zum Hauptinhalt
Ein schöner Mann. Posthume Bronzebüste von Marc Aurel, um 1500 entstanden.

© dpa/Harald Tittel

Kaiser, Feldherr und Philosoph: Die dunklen Seiten des Marc Aurel

Marc Aurel gilt als Inbegriff des guten Herrschers. Aber war er das wirklich? Eine grandiose Landesausstellung in Trier zeigt seine Widersprüche.

Stand:

Es ist ein großes Hauen und Stechen, ein gnadenloses Gemetzel. Römische Soldaten haben ein Dorf angegriffen und kämpfen zwischen bienenkorbartigen Hütten mit ihren Gegnern. Ein Römer holt mit dem Schwert aus, um einen vor ihm knieenden „Barbaren“ zu köpfen. Hinter ihm steht der Kaiser, zu erkennen an seinem Feldherrenmantel.

Die Szene befindet sich auf der Marcussäule, die auf der Piazza Colonna in Rom hochragt. Errichtet wurde sie kurz vor oder nach dem Tod des Kaisers Marc Aurel (121 bis 180 nach Christus). Marc Aurels Truppen hatten an der Donau die aufständischen Daker und Markomannen besiegt. Dabei schreckten sie nicht vor Kriegsverbrechen zurück. Versklavung von Frauen und Kindern, Hinrichtung von Gefangenen, das Niederbrennen von Siedlungen – all das zeigen die Reliefs.

In Trier, der ältesten, vor mehr als 2000 Jahren von den Römern gegründeten deutschen Stadt, hat man sich mehrfach mit den Mythen der Antike beschäftigt. Ausstellungen über Konstantin den Großen (2007), Nero (2016) und den Untergang des Römischen Reichs (2022) waren große Publikumserfolge. Nun zeigen dort das Landesmuseum und das Stadtmuseum zwei beeindruckende Ausstellungen, die von Marc Aurels Leben und der von ihm bis heute ausgehenden Faszination erzählen.

Das Imperium gegen äußere und innere Gegner zu schützen, gehörte zu den Pflichten eines Kaisers. Doch die Gnadenlosigkeit, mit der die Herrscher und ihre Legionen dabei vorgingen, wurde schon von Zeitgenossen kritisiert. „Stehlen, Morden und Rauben nennen sie (die Römer; Anm. der Redaktion) mit falschem Namen Herrschaft, und wo sie eine Wüste schaffen, nennen sie es Frieden“, schrieb der römische Historiker Tacitus kurz bevor Marc Aurel geboren wurde.

Gigantisch große Kampfszenen

Der Satz steht im Trierer Landesmuseum an einer Wand und eröffnet den Teil der Ausstellung, der von Marc Aurels Rolle als Feldherr handelt. Gigantisch vergrößerte Fotos von den Kampfszenen auf der Marcussäule sind dort zu sehen, ein martialischer, bei Frankfurt am Main ausgegrabener Soldatenhelm und eine Urne aus London, die auf ihrer Schauseite zeigt, wie römische Soldaten ihre Gegner mit Schwertern massakrieren.  

Als Marc Aurel 161 an die Macht kam, hatte das Römische Reich seine größte Ausdehnung erreicht. Es zog sich von Nordafrika bis zum Hadrianswall im heutigen Großbritannien, von Armenien bis zum Rhein. 50 Millionen Menschen lebten dort, die meisten besaßen kein römisches Bürgerrecht. Viele waren Sklaven.

Die Vernunft ist unsere wichtigste menschliche Fähigkeit. Wir haben die Pflicht, sie einzusetzen.

Marc Aurel, Kaiser, Feldherr und Philosoph

Aber Stärke und Autorität beginnen bereits zu bröckeln. Obwohl die Römer jahrzehntelang mit großem Aufwand Krieg führen, gelingt es ihnen nicht, den Donauraum unter ihre Kontrolle zu bringen. An Rhein und Mosel werden sie von germanischen und keltischen Gruppen angegriffen.

Triers Wahrzeichen, die ab 170 errichtete Porta Nigra, ist ein Ergebnis dieses Konflikts. Marc Aurel war nie in Trier, aber er gab eine 6400 Meter lange Stadtmauer in Auftrag, um Augusta Treverorum, so der römische Name, vor Angriffen zu schützen. Zu ihr gehörten drei weitere Tore, die später abgerissen wurden.

Herrscher hoch zu Ross: Replik des berühmten antiken Reiterstandbildes von Marc Aurel.

© Gallerie Nazionali dArte Antica di Roma

Marc Aurel war ein Adoptivkaiser, auf den Thron gelangte er durch Protektion. Die Herrschaft teilte er sich anfangs mit seinem Adoptivbruder Lucius Verus. Gemeinsam zogen sie in den Krieg gegen die Markomannen.

