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Just Kids: Patti Smith schreibt Künstler-Biografie

Die Seele von New York: Patti Smith erinnert sich an Robert Mapplethorpe - und ihr eigenes Leben: Just Kids. Die Geschichte einer Freundschaft. Neben einer Künstler-Biografie ist "Just Kids" auch das Porträt einer kreativen Blütezeit New Yorks.

Statt Blumen bekommt Bertolt Brecht zum 110. Geburtstag einen kleinen Button mit der Aufschrift „Dream of Life“. Sie legt ihn zwischen die Pflanzen vor seinem Grabstein auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin. Die Geste der Amerikanerin wirkt würdevoll und sehr persönlich. So verwandelt Patti Smith einen Werbeanstecker im Handumdrehen in einen Gruß von Dichterseele zu Dichterseele, über die Zeiten hinweg.

Gegenstände mit Bedeutung aufzuladen, sie zu kultischem Rang zu erheben, gehört zu den Marotten der Sängerin, Poetin, Künstlerin. Sie entspringt einer tiefen Liebe zu Dingen, die anderen nur Nippes zu sein scheinen. Diese Liebe hat sie seit ihrer Kindheit als Sammlerin von Murmeln, Heiligenbildchen und Anhängern gepflegt – heute gleicht ihr New Yorker Apartment einem unaufgeräumten Museum.

Vorformen mit weniger Ausstellungsgegenständen bewohnte sie zwischen 1967 und 1972 mit ihrem Geliebten Robert Mapplethorpe, der ebenfalls einen ausgeprägten Sinn für Devotionalien, Perlen und religiöse Artefakte hatte. Und so spielt Krimskrams eine prominente Nebenrolle in „Just Kids“, Patti Smiths Erinnerungen an ihre Zeit mit dem damals noch unbekannten Künstler. Sie hatte ihm, als er 1989 im Sterben lag, versprochen, ihre gemeinsame Geschichte aufzuschreiben.

Wie sie diesen Schwur nun fast zwei Jahrzehnte später einlöst, ist eindrucksvoll und berührend. Das reich bebilderte Buch mit dem Untertitel „Die Geschichte einer Freundschaft“ ist klug, witzig und voller spannender Details. Es macht zudem Victor Bockris’ unauthorisierte Patti-Smith-Biografie von 1998 in großen Teilen überflüssig.

Gestützt auf ihre Tagebücher, zeichnet Patti Smith ein gestochen scharfes Doppelporträt zweier junger, tatendurstiger Menschen, die beseelt sind vom Wunsch, Künstler zu werden, ihr Medium aber noch nicht gefunden haben. Anfangs fertigen beide vor allem Zeichnungen an, später beginnt Mapplethorpe mit Collagen und Smith mit Gedichten. Ihre Zeit in Brooklyn ist geprägt von Armut und ständigem Hunger: „Oft standen wir in der Kälte an der Ecke des St. James Place, von wo aus man sowohl den griechischen Imbiss wie Jake’s Malerbedarf sehen konnte, und wägten ab, wofür wir unsere spärlichen Dollars ausgeben wollten – schließlich warfen wir eine Münze, ob es gegrillte Käse-Sandwiches oder Künstlerbedarf geben würde. Wenn Robert sich überhaupt nicht schlüssig wurde, welcher Hunger nagender war, wartete er nervös im Diner, während ich, vom Geist Genets beseelt, die dringend benötigten Messingspitzer oder Buntstifte klaute.“

Eine gewisse romantische Verklärung mag mitunter im Spiel sein, doch die Entbehrungen und Sorgen des Paares werden durchaus anschaulich. Ins Museum konnte immer nur einer der beiden gehen, der dem anderen dann die Exponate beschrieb. Und in den Urlaub fuhren sie mit der U-Bahn: nach Coney Island. Auch als Patti Smith einen Job in Scribner’s Buchhandlung annimmt und damit zur Ernährerin wird, bleibt die Situation schwierig. Die Künstlerszene in Manhattan erleben die beiden lange Zeit nur als Zaungäste.

