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Der Pianist Igor Levit will mit seiner Arbeit nicht nur die eingefleischten Klassikfans ansprechen, sondern auch neue Zielgruppen.

© dpa

Wer hört klassische Musik?: In den Streamingdiensten liegt die Zukunft

Eine Umfrage in acht Ländern zur Mediennutzung im Bereich der klassischen Musik kommt zu überraschenden Ergebnissen.

Muss man sich um die Zukunft von Konzertsälen und Opernhäusern Sorgen machen, wenn bei einer repräsentativen Untersuchung auf die Frage "Warum hören Sie klassische Musik?" 14 Prozent antworten: "Weil sie mir beim Einschlafen hilft"? Ebenfalls 14 Prozent fühlen sich davon an ihre Kindheit erinnert, 63 Prozent hören sie zur Entspannung, 29 Prozent zur Steigerung der Konzentration, 69 Prozent mögen einfach den Sound - Mehrfachnennungen waren möglich.

Relaxing Piano Music ist ein völlig neues Genre

Nein, ungeachtet dieser skurrilen Antworten sollte die aktuelle Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Midia Research mit 8000 Teilnehmern aus den USA und Mexiko, aus Deutschland, Österreich, Dänemark, Schweden, Großbritannien und Südkorea keine Zukunftsängste auslösen. Im Gegenteil: In die Kategorie der "Aficionados", also der Intensivnutzer, die ohne Bach, Beethoven, Brahms und Co. nicht leben können und regelmäßig Live-Veranstaltungen besuchen, fallen nur vier Prozent der Befragten. 35 Prozent jedoch sagen, dass sie neben anderen Genres durchaus auch mal Klassik hören. Zur Abwechslung. Oder eben, wie sie einfach den Sound mögen. Und es sind nicht nur alte Menschen, die das von sich sagen. Das Durchschnittsalter liegt bei 45,5 Jahren, aber auch bei den 25- bis 34-Jährigen bekennen sich noch 31 Prozent zur Klassik, bei den unter 35-Jährigen 30 Prozent.

Klassische Instrumentalmusik liegt in der Hitliste der beliebtesten Stile damit an vierter Stelle, hinter Pop, Classic Rock und Country, aber vor R&B und Hip Hop. Die Oper belegt Platz 18, das "klassische Crossover" Platz 15. Das erstaunlichste Ergebnis der Untersuchung jedoch ist Platz sieben für "Relaxing Piano Music", ein Genres, das es bis vor wenigen Jahren gar nicht gab. Bis zur Erfindung der Streamingdienste wie Spotify. Wie die ihren Kunden eine schier unbegrenzte Zahl von online abrufbaren Titeln zur Verfügung stellen, kam eine neue, innovative Form der Musikvermittlung hinzu: Wer neugierig aber ahnungslos ist, der sucht sich bei den Streamingdiensten einfach eine Playlist aus, die zu seinem momentanen - oder angestrebten - Gefühlszustand passt. Also beispielsweise "entspannt". Dann bietet das System "Relaxing Piano Music" an, eine Zusammenstellung von passenden Stücken aus dem Klavierrepertoire. Und weil es vor allem junge Menschen sind, die sich von Playlists leiten lassen, kommen sie so mit Klassik in Berührung, ganz ohne die vermeintliche Hemmschwelle, die Konzerthäuser oder auch dezidierte Kulturradiowellen darstellen.

Über Playlists kommen junge Menschen mit Klassik in Berührung

Sicher, 52 Prozent der Teilnehmer geben an, Klassik vor allem als Klangtapete zu nutzen, also als Hintergrundmusik für eine andere Tätigkeit, zum Beispiel das Lernen für Schule oder Uni. Und doch stellt sich auch dabei langfristig eine Vertrautheit ein, wird das Ohr sensibilisiert für die Besonderheiten von E-Musik-Kompositionen. Was wiederum den Schreck-Effekt mildert, wenn die Betreffenden dann mal den Liveauftritt eines seriösen Klassikkünstlers besuchen und feststellen, dass bei einem Chopin-Prélude oder einer Schubert-Sonate dann doch nicht alles nur "relaxing" ist. Die Zukunft der Klassik liegt also im Streaming. Was den Anbietern der Online-Klangbibliotheken eine enorme Verantwortung aufbürdet: nämlich die musikalische Bildung der Massen. Durch die sanfte Hinführung vom romantischen Schmusesound zur komplexen Sinfonik, die ein kluger Aufbau der Playlist-Angebote ermöglicht. Die Interpreten stehen schon bereit, um ihre neuen Fans mit offenen Armen zu empfangen - und dem "Ode an die Freude"-Motto: "Seid umschlugen, Millionen!"

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