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Jüdische Hoffnungslosigkeit: Wenn die Wut weg ist
Der Kampfgeist unserer Schlamasseltov-Kolumnistin war einmal unerschütterlich. Heute fühlt sie sich gebrochen in einer Stadt, die jüdische Trauer verhöhnt.

Stand:
Für die längste Zeit war meine Selbstbeschreibung „laute, wütende Jüdin“. Meine Wut war keine destruktive, sondern eine, die mich produktiv gemacht, mich empowert hat.
Eine Wut, die meinen Willen nach Community, Raum, Gehör beflügelt hat. Mich oft furchtlos gemacht hat. Ausdruck meines Stolzes war. Stolz auf das Jüdische an mir, das Jüdische in mir, das Jüdische, das uns verbündet und das Jüdische, das uns unterscheidet. Das Jüdische, durch das ich die Welt sehe, das Jüdische, in dem ich verwurzelt bin, das Jüdische, in dem ich mich mit anderen verbinde und das Jüdische, das nicht nur meine Geschichte erzählt.
Ich habe meine Wut von den Dächern gerufen. Nicht, um andere zu beschämen, sondern meinesgleichen zu ermutigen. Nicht gegen „die Deutschen“, sondern für das jüdische Herz. Mein Kampfgeist war so viel größer als meine Angst.
Ich wollte laut mit anderen weinen, nicht als Zeichen der Schwäche, sondern als Ausdruck von Kraft. Mit anderen stark und unbezwingbar lachen. Nicht aus Hohn gegenüber Gojim, sondern aus Liebe zu uns. Aus dem Herzen schreiben, hieß über Kraft, Zusammenhalt und Mut zu schreiben. Heute bedeutet es für mich, über Trauer, Resignation und Not zu schreiben.
Ich will nicht mehr raus
Ich möchte schreien. Nicht mehr aus widerständiger Kraft heraus, sondern aus Schmerz. Ich bin nicht mehr standhaft, unerschütterbar. Ich fühle mich gebrochen. Will nicht mehr raus und bewege mich nur noch gebeugt durch die Stadt. Eine Stadt, deren jüdische Geschichte eben genau das ist: Geschichte. Hauptstadt der Performanz, im Land der Täter*innen, in einer Welt, die vehement nicht dazulernen will.
Es ist das Lächerlichmachen unserer Angst, das Verhöhnen unserer Trauer, das Negieren der Bedrohung, was diese Gegenwart besonders zukunftslos erscheinen lässt.
Ich erwische mich dabei, wie ich gedanklich Steine auf das Grab meiner jüdischen Unverfrorenheit lege und denke „Mögen ihre Erinnerung ein Segen sein“, wenn ich meine alten Texte lese.
Jüdische Zuversicht vermochte es nicht, die Welt wachzurütteln, vielleicht schafft es ja jüdische Hoffnungslosigkeit.
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