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Internationale Koproduktion. Die Performance „A Better Life“ ist eine Zusammenarbeit der Gruppen MS Schrittmacher aus Berlin und Brain Store Project aus Sofia und stand im Januar 2020 auf dem Programm.

© Peter van Heesen

Jubiläumssaison beim English Theatre: Mehr Berlin wagen

Das English Theatre bereichert seit 30 Jahren die Theaterlandschaft der Stadt: Zum Jubiläum gibt es neue Stücke und noch mehr Sprachenvielfalt.

Vielleicht war der Titel der Show dem berühmten Regisseur zu anstößig. Vielleicht wollte er zuhause auch einfach nicht in amouröse Erklärungsnöte geraten, wer weiß. Jedenfalls stand auf dem Plakat schließlich „I Was W…s’ Love Slave“. Und nicht, wie ursprünglich von der Künstlerin Gayle Tufts geplant, „I Was Wim Wenders’ Love Slave“. Was der Gaudi im Kreuzberger 50-Plätze-Theater an der Fidicinstraße, wo der Abend über die Bühne ging, aber keinen Dämpfer verpasste.

Tufts, die hier im Jahr zuvor schon das Vergnügungs-Solo „Appropriate Schmoozing“ gespielt hatte, machte sich in der damals noch recht überschaubaren freien Szene auch ohne Verweis auf prominente Meister einen Namen.

Wie so viele Exil-Amis, -Briten, -Iren oder -Australier, die im Berlin der 90er weitestgehend kommerzdruckbefreit an ihren Karrieren und künstlerischen Selbstverwirklichungsfantasien schrauben konnten. Mit frohgemuter anything goes-Haltung. Und dem English Theatre Berlin, das zu dieser Zeit noch gar nicht so hieß, als Anlaufstelle und Sprungbrett.

Eigentlich hätte die Bühne, die heute den Zusatz „International Performing Arts Center“ führt, im vergangenen Jahr zwei dreißigste Geburtstage zu feiern gehabt. Am 17. Juni 1990 ging in der kleinen Theaterwerkstatt mit angrenzender Studiobühne, die Bernd Hoffmeister und Martin Kamratowski auf dem Gelände der Mühlenhaupt-Höfe ins Leben gerufen hatten, das erste Stück über die Bühne, Eduardo di Filippos „Kunst der Komödie“. Was den Ort überhaupt als Spielstätte etablierte.

Neues Programm, ohne große Pauke

Nur wenige Monate später, am 29. November, folgte das erste englischsprachige Programm: Joy Cutlers „Noodle Highway“, inszeniert von der Gruppe Out To Lunch. Sofort ein Hit. Englisches Theater – das passte zur Aufbruchstimmung im zusehends entgrenzten Post- Wende-Berlin.

Klar, pandemiebedingt sind alle Feierlichkeiten ausgefallen. 2020 war eben auch das Jahr des stillen Gedenkens. Aber das heißt nicht, dass auf Happy-Birthday-Prosits gänzlich verzichtet werden müsste.

Das English Theatre Berlin International Performing Arts Center hat nun konsequenterweise die gesamte Spielzeit zur Jubiläumssaison erklärt. Und wird, sobald die Kultureinrichtungen ihre Türen wieder öffnen dürfen, auch das angemessene Programm dazu auffahren. Ohne groß auf die Pauke zu hauen.

„Wir sind freie Szene“, sagt Günther Grosser, seit 1993 Artistic Director des Hauses, „wir veranstalten keine Gala und kein Tamtam, wir zeigen Produktionen“. Es ist diesem Geist zu verdanken, dass die Kreuzberger Bühne – die ja nie das ganz große Rampenlicht abbekommen hat – sich gegen alle Wechselmoden und Umbrüche der Berliner Theaterlandschaft und der eigenen Geschichte behaupten konnte.

Bedarf an Auftrittsmöglichkeiten nach dem Mauerfall

Grosser, vormals Mitglied bei Out To Lunch, hat das Theater überhaupt zum English Theatre gemacht. Ohne zu wissen, dass es solche Muttersprachler-Bühnen in Städten wie Hamburg, Frankfurt am Main oder Wien bereits gab. War ja auch egal.

In Berlin – wo schon in den 80ern die Berlin PlayActors des amerikanischen Regisseurs Rik Maverik für frühe Internationalisierungs-Schübe sorgten – bestand jedenfalls Bedarf an Auftrittsmöglichkeiten für englischsprachige Künstlerinnen und Künstler. Nach dem Mauerfall mehr denn je.

