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Kultur: In Snobs Welt

Louis Begley erzählt in „Ehrensachen“ von den Lebenslügen eines jüdischen Harvard-Absolventen

Stand:

Es gibt bewegende Momente in Louis Begleys neuen Roman „Ehrensachen“. Zum Beispiel, als Begleys Ich-Erzähler Sam in New Orleans nach einer nächtlichen Sause zusammengeschlagen wird und sein Studienfreund Henry – der nur knapp dem Holocaust entkommen ist, der sich drei Jahre mit seiner Mutter in einer dunklen Kammer vor den Nazis versteckt halten musste – zu ihm sagt: „Du hast es wirklich am eigenen Leib erfahren, das Äußerste an brutaler Gewalt. Du weißt, wie es ist, zusammengeschlagen zu werden, und du weißt, du kannst es aushalten. Du hast es überlebt, und mit diesem Wissen kannst du weitermachen. Ich kann nur darüber spekulieren, wie ich es überstanden hätte. Ich beneide dich“. Oder wenn dieser Henry seinem Freund gesteht: „Solange es Leute gibt, die es kümmert, ob ich ein Jude bin, der vorgibt keiner zu sein, so lange muss ich Jude bleiben, auch wenn ich mir innerlich nicht jüdischer vorkomme als ein geräucherter Schweineschinken.“

Man versteht nach solchen Sätzen, warum der Verlag dieses Buch feiert als „neben „Lügen in Zeiten des Krieges“ wichtigsten – und persönlichsten – Roman von Louis Begley“, man ahnt da seine Komplexität, und doch muss man dann immer wieder feststellen, dass er von zuviel Firlefanz, von zuviel Nichtigkeitenzusammengehalten wird. Mit „Lügen in Zeiten des Krieges“ war der erfolgreiche New Yorker Anwalt Begley als Schriftsteller Anfang der neunziger Jahre berühmt geworden, in dem Buch schilderte er das Leben und Überleben eines jüdischen Jungen 1939 in Polen. Nach einer Reihe von meist hervorragenden, in der Welt der Anwälte und Ostküsten-Upperclass angesiedelten Romanen (u.a. „About Schmidt“, „Mistlers Abschied“) hat sich der 1933 in Polen geborene Begley wieder in die Spur seiner frühesten Vergangenheit begeben: „Ehrensachen“ ist ein Roman, der unter anderem um die Identitätsprobleme eines jüdischstämmigen Harvard-Absolventen kreist und auf den Erfahrungen Begleys als Literatur- und Jurastudent in Harvard beruht.

Nur weiß man bei „Ehrensachen“ nie genau, was Begley mehr am Herzen liegt: die Geschichte Henrys zu erzählen, die dazu lediglich aus der Perspektive seines Freundes Sam erzählt wird. Oder den Alltag und die Gepflogenheiten an einem Elitecollege wie Harvard in den fünfziger Jahren, die feinen, von der Herkunft abhängigen Hierarchien unter den Studenten, ihr späteres mondänes, sich zwischen der Ostküste und Europa abspielendes Leben als Anwälte oder Schriftsteller. Begleys Roman gewinnt immer dann an Dramatik und Brillanz, wenn sich Sam und Henry über Henrys Versuch auseinandersetzen, als „Nichtjude“ durchzugehen, wenn er sich von seiner polnischen Herkunft und seinem bescheidenen Brooklyner Elternhaus zu distanzieren versucht. Das gewinnt auch dadurch, dass Sam als Bindeglied zwischen Henrys ursprünglicher Welt und der der New Yorker und Bostoner Upper Class fungiert: Sam hadert selbst mit seiner Herkunft, er ist das Adoptivkind eines Säuferpaares und lediglich der Protegé eines viel besser gestellten Onkels.

Das wird jedoch zusehends belangloser, da Begley sich nicht mit der jugendlichen Entwicklungsphase seiner beiden Hauptprotagonisten begnügt, mit ihren Emanzipationsbestrebungen, sondern er ihrer beider Leben und Beziehung bis ins hohe Alter chronologisch nacherzählt: Henry geht nach Abschluss seines Studiums erst zur US-Army und tritt dann in eine nichtjüdische Kanzlei ein, für die er in Paris höchst erfolgreich tätig ist. Sam wird Schriftsteller, leidet unter Depressionen, konsultiert verschiedene Analytiker, bleibt aber trotzdem ein unbeschriebenes Blatt. Selbst seine Homosexualität erahnt man nur, da bleibt er diskret. Sam mutiert nach und nach zu einer merkwürdigen Leerstelle in diesem Roman, zu einer Figur, die es am Ende nur noch der erzählerischen Konstruktion wegen gibt. Umso weniger die beiden sich sehen, umso weniger Sam von Henry selbst erfährt, sondern aus zweiter Hand, desto mehr verflacht Begleys Roman. Hin und her geht es zwischen New York und Paris; es passiert das und es passiert das – noch ein Roman, noch eine Heirat, noch ein erfolgreicher geschäftlicher Abschluss, noch eine Reise, noch ein Tod –, und Begley versäumt es nicht, Speisefolgen oder die Namen der Champagnersorten genauestens zu benennen: „Grandes-Echézeaux ’71, gefolgt von La Tache ’62 und Krug ’75 flossen in Strömen wie Bier“.

Dazu passt, dass er zwar zum Ende hin den Kreis zu schließen vermag und Henry wieder in den Fokus nimmt: seine vergebliche Selbstverleugnung, sein Aufstieg als Wirtschaftsanwalt, auf den ein brillantes Scheitern und die Einsicht, nur Spielball der ganz Mächtigen gewesen zu sein, folgt. Das aber stellt Begley in Form einer belgisch-französischen Wirtschaftsaffäre dar, die er seitenlang ausbreitet und die so fachspezifisch ist, dass Sam einmal einwerfen muss: „Er fragte wieder, ob ich ihm noch folgen könne, und wieder nickte ich hilflos“. So geht es einem auch nach der Lektüre dieses Roman: Man kann Begley folgen, man hat aber auch hilflos nickend den Eindruck, dass Begley der Welt, deren Scheinheiligkeiten und deren Snobismus er hier auf den Grund geht, selbst nur allzu gern angehört.

Louis Begley : Ehrensachen. Roman. Aus dem Amerikanischen von Christa Krüger. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2007. 445 Seiten, 19, 80 €

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