zum Hauptinhalt

Kultur: Karikaturen des Glaubens

Zerrbilder gegen die Zivilisation: Warum Europa der islamischen Welt immer ähnlicher wird

Es ist kaum anzunehmen, dass einer von den wütenden Protestierenden auf den Straßen der islamischen Welt den Film „Das Fest“ von Lars von Trier gesehen hat. Schade, denn wie kaum ein anderes Kunstwerk der letzten Jahre gibt dieser Film einen tiefen und aufwühlenden Einblick in die Seelenwelt der guten dänischen Gesellschaft, in ihre Konflikte, Ängste und verdrängten Schuldkomplexe. Was wie eine Familiengeschichte aussieht, in der es um Kindesmissbrauch und die Anomalien des Wohlstands geht, kann auch als Porträt einer verunsicherten, nach außen heilen, nach innen maroden Gesellschaft gesehen werden, die nicht einmal zu einem kritischen Dialog mit sich selbst, geschweige denn mit Fremden in der Lage ist. Doch gut und erhaltenswert an dieser Gesellschaft ist eben auch, dass sie dennoch einen Film wie „Das Fest“ hervorbringt.

Die Freiheit der Kunst zählt nun einmal zu den größten Errungenschaften der europäischen Kultur, erkämpft gegen jahrhundertealte Traditionen der Intoleranz, gegen Kirchendogmen und den Interessen politischer Machthaber. Es ist richtig: Die islamische Welt von heute kennt nichts von alledem. So entstehen eben nicht Filme wie „Das Fest“, sondern Bilder einer wütenden Menschenmenge, die mit Mord und Totschlag droht, wenn es etwas zu kritisieren gibt. Die korrupten und unterdrückerischen Regime in der islamischen Welt nutzen die emotional aufgeladene Atmosphäre, um sich „als Verteidiger des Glaubens und der Menschenwürde“ Legitimität zu verschaffen. Der Begriff „Menschenwürde“ klingt aber in den Mündern der meisten Machthaber in der islamischen Welt einfach nur obszön.

Dennoch, die allermeisten Muslime fühlen sich durch die abgedruckten Karikaturen ihres Propheten verletzt, ja angegriffen. Doch was genau ist zu kritisieren? Die bildliche Darstellung des Propheten Mohammed ist ein Tabu der islamischen Religion. Auch von Gott darf man sich kein Bild machen. Doch dieses Tabu, das heute wie jedes Tabu vollkommen ohne Reflexion zur Anwendung kommt, hat auch eine historische und philosophische Dimension.

Erst der abstrakte Gottesbegriff des Islams hat die Offenbarungsreligionen zu einem Diskurs mit der griechischen Philosophie befähigt und angeregt. Dieser Diskurs bildete auch die Grundlage der europäischen Renaissance. Es ist kein Zufall, dass der abstrakte, bilder- und darstellungsferne Begriff göttlicher Macht viele Denker der Aufklärung beeindruckt und auch in ihrem Denken beeinflusst hat. Wer Zweifel an dieser Behauptung hat, sollte einmal die fast vergessene Schrift von Ernst Bloch: „Avicenna und die Aristotelische Linke“ lesen.

Dass man im Laufe der Zeit aus diesem Darstellungsverbot der göttlichen Macht ein rigides Bilderverbot innerhalb der Tradition gemacht hat, bedarf dagegen in der islamischen Kultur einer offenen und kritischen Diskussion. Mohammed ist nicht Gott, sondern sein Prophet. Seine bildliche Darstellung selbst in Kinderbüchern bereitet strenggläubigen Muslimen Probleme, wird als Häresie empfunden. Dabei führt eine solche ausschließlich auf Tabus aufgebaute Geisteshaltung zu nichts anderem als zu einer karikaturhaften Wahrnehmung des eigenen Glaubens.

Die kulturelle Verarmung geht einher mit einer umfassenden Amnesie. Die zornigen Menschen und ihre Anführer in den Moscheen wollen nichts mehr wissen von der Vielfalt ihrer eigenen Tradition, von Poeten aus der Hochphase der muslimischen Kultur, die in ihren Gedichten Gott anklagen, nicht selten auch satirisch, von Denkern, die sich mit dem schwierigen Verhältnis zwischen Offenbarung und Rationalität beschäftigt haben – mit dem Zweifel, der wie selbstverständlich zum Glauben gehört. Sie erinnern sich nicht einmal an den Anfang des vergangenen Jahrhunderts, als der zaghafte Versuch unternommen wurde, die islamische Religion zu reformieren, das heißt ihre Glaubensinhalte und Vorstellungen in die Gegenwart zu übersetzen.