Das ändert sich 1969 mit dem Umzug ins Chelsea Hotel in der 23. Straße. Der Manager akzeptiert die Zeichenmappen des Paares als Sicherheit und gibt ihm das kleinste Zimmer des Hauses. Das Chelsea ist auch nach Ende der Beatnik-Ära noch immer ein Epizentrum der Kreativität und Exzentrik, das den beiden entscheidende Impulse gibt. So leiht sich Robert Mapplethorpe hier erstmals eine Polaroidkamera und Patti Smith freundet sich mit Musikern an. Mithilfe einer Chelsea-Freundin erweitert das Paar seine Kreise ins angesagte Max’s Kansas City Restaurant. Mapplethorpe hofft, hier in die Clique um den bewunderten Andy Warhol vorzudringen, was nach vielen geduldig abgesessenen Abenden auch gelingt.

Die Beziehung des Paares ist mittlerweile in ihrer zweiten Phase. Mapplethorpe hat sein Begehren für andere Männer entdeckt und lebt es nicht nur in seinen vom S&M-Fetisch inspirierten Collagen aus. Dennoch vollzieht sich die Loslösung von Smith nur zögerlich. Welchen Zwiespalt der in einer streng katholischen Mittelstandsfamilie aufgewachsene Künstler durchlebte, deutet Smith nur an. Ihr eigenes Gefühlswirrwarr lässt sich immerhin erahnen. Selbstkritisch merkt sie an, dass ihre Vorstellungen von Homosexualität „beschränkt und provinziell“ waren. Sie glaubte, ein Mann würde schwul, wenn er nicht die richtige Frau fand, die ihn vor diesem Los bewahrte.

Patti Smith scheut sich nicht, auch ihre naiven, uncoolen und zweifelnden Momente festzuhalten. Wenn sie stocknüchtern die Verlangsamung ihrer bekifften Freunde erträgt oder im Max’s mit ihrer selbst geschnittenen Keith-Richards-Frisur ein großes Hallo auslöst, reagiert sie stets aus einer trockenen New-Jersey-Bodenständigkeit heraus, die wohl einen viel größeren Anteil an ihrer Persönlichkeit ausmacht, als man vermuten würde. Und sie half ihr sicher auch dabei, in einem von LSD, Speed, Haschisch und Alkohol befeuerten Umfeld nahezu abstinent zu leben.

Neben einer Künstler-Biografie ist „Just Kids“ auch das Porträt einer kreativen Blütezeit New Yorks. Patti Smith fängt die freundschaftlich-fiebrige Atmosphäre in Greenwich Village ganz beiläufig mit ein, genau wie die langsame Verlagerung der Szene in die Lower East Side, wo sie im neuen Club CBGB’s die ersten Auftritte mit ihrer Band hat. Die Aufnahmen zur ersten Single und dem legendären ersten Albums „Horses“ schildert Smith genauer, denn an beiden war Mapplethorpe noch beteiligt: Die Single finanzierte er und für das „Horses“-Album fotografierte er das Cover – bis heute das bekannteste Bild der Sängerin. Den Aufstieg zum Ruhm und ihren späteren Rückzug ins Privatleben mit Fred „Sonic“ Smith streift sie hingegen nur. Schließlich ist „Just Kids“ ganz ihrem geliebten Zwilling und Seelenverwandten gewidmet.

Nach dessen Tod an den Folgen von Aids bleiben Patti Smith eine Locke, eine Handvoll seiner Asche, Briefe, eine Kette, ein Tamburin und zwei Amulette. Es sind die wertvollsten Stücke in ihrem Apartment-Museum. Zeugnisse einer unsterblichen Liebe, der sie mit „Just Kids“ ein Denkmal gesetzt hat.

Patti Smith: Just Kids. Die Geschichte einer Freundschaft. Kiepenheuer und Witsch 2010, 322 S., 19,90 €. Am morgigen Freitag stellt Patti Smith ihr Buch auf der lit.Cologne in Köln vor.

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