Satire und Horrorfilm mit Geduld zu erzählen. In einer zentralen Szene lässt er Pearl ihr Innerstes in einem achtminütigen Monolog ausschütten, die Kamera unbewegt auf ihrem Gesicht. Das funktioniert dank Hauptdarstellerin Mia Goth, die glaubwürdig zwischen naiver Begeisterung und Eiseskälte changiert. Ihr Strahlen gefriert zu einem irren Grinsen – unvergesslich. 

So spielt West in „Pearl“ fortwährend mit dem Wechsel von Nähe und Distanz. Das Ergebnis ist nicht nur gleichermaßen gefühlvoll wie furchterregend. Es ist auch Zeugnis einer großen Liebe für das Kino. Sie spricht aus jeder Einstellung dieses sonderbaren Films. 

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