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Berlinale 2007

© ddp

Interview: "Mit dem Klassenclown fängt es an"

Hochstapler und Rollenspieler: Devid Striesow über die Kunst der Lügens vor der Kamera, auf der Bühne und im Leben.

Herr Striesow, Sie drehen in Kapstadt unter Regie von Dieter Wedel den TV-Film „Mit Glanz und Gloria“, nach der Geschichte des Hochstaplers Jürgen Harksen.



Diesmal wird der Hochstapler von Ulrich Tukur gespielt, ich spiele den Gegenpart.

Was unterscheidet Hochstapler eigentlich von Schauspielern?


Unterscheiden? (lacht) Wir haben viel gemeinsam, vor allem den Ad-hoc-Sprung in eine Rolle. Bei Hochstaplern ist das zwanghaft, sie wissen in ihrem schizophrenen Spiel oft nicht mehr, wer sie sind. Habe ich diesen Termin nun oder nicht?

Verlieren Sie sich auch in Ihren Rollen?


Ich denke, ich kann es halbwegs unterscheiden. Um Feinheiten herauszuarbeiten, muss man neben der Figur stehen können.

Wie steht es mit dem Suchtfaktor? Sie arbeiten wie besessen.


Ich verdiene Geld mit dem, was mir Spaß macht, mein Beruf ist eine große Lust. Dieses Jahr trete ich wahrscheinlich nochmals unter Wedel auf, bei den Wormser Festspielen, es gibt einen neuen Kinofilm, zwei Bella-Block-Folgen, im Winter eine Theaterarbeit mit Regisseur Laurent Chétouane in Köln, und das ist nicht alles. Bloß drei Sachen gleichzeitig wie früher manchmal, das würde ich nicht mehr machen.

Was ist der Kick?

In Südafrika mit guten Kollegen eine gute Zeit haben, fremde Texte sprechen, Sachen sagen, die man in Wirklichkeit nie sagen würde, in Klamotten, die man sonst nicht anzieht, und am Ende einen TV-Zweiteiler im Kasten haben – das ist der Kick. Es ist wie Verkleiden, Kindsein, aber ohne Infantilität. Wir sind Spieler. Ein Bankangestellter kann nicht während der Arbeitszeit einen Kopfstand probieren. Natürlich besteht die Gefahr, dass man sich an den Spielplatz gewöhnt. Man wird abgeholt, der Tagesablauf ist vorbestimmt, man bekommt den Kaffee gebracht, wird versorgt und gepampert.

Was tun Sie dagegen?

Ich bemühe mich um normale Strukturen. Zwei Monate beim Dreh im Hotelzimmer ohne sonstige Realität, da ist irgendwann Schicht im Schacht. Ich will mit meinem Sohn, der jetzt elf ist, unbedingt noch mal nach Kapstadt fliegen.

In „So glücklich war ich noch nie“ hat der Hochstapler Frank zu seinem Bruder eine enge Beziehung. Sie wohnen mit Ihrem Bruder zusammen. Ist das bei Ihnen ähnlich?


Mein Bruder Sven taucht übrigens in der Szene auf, als Frank im Büro telefoniert und so tut, als sei er nicht der Putzmann, sondern der Boss. Da schaut Sven kurz rein. Anders als der Filmbruder würde mein Bruder mich nie verraten. Ich lebe auch nicht als Gast bei ihm, wir wohnen richtig zusammen und fahren mit unserem Bus und den Hunden zu den Dreharbeiten. Wir sind uns sehr nahe. Er ist acht Jahre älter, als Kind übernahm er eine Art Vaterrolle. Ein toller Mensch, mein personal assisant und mein schärfster Kritiker.

Wann haben Sie eigentlich gemerkt, dass Sie gern spielen?


Klaus-Maria Brandauer hat mit ungefähr 60 gesagt, dass er seinen Beruf seit 60 Jahren ausübt. Mit dem Klassenclown fängt es an. Mama und Papa sind sich nicht einig, der Kleine macht den Kasper, und schon ist es besser. Man kennt das auch als Erwachsener: Gut lügen können, kann zu Lösungen führen, wenn es brenzlig wird.

Sie hatten eine Lehrstelle als Goldschmied, aber dann fiel die Mauer. War der Goldschmied der Wunsch Ihrer Eltern?


Nein, es war eine tolle, privilegierte Lehrstelle, die einzige im ganzen Bezirk Rostock. Handwerker verdienten in der DDR oft mehr als Akademiker. Während der Wende ging der Betrieb pleite, ich machte das Abitur nach, hatte Geige gelernt und liebäugelte mit der Jazz-Gitarre. Ein Jahr lang studierte ich das auch, aber nach dem Zivildienst sollte ich auf klassische Gitarre umsteigen. Zu nichts hatte ich weniger Lust. Also stellte ich mich vor den Spiegel und übte den Mephisto.

Sie nennen sich einen Handwerker. Was haben Sie für Ihr Handwerk an der Schauspielschule Ernst Busch gelernt?


