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David Bowie: In 300 Jahren ist alles vorbei

David Bowies neues Album „Reality“ ist ein Dokument seiner Angst vor dem Altern. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren hat er wieder seinen alten Freund Tony Visconti als Produzent an seiner Seite.

Der Mann hat ein Problem. Man sieht es ihm noch nicht an, aber hören kann man es: Das Älterwerden macht David Bowie schwer zu schaffen. Seit einigen Jahren kreisen sowohl seine Musik als auch Interviews mit ihm immer deutlicher um Themen wie Verfall, Abschied und Tod. Schon sein im letzten Jahr erschienenes Album „Heathen“ (ISO/Columbia) war ein finster schillerndes Meisterwerk, dem über weite Strecken eine geradezu Ehrfurcht gebietende Mischung aus Weisheit und Melancholie gelang. Der zum Pop-Aristokraten gereifte Musiker schien nach Jahren des Umherirrens zu seiner alten Stärke zurückgefunden zu haben: die Welt mit immer neuen Metamorphosen zum Staunen bringen zu können.

Bei „Heathen“ stand Bowie zum ersten Mal seit zwanzig Jahren wieder sein alter Freund Tony Visconti als Produzent zur Seite, mit dem er die legendären Platten „Heroes“ und „Scary Monsters“ aufgenommen hatte. Für den Titelsong von „Heathen“ arrangierten sie majestätische Synthesizerflächen, dazu klagte der Sänger, dass alles vorübergehe. „Der Song handelt von der Endlichkeit des menschlichen Daseins – und davon, wie sehr ich es bedaure, dass sich das Leben allmählich von mir verabschiedet“, sagte er dem „Spiegel“ und fügte hinzu, dass er am liebsten 300 Jahre alt werden würde.

Diesen Wunsch scheint er ein Jahr später immer noch zu haben: „Never Get Old“ heißt ein zentrales Stück auf Bowies neuem Album „Reality“ (ISO/Columbia). Ironie kann man dieser solide vor sich hin rumpelnden Rocknummer nur mit viel gutem Willen zusprechen. Zu ungebrochen pathetisch klingt dafür das mehrstimmig intonierte „Forever“ kurz vor dem Refrain, und zu sehnsüchtig singt der inzwischen 56-Jährige, dass er bis zum Ende der Zeit leben werde. Obwohl der Song auf der Platte an dritter Stelle steht, findet man ihn als ersten im Booklet. Das Wort „Old“ – mit einem Einschussloch im „O“ – dominiert mit fast fünf Zentimeter hohen Lettern die Seite. Es wurde mit einem großen „X“ durchgestrichen, das allerdings blass und chancenlos aussieht. Bowie selbst kämpft auf der gegenüberliegenden Seite gegen das Wort an: Er spielt mit gesenktem Kopf auf einer weißen Gitarre. Die Pose wirkt kraftvoll und ein wenig trotzig. So als wollte er sagen: Seht her, ich kann immer noch richtig rocken.

Eine Haltung, die einem bei Bowies 26. Studioalbum geradezu entgegenspringt. Vor allem die schnelleren Stücke klingen wie angestrengte Vitalitätsbeweise. „Looking For Water“ etwa ist ein stumpfsinnig von der Snare-Drum durchgeprügelter Stampfrocker, und der Titelsong muss sich durch allerlei blödes Gitarrengelärme kämpfen. Interessant wird es erst, wenn Bowie den Fuß vom Gas nimmt. Die Ballade „The Loneliest Guy“ erscheint nach drei krachigen Nummern als überraschende Raststätte. Mit todtrauriger Stimme singt Bowie, dass er der glücklichste Kerl auf der Welt sei. Begleitet wird er nur von einem Piano und einer E-Gitarre, die ganz weit hinten ein Echo der instrumentalen B-Seite von „Low“ (1977) einfängt.

Der schönste Song auf dem wieder von Tony Visconti produzierten Album ist das müde-melancholische „Fall Dog Bombs The Moon“, das mit grandioser Lässigkeit Seitenhiebe gegen die Bush-Regierung austeilt. Die Stärke dieses Stücks liegt darin, dass Bowie hier nichts beweisen will, sondern sich nur souverän selbst zitiert. Der Refrain „A devil in a marketplace / A devil in your bleeding face“ hallt noch lange nach dem Hören durch den Kopf.

Eine Enttäuschung sind diesmal die Cover-Versionen. Hatte Bowie auf „Heathen“ noch mit einer kongenialen Pixies-Interpretation und einer stimmigen Aneignung von Neil Youngs „I’ve Been Waiting For You“ überrascht, erstickt er die gecoverten Songs diesmal in seinen Ambitionen. Jonathan Richmans „Pablo Picasso“ ist der Witz zwar nicht auszutreiben, wirkt aber völlig überladen. Und George Harrisons wunderbar lakonisches Stück „Try Some, Buy Some“ überschmiert Bowie mit kitschigen Synthies.

Bowie lebt mit seiner zweiten Frau Imam seit zehn Jahren in New York. Ihre Wohnung ist nur einige Blocks von Ground Zero entfernt, und so verwundert es nicht, dass bereits in der allerersten Zeile von einer „großen weißen Wunde“ die Rede ist. Hinweise auf die Stadt durchziehen auch den Rest der Platte. „Ich habe versucht – ohne dass da ein Konzept dahinter steht – einen Schnappschuss von New York abzuliefern“, hat der Sänger dem „Musikexpress“ erzählt. Bowie betont, dass die Platte bloß eine Sammlung von Songs sei und macht damit deutlich, dass für ihn die Zeit der Konzeptalben und der postmodernen Rollenspiele endgültig vorbei ist. Jahrzehntelang gab er sich als Verwandlungskünstler, beinahe mit jedem neuen Album schlüpfte er in ein neues Image.

Mit „Reality“ ist Bowie nun buchstäblich in der Wirklichkeit angekommen. Wenn er in der ersten Person singt, klingt das tatsächlich wie ein Bekenntnis. „Now my death is more than just a sad song" heißt es im Titelstück. Der eigene Tod ist keine traurige Imagination mehr, sondern ein langsam näher rückendes Faktum. Ziggy Stardust loszuwerden oder Major Tom mit „Ashes To Ashes“ zu beerdigen, war einfach. Jetzt will Bowie sich nicht länger hinter Inszenierungen verstecken. „Bring Me The Disco King“, das letzte Stück, ist ein düsterer Abgesang. Nur von einem Jazzklavier und einem mit Besen gespielten Schlagzeug begleitet, spricht Bowie über seinen Tod und lässt traurige Erinnerungen vorüberziehen – ein Requiem in acht Minuten. Dabei ist David Bowie bei bester Gesundheit Er absolviert jeden Tag ein umfangreiches Fitnesstraining und hat das Rauchen aufgegeben. Das Jenseits wird noch etwas warten müssen.

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