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Eine Hausmaus.

© dpa/Bodo Marks

Jüdische Kinderlogik: Wo die Mäuse überwintern und die Kuppeln singen

Wenn unsere Schlamasseltov-Kolumnistin in ihrer Jugend von Chanukka oder Matzen sprach, dachten die anderen Kinder, sie erfinde diese Dinge. Ihre kreativen Geistesblitze stoppte das nicht.

Debora Antmann
Eine Kolumne von Debora Antmann

Stand:

Kindliche Eingebungen. Ich habe in meiner letzten Kolumne bereits darüber geschrieben. Das soll mich aber nicht davon abhalten, es noch einmal zu tun.

Ich war ziemlich klein, als meine Mutter an der FU Berlin studierte und trotzdem birgt diese Zeit einige meiner lebhaftesten Kindheitserinnerungen. Vielleicht, weil es in Berlin einfacher war, einfach „zu sein“ als später in Karlsruhe, wo ich immer das Gefühl hatte, meine reine Anwesenheit sei ein Fehler in der Ordnung aller anderen.

Ich erinnere mich, wie ich 2016 beruflich das erste Mal in der FU Berlin war und mir plötzlich richtig bewusst wurde, dass die FU kein jüdisches Winterquartier für Mäuse ist … Doch erstmal zurück in die frühen 90er: In einem winzigen Gartenhäuschen in Lichterfelde zu wohnen hatte zur Folge, dass sich auch ab und an eine Maus zu uns verirrte. Mithilfe einer Lebendfalle gefangen, brachte es meine Mutter im Winter jedoch nicht übers Herz, das Tierchen in der Kälte auszusetzen.

Die FU als Winterdomiziel für Nager

Also hat sie sich das Kind (mich) und die Maus geschnappt und ist zur FU gefahren, um das Tier dort in den beheizten Fluren der Uni freizulassen. So war meine Mutter … Selbst eine kleine Maus sollte es warm haben (wenn auch nicht unbedingt bei uns).

Für mich als Kind war völlig klar: Die „Effu“ ist ein Ort, an dem Mäuse im Winter nicht frieren müssen. Und weil später in Karlsruhe niemand wusste, was das ist, musste es etwas Jüdisches sein. Denn das war meine allgemeine Erfahrung: Wenn andere Kinder dachten, ich erfinde Dinge (Chanukka, Schabbat, Matzen, die FU Berlin), war es jüdisch.

Die jüdische Welt von Kindern folgt eben eigenen Logiken.

In die gleiche Rubrik fällt auch der kindliche Geistesblitz, den ich hatte, als ich das erste Mal eine Synagoge mit Kuppel sah (vielleicht Israel, vielleicht Oranienburger Straße). Denn nun war klar, warum es „Synagoge“ hieß, denn „-goge“ musste eindeutig vom Wort „Kugel“ stammen – wegen der runden Kuppel. Und dass „Syna“ von „singen“ kam, war mir eh schon lange klar. Ich war drei.

Und so ergab plötzlich alles Sinn: „Singende Kuppel“. Nichts konnte mich davon abbringen. Ich hatte die Antwort auf ein jüdisches Geheimnis gefunden noch bevor ich Schuhe binden konnte!

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