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Auch Sportlerinnen und Schauspieler sind willkommen. Thea Dorn, nun alleinige Moderatorin im „Literarischen Quartett“.

© ZDF und Svea Pietschmann

„Ich will Brillanz“: Thea Dorn zu ihren Plänen beim „Literarischen Quartett“

Von der Kritikerrunde zum gesellschaftlichen Salon: Ein Gespräch mit der neuen Moderatorin Dorn über Gäste, Großkritiker und was ein gutes Buch ausmacht.

Thea Dorn, 49, ist Schriftstellerin, Literaturkritikerin, Autorin (mehrere Drehbücher für den Bremer „Tatort“, Theaterstück „Marleni“) und Fernsehmoderatorin („Büchertalk“, „Literatur im Foyer“).

Nach dem Studium der Philosophie und Theaterwissenschaft in Frankfurt, Wien und Berlin war sie Dramaturgin und Autorin am Schauspielhaus Hannover. Ihren Künstlernamen hat sie in Anspielung auf den Philosophen Theodor W. Adorno gewählt.

Seit März 2017 ist Dorn festes Ensemblemitglied in der Sendung „Das Literarische Quartett“ (Freitag, ZDF, 23 Uhr). Sie übernimmt, nach dem überraschenden Ausstieg von Volker Weidermann und Christine Westermann, die Moderation der Sendung als alleinige Gastgeberin mit wechselnden Gästen.

Frau Dorn, oder soll ich sagen Frau von Dorn?
Wie kommen Sie denn darauf?

Das „Literarische Quartett“ soll sich im 32. Jahr seines Bestehens von der Kritikerrunde zum literarischen Salon wandeln – da denkt man an Bettina von Arnim oder Rahel Varnhagen von Ense, die Ende des 18. Jahrhunderts literarische Salons in Berlin führten. Dort diskutierten Dichter, Adelige und Politiker mit wohlhabenden und gebildeten Frauen als Gastgeberinnen.
Sie vergessen Johanna Schopenhauer, eine äußerst interessante Salonnière. Der Briefwechsel mit ihrem Sohn Arthur gehört zum Tollsten, was es an Briefwechseln in der deutschen Literatur gibt.

Was reizt Sie am Salon-Gedanken, der breiteren gesellschaftlichen Diskussion – im Unterschied zur Kritikerrunde?
Der Salon ist der perfekte Raum, um in unruhigen Zeiten literarisch-gesellschaftliche Gespräche zu führen. Im Laufe der Zeit soll sich ein erweiterter Kreis an Gästen etablieren. Dieses Format gibt uns bei der Auswahl der Gäste eine größere Freiheit, es erlaubt uns, in ganz unterschiedliche Richtungen zu denken.

Welche Richtungen wären das? Welche Gäste?
Schriftsteller. Politiker wie Sahra Wagenknecht, die ja auch Germanistin ist. Gern ein kluger, belesener Kopf aus der Wirtschaft oder Schauspieler wie Matthias Brandt, Uli Matthes und Joachim Meyerhoff.

Sahra Wagenknecht ist nicht nur Politikerin, sondern auch Germanistin - und als solche war sie auch schon Gast im Literarischen Quartett.
Sahra Wagenknecht ist nicht nur Politikerin, sondern auch Germanistin - und als solche war sie auch schon Gast im Literarischen Quartett.

© dpa

Sportler?
Wenn ich die Biathletin treffe, die eine leidenschaftliche Leserin ist, lade ich sie sofort ein.

Noch mal Thomas Gottschalk?
Warum nicht. Sein Auftritt im „Literarischen Quartett“ war seriös und unterhaltsam, er hat mich beeindruckt.

Aber macht man aus der Not nicht eine Tugend, weil man die Literatur-Großkritiker in Deutschland nicht mehr findet, die diesem autoritären Gestus à la Marcel Reich-Ranicki frönen?
Handelt es sich hier wirklich um eine „Not“? Die Kehrseite der Großkritiker-Medaille konnte man ja spätestens im Jahre 2000 besichtigen, als es im „Literarischen Quartett“ zum Eklat kam. Die Art und Weise, in der Reich-Ranicki und Hellmuth Karasek damals, anlässlich ihres Gesprächs über den Murakami-Roman „Gefährliche Geliebte“, Sigrid Löffler abkanzelten, nach dem Motto: Diese Frau versteht nichts von Erotik – bodenlos. Für mich eine der Negativ-Sternstunden des deutschen Fernsehens.