Doch auch in Europa gibt es kaum noch Erinnerung an einen ästhetisch und intellektuell anspruchsvollen Islam. Das Islambild ist inzwischen ein Vehikel in den Händen populistischer Politiker. In den durch die Massenmedien transportierten Bildern verliert die islamische Kultur ihre sozialen und geistigen Dimensionen, wird zur Visage von Terrorfürsten wie bin Laden reduziert. Nicht nur die Karikaturisten des Propheten berufen sich ausschließlich auf diese Bilder, lassen sich von ihnen inspirieren. Auch viele Autoren der westlichen Presse haben inzwischen ein verkrüppeltes Islambild. Aus Versatzstücken des Koran heraus wird nicht nur der islamische Fundamentalismus, sondern auch die scheinbare Kritik an ihm formuliert. Auf dieser Grundlage werden Gruppenidentitäten festgeschrieben, Verdachtsmomente gegenüber dem „Islam“ zu rasch abrufbaren Gewissheiten.

Doch lässt sich auf diese Weise die Aufklärung verteidigen? Beruht die Position der Aufklärung nicht gerade auf einer kritischen Reflexion von Bildern, die zu solchen unreflektierten Konstruktionen führen. Die kritische Reflexion von Selbst- und Fremdwahrnehmung droht aber in der Auseinandersetzung mit dem islamischen Extremismus verloren zu gehen. Dabei steht auch die europäische Zivilisation zur Debatte.

Die neue Rechte in Europa bedient sich statt des unbequem gewordenen Antisemitismus der Islamophobie. Die verzerrten, schablonenhaften Bilder des Fremden funktionieren hüben wie drüben. Auf der anderen Seite ist eine gekränkte islamische Psyche entstanden, die auf jede Provokation wie ein Pawlow’scher Hund reagiert. Die islamische Welt bedient die Bilder, die von ihr kursieren, eifrig selbst. Brennende Fahnen, im Feuersturm eingenommene Botschaftsgebäude, Morddrohungen – all das kommt im Westen nur als Bestätigung eines gewaltbereiten, unzivilisierten, dialogunfähigen Typus des Muslim an. Wenn die Straße kocht, gibt es keine Individuen mehr und auch keine streitbaren Meinungen, sondern nur noch die Masse, die mit einer Stimme spricht.

Der Herausgeber der dänischen Zeitung wusste das. Denn nicht um eine Auseinandersetzung mit dem Islam und seinen theologischen Grundsätzen geht es bei den veröffentlichten Karikaturen. Es geht ausschließlich um das Bild des Muslim als Terroristen, als nicht integrierbaren Migranten, als eine potenzielle Bedrohung der offenen westlichen Gesellschaft. In diesem Sinne hatte die Publikation der Karikaturen auch ihr Gutes. Denn so konnten wir erfahren, was in der dänischen Gesellschaften vor sich geht. Die von einer rechtspopulistischen Partei gestützte Regierung ist dabei, das liberale Dänemark zu verwandeln in eine fremdenfeindliche Gesellschaft, in der unter dem Feigenblatt der Meinungsfreiheit die Erziehung zur Intoleranz und Respektlosigkeit hoffähig geworden sind.

Doch ist es anderswo in Europa viel besser? Betrachten wir doch, wie die Debatte um Integration in Deutschland verläuft. Sie begann und endete mit der Feststellung, die Integration sei gescheitert. Dahinter steckt nicht unbedingt eine soziologische Analyse der Gesellschaft und schon gar nicht ein Verständnis von Kultur als einem dynamischen, oft auch widersprüchlichen Phänomen, sondern eine kulturalistische und nicht selten starre Identitäten konstruierende Geisteshaltung. Unterschiedliche Kulturen können eben nicht zusammenleben. Also hatten all diejenigen Recht, die ein Jahrzehnt zuvor auf dem Balkan zur Segregation und ethnischer „Säuberung“ aufriefen. Das Ergebnis ist bekannt.

In einem Interview behauptet Carsten Juste, Chefredakteur der „Iyllands-Posten“, die Integration der Kulturen sei vermutlich ein unmögliches Projekt und die Kluft zwischen den Menschen im Westen und der muslimischen Welt größer als der Grand Canyon. Doch Städte wie Berlin, London oder Paris liegen nun einmal in diesem Grand Canyon. Ein Europa, dass dies nicht begreift und sich homogenisierenden Kulturfantasien hingibt, wird am Ende der muslimischen Welt immer ähnlicher. „Kauft euer Gemüse nicht bei Muslimen“, lautet dann die Losung. Hatten wir das alles in Europa nicht schon einmal?

Der Autor wurde 1961 in der Türkei geboren und lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt veröffentlichte er im Babel Verlag, München, „Übergang“, Ausgewählte Gedichte 1980–2005.

Zafer Eenocak

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false