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Das TOC-Publishing-Team (von links nach rechts) Erik Spiekermann, Susanna Dulkinys und Birgit Schmitz vor einer Original Heidelberger Zylinder Druckmaschine in Adlershof

© privat

Kanon Verlag und TOC Publishing: Gunnar Cynybulk und Birgit Schmitz gründen neue Verlage

Krise in der Buchbranche? Von wegen. Gunnar Cynybulk und Birgit Schmitz leiteten früher große Häuser und haben sich jetzt selbstständig gemacht.

Es scheint im Moment nicht die günstigste Zeit zu sein, um ein Unternehmen zu gründen, einen neuen Verlag beispielsweise. Genau das jedoch haben Gunnar Cynybulk und Birgit Schmitz getan. Cynybulk ließ jüngst offiziell verkünden, dass er zusammen mit einem Kreis von Gesellschafterinnen und Gesellschaftern einen „unabhängigen“ Verlag gegründet habe, den Kanon Verlag. Im Herbst des kommenden Jahres will er ein erstes Programm veröffentlichen.

Schmitz ist schon weiter mit den Planungen. Ihr Verlag heißt TOC Publishing und ist ein sogenannter Letterpress Verlag, in dem die traditionelle Kunst des Buchhochdrucks, des Reliefdrucks gepflegt wird. Die Bücher ihres Verlags sind allesamt englischsprachig und Wiederveröffentlichungen.

Und dieser Tage geht es los mit Deborah Levys autobiografischen Roman „The Cost of Living“.

Gunnar Cynybulk und Birgit Schmitz sind keine Neulinge in der Branche, sie haben beide in den vergangenen Jahren große mittelständische Verlage geleitet.

Bov Bjerg ist einer der Gesellschafter des Kanon Verlags

Cynybulk, 1970 in Leipzig geboren, arbeitete fast zwanzig Jahre lang beim Berliner Aufbau Verlag. Zuletzt war er dort Verlagsleiter für den Bereich Literatur und Sachbuch, bevor er im Herbst 2017 verlegerischer Geschäftsführer der Ullstein Buchverlage in Berlin wurde. Im Mai 2019 räumte er diesen Posten jedoch wieder, nachdem die Verlegerin Barbara Laugwitz ebenfalls zu Ullstein gekommen war.

Die 1971 in Morbach im Hunsrück geborene Birgit Schmitz leitete nach Stationen bei Kiepenheuer & Witsch in Köln, dem Berlin Verlag sowie dem Salzburger Red-Bull-Verlag Benevento zuletzt über zwei Jahre den in Hamburg ansässigen Verlag Hoffmann und Campe, der dann im Herbst 2019 das Arbeitsverhältnis mit ihr auflöste.

An einem düsteren Dezembernachmittag, während eines Spaziergangs durch den Gleisdreieckpark, erzählt Cynybulk, wie es sich mitten in der Corona-Krise anließ, mit etwas ganz Neuem zu beginnen.

Tatsächlich stieß er auf viel Resonanz, zum Beispiel als er mit seinem Business-Plan bei den Banken vorsprach: „Die waren wirklich interessiert daran, das alles zu finanzieren, was mich doch gewundert hat. Ich dachte, ich müsste betteln gehen. Aber ich musste überhaupt nicht auf Knien kriechen. Es gibt zum einen im Moment kaum Existenzgründungen, zum anderen haben die Banken analysiert, dass die Buchbranche bislang ganz gut durch die Krise gekommen ist.“

Fünf Bücher kosten eine Viertel Million Euro

Allerdings greift Cynybulk jetzt doch nicht auf ein Bankdarlehen zurück. Er konnte eine Investorin aus dem Kulturbereich gewinnen; eine Lösung, die ihm letztendlich für den Kanon Verlag „langfristig am stabilsten und interessantesten“ erschien. Überdies hat er natürlich eigenes Kapital in sein Verlagsprojekt gesteckt, er ist Mehrheitseigner.

Dazu sind mit kleineren Beträgen die anderen Gesellschafter und Gesellschafterinnen beteiligt. Sie kommen aus den unterschiedlichsten kulturellen Bereichen: der Schriftsteller Bov Bjerg, die Architektin Silke Haupt, die Kuratorin Signe Rossbach, der Autor und Buchhändler Edgar Rai oder die Gestalterin Anke Fesel.

Cynybulk betont, dass es ihm mit allen um den kreativen Austausch gehe. Doch räumt er ein, dass die vielfältigen Kontakte aller schon auch eine Rolle spielen würden. Und überhaupt: „Allein macht es keinen Spaß.“ Wobei selbst ein kleiner Verlag nie nur aus einer oder zwei Personen bestehen kann.

Zu Kanon gehören ebenfalls unverzichtbare Mitarbeiter wie eine Vertriebsleiterin, ein Veranstaltungs- und Social-Media-Manager und eine Justitiarin. Das wichtige Lektorat bestreitet der Verlagsgründer vorerst noch allein. Zehn Titel im Jahr will Gunnar Cynybulk im Kanon Verlag veröffentlichen. „Nur Bestseller“, scherzt er, um im selben Atemzug darauf zu verweisen, wie wichtig ihm literarische Qualität und gut gemachte Bücher sind. Und trotzdem, ganz ohne Geheimwissenschaft: „Fünf Bücher kosten eine Viertel Million Euro, und die müssen wieder hereinkommen.“

Früher Aufbau, dann Ullstein, jetzt Kanon: Verleger Gunnar Cynybulk, 50
Früher Aufbau, dann Ullstein, jetzt Kanon: Verleger Gunnar Cynybulk, 50

© Kat Kaufmann

Die erste Kanon-Veröffentlichung wird im Juli 2021 ein Briefband sein. Der Termin hängt mit einem Jubiläum zusammen; danach folgt der Debütroman einer Autorin, die zwar aus Deutschland kommt, ihr Buch aber auf Englisch geschrieben hat, das, ungewöhnlich genug, wiederum ins Deutsche übersetzt wird: „Der Termin“ von Katharina Volckmer.

Der Roman ist vor ein paar Monaten im angloamerikanischen Raum und noch ein paar anderen Ländern erschienen, in zehn Sprachen, „nur in Deutschland wollte das Buch keiner haben“.

Ein Wagnis? Können so viele Verlage irren? Cynybulk grinst unter seiner gewohnten Schiebermütze hervor: „Es gibt keinen besseren Grund einen Verlag zu gründen als für ein Buch, das niemand haben will. Ich bin von diesem Roman total überzeugt.“

Volckmers Buch solle den Ton des Verlags anschlagen, sagt er dann, ihm gehe es um „viele erzählerische Stimmen“ und um „Stimmigkeit“ (deshalb auch der Verlagsname: Kanon).

Der Fokus liegt auf der Gegenwartsliteratur, mit dem Schwerpunkt auf der deutschsprachigen. Cynybulk hat zum Beispiel für seiner vorherigen Verlag Autoren wie Bov Bjerg, Philipp Winkler oder Lukas Rietzschel entdeckt. Doch auch internationale Titel wird es geben, zum Beispiel hat er für 2022 den erfolgreichsten dänischen Roman dieses Jahres eingekauft. Er wolle „früh mit talentierten Leuten arbeiten“, möchte aber auch Wiederentdeckungen machen und „ungewöhnliche Sachbücher“ verlegen.

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Als Verlagsgründer strahlt Cynybulk Zuversicht aus, wie soll es anders sein? Er habe „eine Menge positives Feedback“ aus anderen Verlagen bekommen. Das müsse man jetzt einfach machen, sei ihm gesagt worden. Und er zitiert seinen Frankfurter Kollegen Klaus Schöffling: „Irgendwann muss man seine eigene Hütte haben“.

Es ist dies eine Feststellung, die Gunnar Cynybulks Erfahrungen im Verlagswesen ganz gut wiedergibt: das viele Hin und Her, das Mitnehmen der Autoren von Aufbau zu Ullstein und weiter, die vielen, vor allem auf kommerzielle Verwertbarkeit ausgerichtete Programme großer Verlagsgruppen.

Erleichterung auch bei Birgit Schmitz

Auch bei Birgit Schmitz spürt man eine gewisse Erleichterung, nicht mehr drin zu sein in dem Rennen nach den „big deals“, nach den Bestsellern von morgen: „Ich wollte mal nicht nach den neuesten Stimmen jagen und bin froh, mich nicht mehr diesen manchmal komischen Verlags- und Konzernlogiken unterwerfen zu müssen,“ erzählt sie am Telefon in ihrer Wohnung in Mitte.

Stattdessen leitet sie jetzt ihren eigenen Verlag, zusammen mit dem Typografen und Schriftgestalter Erik Spiekermann, dessen Frau Susanna Dulkinys sowie der Schriftstellerin Irene Dische; einen Verlag, der nicht zuletzt die haptischen und visuellen Erlebnisse beim Lesen in den Vordergrund rückt. So wie es Spiekermann einmal gesagt hat: „Ein Buch ist erst ein Buch, wenn es ein Buch geworden ist“.

Zwölf englischsprachige Bücher sollen bei TOC Publishing pro Jahr veröffentlicht werden, jeden Monat eins, unabhängig von den typisch saisonalen Veröffentlichungszyklen im Verlagswesen. Die Auflage ist jeweils limitiert auf 998 Exemplare, alle von den Autoren und Autorinnen signiert. Sie kosten pro Stück 128 Euro und lassen sich per Subskription und im Webshop erwerben. (Bei Dussmann gibt es übrigens ab nächsten Montag eine Ausstellung, die den TOC-Verlag und sein erstes Buch präsentiert).

Schmitz sagt, neben ihrem Faible für die angloamerikanische Literatur sei die Vermarktung einer der Gründe gewesen, dass es ein englischsprachiger Verlag geworden ist: Schön ausgestattete Bücher per Subskription zu erwerben ist in den USA und in England viel geläufiger als in Deutschland.

Als Schmitz und Spiekermann ihr Verlagsprojekt planten, lautete ihre wichtigste Frage: „Wie kann man Letterpress im 21. Jahrhundert machen?“ Tatsächlich erinnert ihr Verlag zunächst an die bibliophile Buchreihe der Anderen Bibliothek, die Hans Magnus Enzensberger als Herausgeber und Franz Greno als Buchgestalter 1985 gründeten.

Schmitz sagt, „einfach nur schöne Bücher zu machen“ sei ihr ein bisschen zu wenig. Und ihr geht es nicht um literarische Ausgrabungen und Wiederentdeckungen: „Mir war das bei der Anderen Bibliothek immer eine Spur zu eklektisch, das hatte mit meinem Leben nichts zu tun“.

TOC Publishing ist ein englischsprachiger Letterpress Verlag

Deshalb liegt die inhaltliche Betonung ihres Verlags auch auf Gegenwärtigkeit; auf Bücher, die maximal in den letzten dreißig Jahren erschienen sind. Levys Roman „The Cost of Living“ kam beispielsweise erst vor zwei Jahren in den USA und 2019 in Deutschland heraus, im übrigen unter der Ägide von Schmitz bei Hoffmann und Campe.

„Was wir veröffentlichen, spiegelt aktuell die Stimmung, die wegen der Pandemie gerade herrscht. Deborah Levys Buch erzählt auch davon, dass es immer wieder Lebensumstände gibt, in denen sich die nahe Zukunft nicht voraussagen lässt."

Auf Levy soll Chimamanda Ngozi Adichies 2006 erschienener Roman „Half of a yellow sun“ folgen, eine Geschichte, die der von den Erlebnissen zweier Frauen im Biafra-Krieg erzählt. Noch einmal betont Schmitz, dass ihr „das lebendige Interesse an der Gegenwart“ wichtig sei – und dass es bei der Gestaltung der Bücher um die Verbindung von Form und Inhalt gehe, sich der Stoff durchaus in der Gestalt des Buches widerspiegeln solle.

Ebenfalls mit Eigenkapital finanziert, weiß Schmitz, dass man mit so einem Verlagsprojekt „einen langen Atem“ brauche: „Wie das wohl ist, Bücher direkt an die Leserinnen und Leser zu verkaufen?"

Und wie steht es mit zukünftigen Verlagshäusern? Corona-bedingt arbeiten Birgit Schmitz wie Gunnar Cynybulk hauptsächlich noch von zuhause. Während Schmitz auf Spiekermanns Letterpress-Workshop mitsamt Galerie in der Potsdamer Straße in Schöneberg verweist, sagt Cynybulk bei dem Spaziergang, dass er auf Raumsuche sei. Dann zeigt er auf ein altes Backsteingebäude der S-Bahn, das im Gleisdreieckpark als Monument aus vergangenen Zeiten stehen geblieben ist: „Hier ein Verlagshaus draus zu machen, das wäre es doch!"

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