Es war unterhaltsam: diese Rollenverteilungen. Man hatte als Zuschauer immer das Gefühl, dass gleich die Fetzen fliegen.
Unbestritten, das feste Dreier-Ensemble hatte etwas für sich. Zum Teil wurde da große Seifenoper geboten. Aber ist das noch zeitgemäß? Für mich gehört das alte Quartett in die alte Bundesrepublik, auch wenn es vor allem in den 1990ern erfolgreich gewesen ist. Es war eine Art Nachgeburt der Gruppe 47.

Inwiefern?
Der Literaturbetrieb war damals viel geschlossener, homogener. Man kannte sich, man hatte sich in der jungen Bundesrepublik bei den jeweiligen Karrieren nach Kräften unterstützt. Auch die Trennung: hier die Großdichter, dort die Großkritiker, vollzog sich im Rahmen der legendären Gruppe-47-Treffen. Dabei entstand ein Personal, entstanden Konstellationen mit höchst soap-tauglichem Charakter. Einen Reich-Ranicki oder einen Karasek – die kann kein Drehbuchschreiber besser erfinden. Dazu kamen die jahrzehntelangen Geschichten mit Grass und Walser. Wenn da ein neuer Roman erschien, fragte jeder: Verreißt Ranicki oder verreißt er nicht? Dieses Spannungsmoment gibt es nicht mehr. Wer ist heute der Kritiker von, sagen wir, Daniel Kehlmann oder Juli Zeh?

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki wäre heute nicht mehr fernsehtauglich, vermutet Moderatorennachfolgerin Thea Dorn.
Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki wäre heute nicht mehr fernsehtauglich, vermutet Moderatorennachfolgerin Thea Dorn.

© PICTURE-ALLIANCE/ DPA

Sie glauben, ein Reich-Ranicki würde im Fernsehen nicht mehr funktionieren?
Vermutlich nicht. Glauben Sie, die „FAZ“ würde ihn heute noch stützen, nach einer Geschichte wie der, die er sich mit Sigrid Löffler geleistet hat?

Wohl kaum. Das Salon-Konzept mit Thea Dorn und wechselnden Gästen war also schnell entschieden, als Christine Westermann und Volker Weidermann ihren Abschied aus dem „Quartett“ bekannt gaben?
Schnell war gar nichts entschieden. Das Einzige, was mir von Anfang an klar gewesen ist: Ich habe keine Ambitionen, Germanys Next Literatur-Papst zu werden.

Gucken ist ja das eine. Nur wie kriegt man die Fernsehzuschauer zum Bücherkauf, eher mit kontroversen oder mit einhelligen Meinungen zu einem Werk?
Diese Frage beschäftigt uns sehr. In den vergangenen Jahren war es so, dass vor allem Bücher gekauft wurden, die in unserer Runde einhellig bejubelt wurden, also am Schluss mit einem 4:0 aus der Sendung gingen.

Ein 2:2 brachte keine Leser?
Eher nicht. Mein Ehrgeiz geht allerdings dahin, dass auch und gerade Bücher gelesen werden, über die in der Sendung leidenschaftlich gestritten wird. Aus diesem Grund schaffen wir die „Fußballergebnisse“ am Schluss der Sendung ab. Ein 2:2 klingt nach Unentschieden, also tendenziell nach Langeweile. Die Botschaft sollte aber sein: Lieber Zuschauer, wir können uns über dieses Buch nicht einigen, deshalb ist die beste Lösung – lesen Sie selbst und bilden Sie sich eine eigene Meinung!

Gibt es die Tische bei Dussmann mit „Quartett“–Büchern noch, die am Tag nach der Sendung leergekauft werden?
Das weiß ich nicht. Das zuverlässigste Fieberthermometer direkt nach einer Sendung sind für uns die Verkaufsränge bei Online-Buchhändlern. Es gibt eine sehr interessante Studie vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels zum veränderten Leseverhalten. Innerhalb von zehn Jahren sind in Deutschland sieben Millionen Buchkäufer verloren gegangen. Dieser extreme Rückgang hat viele Gründe, die meisten haben mit der Digitalisierung zu tun. Aber es gibt einen Punkt, der uns sehr aufhorchen ließ: Die befragten Leser beziehungsweise Ex-Leser haben den Eindruck, dass früher mehr über Bücher gesprochen wurde. Umgekehrt lässt sich daraus die Hoffnung ableiten, dass auch wieder mehr gelesen wird, wenn Bücher wieder stärker ins Gespräch kommen. Mein persönliches Ziel fürs „Literarische Quartett“ ist schon: Zuschauer als Leser gewinnen.

Oder als Hörer.
Auch das! Ich selbst bin großer Hörbuch-Fan. Seit Jahren begleiten mich beim Autofahren Marcel Proust und seine „Suche nach der verlorenen Zeit“, gelesen von Peter Matic.

Stichwort: Bücher-Begeisterung. Was bedeutet die Absage der Leipziger Buchmesse für die Branche?
Ich vermute, dass die aktuelle Welle an Großveranstaltungsabsagen andere Branchen ökonomisch härter trifft. Trotzdem tut es mir sehr leid für die Autoren und das Publikum, die sich auf die zahlreichen Lesungen und Begegnungen in Leipzig gefreut hatten.

Vielleicht stirbt Lesen ja auch aus, und die Leute gucken bald nur noch Serien.
Ich halte nichts von Kulturpessimismus. Interessanterweise schreibt schon Reich-Ranicki in seinen Memoiren über das „Quartett“: Wir müssen schauen, wie wir die Leser bei der Stange halten, selbstverständlich ist es jedenfalls nicht mehr, dass gelesen wird. Die hohe Kunst einer solchen Sendung ist und bleibt der Spagat: Es muss unterhaltsam, allgemeinverständlich zugehen, und trotzdem sollte das Gespräch ein gewisses Niveau, eine gewisse Brillanz haben.

Ist das mit dem unterhaltenden Element nicht zu dominierend? Bei einigen der auch im Quartett vorgestellten Bücher stellt man sich manchmal die Frage …
… musste das geschrieben und dann auch noch im Fernsehen kritisiert werden? Ja, ja, ich kenne diese Bedenken. Aber eine generelle Ächtung der sogenannten Unterhaltungsliteratur ist doch Quatsch. Neunzig Prozent aller hochgelobten TV-Qualitäts-Serien wären als Romane Unterhaltungsliteratur.

Ich kenne Leute, die lesen kaum noch neue Belletristik, sondern vermehrt klassische Literatur, Werke, die heute noch Bedeutung haben und Orientierung geben können, statt Bücher, die Bestsellerlisten automatisch bevölkern.
Mit Ihrem Plädoyer für „Klassiker“ rennen Sie bei mir offene Türen ein! Deshalb werden im „Quartett“ regelmäßig Bücher vorkommen, die schon vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten geschrieben worden sind und in denen sich die Gegenwart gerade deshalb spannend spiegelt. In der ersten Sendung ist es „Vor Rehen wird gewarnt“ von Vicky Baum, ein Roman aus dem Jahr 1951, der erzählt, wie systematisch ausgestellte weibliche Schwäche zum Herrschaftsinstrument werden kann – im Kontext der MeToo-Debatte eine interessante Perspektive. Dennoch bleibt der Schwerpunkt bei Neuerscheinungen. Am Freitag reden wir über zwei Bücher, die auf höchst unterschiedliche Weise von Rechtsextremismus handeln: Moritz von Uslars Reportage über eine Kleinstadt in Brandenburg und Ingo Schulzes Roman über einen Dresdner Antiquar, der zum rassistischen Gewalttäter wird. Der irische Schriftsteller Colm Tóibín erzählt die Orestie neu, es geht um die vermeintlich zwangsläufige Logik von Rache und Gegenrache und die Frage, ob sich aus diesem Teufelskreis ausbrechen lässt. Allesamt Bücher, über die sich sowohl auf literarischer als auch gesellschaftlicher und politischer Ebene trefflich streiten lässt.

Ob alt oder neu: Was macht für Sie ein gutes Buch aus?
Literatur ist für mich die geglückte Verbindung von Inhalt und Form, wozu an erster Stelle die Sprache gehört. Letztere wird im „Quartett“ nicht zu kurz kommen, auch wenn es notorisch schwierig ist, im Fernsehen präzise am Text zu arbeiten. Es soll kein germanistisches Oberseminar werden. Um dies zu verhindern, hatte Reich-Ranicki etwa ein Zitier- und Vorleseverbot erlassen, das er in seiner Sendung auch ziemlich rüde durchsetzte.

Ihre Gäste sollen keine Karteikarten mehr in den literarischen TV-Salon mitbringen?
So weit würde ich nicht gehen. Solange er oder sie sich nicht verzettelt, darf bei mir jeder nach seiner Façon selig werden.

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