Menschen wie Lindy Annis, Bridge Markland, Jeffrey Mittleman oder Priscilla Be dockten an der Fidicinstraße an. Aus der kleinen Bühne mit dem Namen „Freunde der italienischen Oper“ (eine Anspielung auf den Decknamen der Mafia in Billy Wilders „Manche mögen’s heiß“) wurden bald die „Friends of Italian Opera“.

Erst 2006 entschloss man sich zum weniger Verwirrung stiftenden Namen „English Theatre Berlin“ und zog in eine größere, immerhin 120 Zuschauer fassende Halle auf dem gleichen Gelände, die sich das ETB bis heute mit dem Theater Thikwa teilt.

Eigene Produktionen, Gastspiele, Performances

Grosser hat das Programm des ETB lange auf drei Säulen gebaut. Prägend waren zum einen die eigenen Produktionen von Klassikern der Moderne, Tennessee Williams, Harold Pinter, Sam Shepard & Co, dazu kamen Protagonisten des aufflammenden In-Yer-Face-Theatre, das von England aus seinen Siegeszug antrat.

Die Inszenierung von Nicky Silvers „The Food Chain“ wurde 1998 sogar ins Programm der Berliner Festwochen aufgenommen, bis 2004 ein jährliches Kulturhighlight.

Zum zweiten holte der Artistic Director Gastspiele aus Irland oder Großbritannien nach Berlin, Entdeckungen von den Festivals in Edinburgh, Dublin oder Brighton – obwohl man den Künstlern und Gruppen „nur den Apfel bieten konnte, nicht mal das Ei“. Und schließlich klopften immer mal englischsprachige Wahlberliner an, die gegen Abendkassenteilung mehr oder weniger Kunstvolles zu performen bereit waren. Damit fuhr das ETB lange gut und erfolgreich.

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Allerdings begann sich zu Beginn der 2010er Jahre eine Entfremdung bemerkbar zu machen. Die internationalen Gastspiele funktionierten noch immer gut, aber die Vernetzung mit der Berliner Szene zerfaserte. Zeit, sich neu aufzustellen.

Ende 2012 stieß der junge amerikanische Regisseur Daniel Brunet, der am ETB schon zehn Jahre inszeniert und ein Lab zur Erprobung neuer Texte ins Leben gerufen hatte, als Producing Artistic Director zum Leitungsteam. Brunet erkannte, „dass es eine Internationalität und Diversität innerhalb der freien Szene Berlins gab, wie sie in New York nicht existierte“ – was sich aber auf den Bühnen nur wenig abbildete.

Auch mal ein Monolog auf Hebräisch oder Ungarisch

Also weitete das English Theatre seine Kreise. Öffnete sich auch in Richtung Performance, etablierte Englisch als Arbeitssprache, aber für alle, ungeachtet der Herkunft.

Heute zeigen die griechischen Künstler von Dirty Granny Tales hier ihre „gothic fairy tales“, das brasilianisch-deutsch-finnische Frauentrio Aba Naia glänzt mit feministischen „post-porn clown“-Extravaganzas. Einmal im Jahr versammelt das EXPO-Festival Arbeiten von Wahlberlinern aller sechs Kontinente.

Und es ist längt keine Seltenheit mehr, dass in Produktionen auch mal ein Monolog auf Hebräisch oder Ungarisch zu hören ist, ohne Übertitel. „Das Theater“, sagt Brunet, „wird in Zukunft sicher noch vielsprachiger werden“. Mehr Babylon Berlin wagen.

Derweil arbeiten sowohl er als auch Grosser an ihren Jubiläumsproduktionen, die dem schmal budgetierten Haus (das kurzzeitig sogar mal komplett aus der Förderung gefallen war) von der Lotto-Stiftung ermöglicht wurden. Brunet entwickelt gemeinsam mit Max Schumacher die Performance „A Tale Of Two Islands“.

Grosser schreibt den Comedy- Klassiker „Arsen und Spitzenhäubchen“ komplett um. Er will nicht zuviel verraten. Aber sein Stück „Cool Aid“ werde vom „Traurigsten auf der Welt erzählen“, lächelt der Theaterleiter: „Erfolglosen Künstlern“. Immerhin keine autobiografische Geschichte.

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