Sprechen! Die Sprechausbildung bei Viola Schmidt, der körperliche Einsatz, damit man bei großen Rollen nicht heiser wird. Und wenn man doch heiser ist, dass man trotzdem einen Abend lang spielen kann. An der Stimme kann ich hören, wie ein Mensch sich fühlt. Wie beim Kfz-Mechaniker muss die Ausbildung zunächst ganz praktisch sein. Als ich in Düsseldorf den Hamlet spielte, musste ich den Kollegen teilweise das Fechten beibringen.

Sie wollten trotzdem hinschmeißen?


Nein, ich konnte mich nur schlecht einordnen unter die Studenten, die alle schon wussten, wie es geht. Ich spielte lieber mit meiner Band in Rostock und sollte gehen. Aber dann brachte mir Thomas Thieme in einem sechswöchigen Szenenseminar die Normalität des Berufs nahe. Thieme, das Theatertier!

Was haben Sie von Ihren Regisseuren gelernt, von Jürgen Gosch zum Beispiel?

Gosch ist der Wichtigste, ich habe bei ihm den Hamlet gespielt und den Prinz von Homburg. Gosch ist ein schlauer, leiser Mensch, der einen agieren lässt. Für einen Anfänger ist das entscheidend: die Freiräume, dass er viel spielen kann und nicht misstrauisch beäugt wird.

Bei Gosch haben Sie auch Lady Macbeth gespielt. Wie ist das, eine Frauenrolle?

Es darf nicht tuntig werden. Beim Gastspiel in Belgrad gab es wilde Reaktionen auf Lady Macbeth. Ich dachte, ich hätte etwas falsch gemacht, bis mir die Dolmetscherin verriet, dass Frau Milosevic offenbar genauso aussah. Die Zuschauer waren so erbost, weil ihnen der Wahnsinn in Erinnerung kam, deren Drahtzieher die Milosevics waren. Bei dem Tumult hatte ich befürchtet, dass sie mir ans Leder wollen.

Haben Sie Lieblingsrollen?


Hamlet. Und der Marquis von Posa im Hamburger „Don Karlos“. Obwohl ich vor der Szene mit dem dreiviertelstündigen Monolog immer riesige Angst hatte. Der König sagt nur ab und zu: aha, soso, jaja, den Rest mache ich alleine. Jedes Mal dachte ich, ich schaff’s nicht, warum mache ich das nur? Es ist acht Uhr abends, alle Menschen sitzen vor dem Fernseher oder in der Kneipe, nur ich stehe hinter einem stinkenden Vorhang und muss gleich vor 1400 Leute treten, 45 Minuten reden und am Ende sagen: Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!

Fühlen Sie sich vor der Kamera wohler?


Nein, ich mag beides gleich gern. Im Theater manipuliert man das Publikum vor Ort, man kann unmittelbar mit den Reaktionen spielen, toll! Beim Film manipuliert man später, da gefällt mir das Naturalistische. Wobei ich am Theater die Proben lieber mag als die Vorstellungen. Am liebsten wäre mir die Premiere, und Schluss. Immer das Gleiche, ach nö.

Woher kommt Ihre Unruhe, die Hippeligkeit? Sie sollen ADS haben.

Hyperaktivität, ja, das wurde bei mir vor zwei, drei Jahren diagnostiziert, zum Glück nicht in meiner Kindheit. Oft wird ja die Lahmarschigkeit der Umgebung auf das aktive Kind projiziert. Das Kind ist nicht zu zappelig, nein, es ist andersherum, die andern sind zu lahm. Ich konnte mich als Kind auch ganz schnell ins Lesen reinschießen, ein Buch, und baff, war ich weg. Hyperaktiven muss man Aufgaben geben, damit sind die Erwachsenen leider oft überfordert. Es ist ja keine Krankheit, Steven Spielberg ist damit bedacht und Bob Dylan, Leute, die den Rhythmus vorgeben. Meinem Beruf ist Hyperaktivität sogar förderlich, zumal ich keine Konzentrationsschwächen habe. Wobei die Aktivität oft hinter der Stirn stattfindet, hinter einer ruhigen Fassade. Nur die innere Spannung darf auf keinen Fall fehlen.

Und wenn Sie runterkommen wollen?


Dann schlafe ich. Ich schlafe sehr gern.

Das Telefongespräch führte Christiane Peitz.

Devid Striesow, 1973 geboren, aufgewachsen in Rostock, studierte an der Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin. Er trat in Hamburg als Woyzeck und in Düsseldorf unter Regie von Jürgen Gosch u. a. als Hamlet auf. 2004 wurde er für den Wlas in Gorkis „Sommergäste“ mit dem Alfred-KerrPreis ausgezeichnet.

Sein Kinodebüt gab er in Kalt ist der Abendhauch. Zu seinen wichtigsten Leinwandrollen gehören der Matratzenverkäufers in Hans-Christian Schmids Lichter, der SS-Offizier in Stefan Ruzowitzkys KZ-Drama Die Fälscher und der Risikokapitalmanager Philipp in Christian Petzolds Yella. TV-Zuschauer kennen ihn u. a. als Jan Martensen aus der Bella-Block-Serie.

Zur Premiere von „So glücklich war ich noch nie“ kehrt Devid Striesow diese Woche aus Kapstadt zurück, wo er unter Dieter Wedel den TV-Zweiteiler Mit Glanz und Gloria drehte.

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