Doch bereits zwei Jahre später, 168, starb Lucius Verus an der „Antoninischen Pest“. Diese Epidemie soll Hunderte, vielleicht Tausende Soldaten dahingerafft haben. In der Ausstellung wird sie mit Grabinschriften und einem Gedenkstein dokumentiert, der Äskulap gewidmet ist, dem Gott der Heilkunst. Mit solchen Beschwörungen bat man die Götter um Beistand gegen Krankheiten.

Seuchen, das galt als sicher, wurden durch gefährliche Gerüche übertragen. Angeblich war die Antoninische Pest in Babylonien ausgebrochen. Dort habe ein Soldat versehentlich eine Schatulle geöffnet, aus der „ein verderbender Pesthauch aufstieg, um von hier aus das Partherreich und den Erdkreis zu erfüllen“, wie es in einer Quelle von 165/166 heißt. Wissenschaftlich haltbar ist die Anekdote nicht.

Marc Aurel muss ein attraktiver Mann gewesen sein. In Trier sind ein Dutzend Skulpturen versammelt, die ihn in allen Lebenslagen zeigen, vom kindsköpfigen, noch bartlosen Thronanwärter über den Feldherrn im Panzerhemd bis zum Philosophen mit lässig übergeworfener Toga. Stets sind seine Gesichtszüge symmetrisch und schön, die Locken kunstvoll gewirbelt.

Die Pracht der alten Römer: Blick in die Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier.

© dpa/Harald Tittel

Mit Marc Aurels einst vergoldetem, heute verblichenem Reiterstandbild, das im Kapitolinischen Museum in Rom steht, begann eine eigene Kunstgeschichte. Die aufgerichtete Körperhaltung und die grüßend ausgestreckte Hand signalisieren den Triumph des Politikers und Kriegsfürsten. Herrschaftsgesten, an die später Reiterskulpturen von Karl dem Großen und Friedrich II. anknüpften. Die Ausstellung präsentiert auch eine Miniaturkopie, die Bundeskanzler Helmut Schmidt in seinem Bonner Arbeitszimmer platzierte.

Vernunft als Zentralbegriff

Wie stellt man Ideen aus? Marc Aurel ist vor allem für seine „Selbstbetrachtungen“ bekannt, eine Sammlung von kurzen, autobiografisch inspirierten Texten, die er zwischen 170 und 180 auf seinen Kriegszügen verfasste. Sie wurden in rund achtzig Sprachen übersetzt und gehören zur Weltliteratur. Doch eigentlich schrieb Marc Aurel sie nur für sich, wie ein Tagebuch.

Im Trierer Landesmuseum ist ein Raum mit Wörtern gefüllt. In Großbuchstaben stehen Marc Aurels Zentralbegriffe an den Wänden: Glück, Vernunft, Tugenden, Gemeinschaft, Freiheit. Daneben Sentenzen wie „Glück bedeutet Seelenruhe, ganz unabhängig zu sein von äußeren Einflüssen“ oder „Die Vernunft ist unsere wichtigste menschliche Fähigkeit. Wir haben die Pflicht, sie einzusetzen.“

Marc Aurels Texte stehen dem Stoizismus nahe, der Überzeugung, dass alles in der Welt einer kausalen Logik folgt. Anders als Seneca, der Demut predigte, aber den Luxus liebte, führte Marc Aurel ein tugendhaftes Leben. Keine Ausschweifungen, kein Abweichen von der Pflichterfüllung. Er begnadigte germanische Stammesführer und steckte während einer Finanzkrise einen Teil seines Privatvermögens in den Staatshaushalt. Seine Selbstdialoge schrieb er auf Altgriechisch. Zum Bestseller wurden sie, nachdem sie 1558/89 in Zürich zum ersten Mal gedruckt wurden, vom Humanisten Wilhelm Xylander ins Lateinische übersetzt.

Marc Aurel galt in der Antike als Inbegriff eines guten Herrschers. Aber was bedeutet das? Der zweite Teil der Ausstellung, im Trierer Stadtmuseum, zeigt den posthumen Kult um den Kaiser. Schon der Geschichtsschreiber Cassius Dio rühmte um 200 Marc Aurel, weil er „besser als jeder andere“ geherrscht habe. Später sahen ihn Voltaire, Friedrich II. und Bill Clinton als Vorbild.

„Kämpfe darum, dass du so bleibst, wie dich die Philosophie haben wollte“, heißt es in den Selbstbetrachtungen. „Ehre die Götter, rette die Menschen.“ Marc Aurels Maximen passen perfekt auf Social-Media-Kacheln. Doch von Demokratie und Menschenrechten wollte er nichts wissen. Der Philosophenkaiser – das lernt man in Trier – lässt sich nur als Kind seiner Zeit verstehen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })