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Das Smartphone wird 20 Jahre alt.

© imago/Felix Jason

20 Jahre Smartphone: Ich kommuniziere, also bin ich

Die ganze Welt in der Hosentasche - aber wehe, keiner sieht mich. An diesem Montag vor 20 Jahren wurde das erste Smartphone verkauft.

Die Hand gewölbt, den Blick gesenkt, den Kopf leicht zur Seite geneigt: Die Menschen auf den Fotos von Eric Pickersgill nehmen seltsame Posen ein. Ernst sehen sie aus, hoch konzentriert, andächtig. Ganz für sich bleiben sie auch, obwohl sie sich in bester Gesellschaft befinden, mit der Familie zu Tisch, mit Freundinnen in der Küche, mit dem Liebsten im Bett. Der US-Künstler hat Menschen mit Smartphones und Tablets im Alltag beobachtet und sie gebeten, noch einmal in der gleichen Stellung zu verharren – ohne die Geräte (www.ericpickersgill.com). Die Smartphone-Welt ohne Smartphones: ein Zombie-Szenario, Pantomimen der Absenz.

Womit wir beim ersten Paradox wären, pünktlich zum Jubiläum jenes internetfähigen Mobiltelefons, das an diesem Montag exakt vor 20 Jahren in Gestalt eines Nokia-„Communicators“ erstmals verkauft wurde und mit der Vorstellung des ersten iPhones vor bald zehn Jahren seinen Siegeszug antrat. Beim Widerspruch eines mobilen, omnipräsenten und (fast) omnipotenten Kommunikationsmittels, das bei genauerem Hinsehen weniger der Kommunikation dient als der Selbstbestätigung.

Das Smartphone plingt, surrt, dudelt

Die Whatsapp- und SMS-Nachrichten, die schnelle Mail zwischendurch, die Selfies, die Tweets, das Bestätigungshäkchen, die Rückmeldung, die Facebook-Freunde, die Likes: Sie verbinden einen zwar mit der Welt, aber vor allem generieren sie Aufmerksamkeit. Es plingt, brummt, surrt, hurra, ich bin ja noch da. Ich kommuniziere, also bin ich. Ich kommentiere die jüngsten News, also habe ich an der Gegenwart teil. Das gilt vor allem für Jugendliche, für die Pubertät, die Zeit, in der das noch diffuse Ego den wildesten Seelenstürmen ausgesetzt ist. Aber es gilt auch für Erwachsene: Wehe, das Smartphone schweigt länger, obwohl es nicht auf Flugmodus eingestellt ist.

Die Statistik verzeichnet 50 Millionen Mobilfunknutzer in Deutschland, rund zwei Milliarden weltweit, Tendenz immer noch steigend. „Wer nicht wahrgenommen wird, den gibt es nicht“, schreibt der Medientheoretiker Florian Rötzer. Interessanterweise ist sein Essay über den Rohstoff Aufmerksamkeit als primäre Ressource der verstreuten, „translokalen“ Informationsgesellschaft ebenfalls 20 Jahre alt. Das Smartphone war damals noch nicht allgegenwärtig. Aber die Angst, im unaufhörlichen Strom der News und Bilder unterzugehen, rückte langsam ins Bewusstsein.

Eins der ersten Smartphones, das internetfährige Nokia 9000. Im März 1996 wurde es vorgestellt, im August kam es auf den Markt.
Eins der ersten Smartphones, das internetfährige Nokia 9000. Im März 1996 wurde es vorgestellt, im August kam es auf den Markt.

© Reuters

Die Globalisierung der Medienwelt brachte es eben auch mit sich, dass die Konkurrenz unendlich groß wurde. Man buhlt nicht mehr nur in der eigenen Peergroup um das Interesse der anderen, nein, the whole world is watching. Wahrnehmung als begehrtes Gut: Jeder kennt das, bei der Arbeit, zu Hause. Längst gibt es Mobilfunk-Knigges über die Frage, wie lange sich die Nichtbeantwortung einer Nachricht noch in den Grenzen der Höflichkeit hält. Und die Politiker wissen: Wer nicht twittert, bringt sich um seine Wahlchancen.

Das Selbst und das Bild und das Smartphone: Das kleine i bei den Electronics des prominentesten, wenn auch nicht marktführenden Anbieters Apple müsste eigentlich großgeschrieben werden. Me, myself and I. Ich, Ich und Ich. Wobei die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit uralt ist, sie hat nur ein neues Medium gefunden. Das Smartphone übernimmt die Funktion des Spiegels, in dem wir uns der eigenen Existenz versichern – und der Nähe zu den anderen, zumindest virtuell.

Das Touchscreen unserer Urahnen

Wir sind vereinzelt, wir sind nicht allein. Dabei hat die glatte dunkle Oberfläche eigentlich etwas extrem Abweisendes. Die Nutzer mögen es so glatt, die Firma LG brachte vor ein paar Jahren sogar ein Smartphone mit selbstheilender Beschichtung auf den Markt, zumindest kleine Kratzer verschwinden. Die glänzende schwarze Außenhaut erinnert an den Monolithen, den die Affen im Prolog von Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ umtanzen und vorsichtig tastend berühren. Bei Kubrick beginnt damit die Menschwerdung. Der Affe wird zum Krieger, zum Eroberer, es schleudert ihn ins All. Mit dem Smartphone ist der Monolith auf Hosentaschenformat geschrumpft.

Womit wir beim zweiten Paradox wären, dem Widerspruch zwischen Entgrenzung und Verortung. Das Smartphone, magisch wie Kubricks Monolith, verwandelt sich in eine Wunderwaffe, kaum dass man es aktiviert. Es ist Telefon, Internetanschluss, Nachrichtenübermittler, Geldinstitut, Lexikon, Terminplaner, Wecker, Taschenrechner, Navigationsgerät, Warenhaus, Fotoalbum, Musikbibliothek, Musikinstrument (das DigiEnsemble Berlin spielte Bachs „Weihnachtsoratorium“ mit Apps), man kann Bücher darauf lesen und Filme gucken. Jedes Ereignis, und sei es noch so weit weg, jede Katastrophe, jeder Anschlag, jedes Fußballspiel, lässt sich in Echtzeit verfolgen. Wir sind jederzeit überall, stecken die Welt in die Tasche, und wer sich meldet, den fragen wir als Erstes: Wo bist du?

Upload pro Minute: 40.000 Bilder

Die Digital Natives verorten sich unentwegt, schicken die Urlaubs-Selfies mit dem Eiffelturm oder dem Alpengipfel im Bildhintergrund herum, als Beweis. Hier, genau hier bin ich gerade. Nicht wenige der in Deutschland über 100 Millionen abgesetzten Textnachrichten pro Tag dienen dazu, einen analogen Geschäftstermin oder ein Date zu verabreden, sich auf dem Bahnsteig zu finden. Und eine neue Studie der Southern University of California belegt: Wer beim Konzert mit dem Smartphone fotografiert, tut dies zur Steigerung der Erlebnisintensität. Nicht, um hinterher die Fotos gucken zu können, sondern um den analogen Moment zu feiern. Auf Instagram werden pro Minute rund 40 000 Bilder hochgeladen.

In jedem Nutzer steckt ein Universalgelehrter

Lagerfeuer der Digital Natives. Mit dem Smartphone in der Tasche bist du immer in Gesellschaft.
Lagerfeuer der Digital Natives. Mit dem Smartphone in der Tasche bist du immer in Gesellschaft.

© picture alliance / dpa

Als die Handys aufkamen, noch ohne Internet, stülpte sich das Privatleben in den öffentlichen Raum. Einer telefoniert in der Bahn oder am Flughafen, die anderen nehmen ungefragt an dessen Familienclinch und Geschäftsgebaren teil. Mit dem Smartphone hat sich manches verschriftlicht, es ist etwas ruhiger geworden. Aber die unfreiwillige Teilhabe, die Entgrenzung der Intimsphäre bleibt ein Phänomen der Gegenwart. Wobei auch die Unterhaltungsindustrie das Innenleben der User immer besser kennt. Dank Ortungsdiensten und Big Data ist die Kundschaft rund um die Uhr erreichbar.

Noch ein Widerspruch: der zwischen Arbeit und Freizeit. Weil das Smartphone ein mobiles Büro ist, versteht es sich längst von selbst, kleine Unterwegs-Zeitfenster für schnelle Erledigungen zu nutzen. Da wird jede Wartezone zum potenziellen Arbeitsplatz. Über die Steigerung der individuellen und kollektiven Ungeduld im Mobilfunkzeitalter ist viel geschrieben worden, nicht nur, weil Chefs ihre Angestellten bis in die Nacht und den Urlaub hinein verfolgen (und umgekehrt auch). Andererseits ist das Vademecum des Homo digitalis eben auch eine Spielkonsole für die Selbstbespaßung, von „Angry Birds“ bis zum Hype um „Pokémon Go“. Über 23 Millionen Deutsche nutzen Spiele-Apps; der Jahresumsatz belief sich 2015 auf 315 Millionen Euro.

Ein Ratgeber-Boom: Das digitale Burn-Out

Und nein, der Mensch ist kein Multitasker. Die schnelle Ablenkung ist mindestens so beliebt wie die schnelle Erledigung, und es ist wirklich eine Ablenkung. Sie senkt die Aufnahmefähigkeit und die Arbeitsleistung, im Hörsaal, im Büro, wie Studien belegen. Es muss gar kein Game und kein Katzenvideo sein: Wir wollen always on sein, bauen gleichzeitig Filter im Evernet ein, sind genervt von der Überforderung, der Abhängigkeit, diskutieren über Suchtverhalten, Nomophobie und digitalen Verzicht. Wir leiden am „Digitalen Burn-out“, so einer der modischen Buchtitel zu Fluch und Segen des Phänomens. Aber wir spielen halt gern. Alle 18 Minuten machen wir was mit dem Smartphone, fasst Alexander Markowetz die Ergebnisse einer Studie der Uni Bonn im „Burn-out“-Buch zusammen. Im Schnitt! Bei 17- bis 25-Jährigen sind es mehr als drei Stunden pro Tag. Die Attraktion wird zur permanenten Distraktion, wer ständig unterbrochen wird, ist unproduktiv.

Das Smartphone als Spielekonsole: Pokemon-Go-Spieler Ende Juli in Tokio.
Das Smartphone als Spielekonsole: Pokemon-Go-Spieler Ende Juli in Tokio.

© picture alliance / dpa

In jedem Smartphone-Nutzer steckt ein Universalgelehrter, er trägt ja einen allwissenden Assistenten mit sich herum. Gleichzeitig mutiert er zum Kleinkind, das vierte Paradox. Die schöne Geschichte, dass die Entwickler des Touchscreens sich die Technik vom Säugling abgeschaut haben, der den Finger in den Brei stupst, darin herumrührt, um sich das leckere Essen anschließend per Pinzettengriff zuzuführen, gehört zwar ins Reich der Legenden. Aber wie alle Legenden enthält sie einen wahren Kern. Tasten, Tappen, Wischen, Scrollen, Schieben, es entspricht tatsächlich den Gesten eines mit Brei oder Farbe herumschmierenden Babys, wie der Kunstpädagoge Georg Peez feststellt. Schon gibt es Bachelorarbeiten über das Smartphone als „Vermögen unseres Leibes“, als Leib-Extension, vergleichbar dem Blindenstock.

Die nächste Stufe ist längst in Arbeit

Generation Wisch, Klick und weg: Die Teenie-Profis tippen mit dem Daumen, schneller als man gucken kann. Wir älteren Laien tun es in Zeitlupe, mit anderen Fingern. Und Kleinkinder, denen die Eltern zu früh Tablets oder Smartphones in die Hand drücken, versuchen auch mal, den Blick aus dem Autofenster zu vergrößern, indem sie ihn mit den Fingern aufziehen. Die Handhabung des über elektrische Spannung funktionierenden Sensorbildschirms folgt einer denkbar natürlichen Logik, ist dermaßen elegant und taktil, dass sie förmlich erfunden werden musste. Der User bewegt sich im Cyberspace, benötigt aber Fingerspitzengefühl dafür. So kommt die Körperlichkeit doch wieder ins Spiel, ja sogar Zärtlichkeit.

Manchmal erschrickt man über das Tempo. Mein dreijähriger Enkel konnte es nicht fassen, dass Ferkel in der „Pu der Bär“-Geschichte vom Hochwasser nicht einfach zum Handy greift, um Hilfe zu holen. Auf die Erklärung, dass es Telefone früher nur in Räumen gab, wollte er wissen, ob die Schnur denn auch lang genug war, um das Haus damit verlassen zu können. Eine Welt ohne Mobilfunk ist unvorstellbar geworden.

Die nächste Stufe, der Omnitouch, ist längst in Arbeit. Ein Gerät samt Miniprojektor in Zigarettenschachtelgröße soll es möglich machen, jede beliebige Oberfläche in einen Sensorbildschirm zu verwandeln, die Tischplatte, die Wand, den eigenen Arm. Sind wir schon Cyborgs und kommen nicht nach?

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