zum Hauptinhalt
Berlin Mitte Sophienstraße, Sophienhöfe und Sophiensaele Berlin Mitte

© imago/Jürgen Ritter

Jüdische Einsamkeit in Berlin: Orte, die mir die Welt bedeuten

Unsere Kolumnistin fühlte sich als Jüdin in Berlin oft allein. Umso stärker haben sich Orte des Zusammenhalts bis heute in ihr Gedächtnis eingeprägt.

Debora Antmann
Eine Kolumne von Debora Antmann

Stand:

Jüdisch zu sein ist oft eine schmerzhafte und einsame Erfahrung. in diesen Tagen besonders.

Ich war neun, als meine Mutter starb und ich deswegen nach Berlin zurück zog– oder besser: gezogen wurde. In Berlin hatte ich keinerlei jüdische Anbindung. Meine Gemeindeerfahrungen in Baden-Württemberg waren nicht die besten, aber definitiv erträglicher als die jüdische Einsamkeit, die hier auf mich wartete. Wahrscheinlich ist das der Grund dafür, dass sich jede jüdische Begegnung wie ein Moment der Offenbarung, der Liebe in meine Erinnerung, mein Herz gebrannt hat.

Da sind die Sophiensaele, wo ich ich vor über 20 Jahren A kennenlerne. Wir sind beide Teenager, die an einem Theaterprojekt teilnehmen und ihr jüdisches Selbstbewusstsein kommt mir gleichermaßen vertraut und beängstigend vor.

Ich werde zum Schabbat zu ihr nach Hause eingeladen. Ihre Eltern empfangen mich mit offenen Armen. Auch hier mischen sich Vertrautheit und Verängstigung. Nicht vor ihnen. Vor meinen eignen Unzulänglichkeiten. Ich bin noch ein weiteres Mal dort und gehe dann nicht mehr zurück. Ich schäme mich.

Das Gefühl, gesehen zu werden

Wenn ich heute mal zufällig in dem Kiez bin, erkenne ich ihn sofort, obwohl mein Orientierungssinn eine Katastrophe ist. Und jedes Mal denke ich, dass in dieser Berliner Straße ein Stück meines Herzens liegt. Ich glaube nicht, dass A oder As Eltern bewusst ist, wie viel Bedeutung für mich in diesem Schabbat lag. Wie glücklich und traurig mich die Erinnerung gleichermaßen macht. Der Torbogen zu den Sophiensaelen ist für mich nicht primär mit Theaterproben, sondern mit meiner ersten Begegnung mit A verknüpft.

Da ist eine Wohnung in Lichtenberg, in der ich mich mit Anfang Zwanzig das erste Mal mit M unterhalte und ein WG Zimmer im Wedding, in dem mir M das erste Mal von ihrer Familiengeschichte erzählt. Wir liegen auf einem Bett, ich starre an die Decke, höre zu und bin dankbar.

Ein Seminarraum in Hellersdorf, in dem L mir beim Rausgehen zuzwinkert und „Gut Schabbes“ wünscht. Das Gefühl, gesehen zu werden. L wird Mentorin, Freundin, Vorbild. Meine jüdischen Orte in Berlin sind so unscheinbar, wie sie mir die Welt bedeuten. Es ist gut sich daran zu erinnern, wenn wir keinen Platz mehr zu haben scheinen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })